Man hat schon verschiedene Worte gefunden, um die Pflicht zu 3,5 Prozent Biodiversitätsförderfläche (BFF) im Ackerbau zu beschreiben – das Spektrum reicht von sinnvoll über nutzlos bis katastrophal. Der Schweizer Bauernverband (SBV) wehrt sich vehement dagegen, da die Vorschrift lediglich die Produktion schmälere und keinen Beitrag zur Erreichung der Reduktionsziele der Pa.Iv. 19.457 (Absenkpfade) leiste. Ausserdem sei einmal mehr und in erheblichem Mass nur die Landwirtschaft betroffen, obwohl auch andere Sektoren in die Pflicht genommen werden müssten.
Agronomische Vorteile inklusive
«Die Landwirtschaft ist nicht alleine schuld an der Artenkrise», pflichtet Hubert Schürmann bei. Das allein dürfe aber kein Grund sein, auf dem eigenen Hof die Möglichkeiten zugunsten der Biodiversität nicht auszuschöpfen, findet der Luzerner Landwirt, der bei der Schweizerischen Vogelwarte Projektleiter im Ressort Kulturland ist. «Acker-BFF haben durchaus agronomische Vorteile», fährt er fort. Schutz vor Erosion, weniger Abdrift von Pflanzenschutzmitteln und die Förderung von Bestäubern sowie Nützlingen sprechen aus seiner Sicht für deutlich mehr BFF im Ackerbau. Auch fänden diverse bedrohte Brutvogelarten oder Feldhasen darin einen Lebensraum.
Keine finanziellen Nachteile
Die Artenförderung ist das eine, aber finanziell aufgehen muss die Rechnung auch. «Acker-BFF können in die Fruchtfolge integriert werden und dank den Bundesbeiträgen ist mit konkurrenzfähigen Deckungsbeiträgen zu rechnen», ist Schürmann überzeugt. Dem stimmt Pascal Simon, Leiter der Abteilung Direktzahlungen am Ebenrain-Zentrum zu. Zwar hänge das von der Qualität der jeweiligen Fläche, deren Vernetzung und der Vergleichskultur ab,
«im Durchschnitt rechne ich aber nicht mit einem finanziellen Nachteil».
Getreide in weiten Reihen ist umstritten
Bei den Auswirkungen der 3,5 Prozent wird oft angeführt, dass «Getreide in weiten Reihen» eine produktive Möglichkeit der Umsetzung sei. Der Bundesrat beschränkt den Anteil dieses Typs aber auf maximal die Hälfte der Acker-BFF. Wohlweislich, denn Getreide in weiten Reihen ist umstritten. Zwar fällt der Ertrag laut Studien nicht viel tiefer aus, der ökologische Nutzen ist für Umweltverbände aber fraglich. Sowohl die Vogelwarte als auch BirdLife haben sich in der Vernehmlassung kritisch geäussert. Dies insbesondere deshalb, weil Düngung und Pflanzenschutzmittel eingesetzt werden dürfen. «Wir haben Versuche mit Getreide in weiten Reihen im Kanton Baselland aufgegeben, weil es so ökologisch nicht funktionierte», berichtet Pascal Simon.
Viel Bestehendes wird nicht anerkannt
Neben Getreide in weiten Reihen werden Bunt- und Rotationsbrachen, Ackersäume, Ackerschonstreifen und Nützlingsstreifen im Ackerbaugebiet anerkannt. Hier sieht der Ebenrain-Berater ein grosses Problem, da andere, bestehende BFF wie z. B. Hecken nicht angerechnet werden können. «Ich kenne einen Bio-Betrieb mit 10 ha BFF auf Ackerflächen, bei dem gerade mal 50 Aren – ein Saum – anerkannt würden», gibt Simon ein Beispiel. Die Kantone hätten dem Bundesamt für Landwirtschaft (BLW) zu verstehen gegeben, dass die Anrechnung bestehender Acker-BFF für die 3,5 Prozent zu kompliziert in der Umsetzung sei. «Das stimmt aber nicht», ist er überzeugt, «das ist alles digital erfasst und es bräuchte vielleicht zwei Wochen Arbeit am Computer für eine entsprechende Software-Lösung.» Das BLW habe aufgrund falscher Informationen entschieden.
Die Risiken lassen sich minimieren
Trotz seiner Kritik befürwortet Pascal Simon grundsätzlich die 3,5 Prozent, denn es gebe unbestreitbar Defizite im Ackerbau. Nur bringe die Vorschrift in ihrer jetzigen Form keinen Mehrwert für die Biodiversität, jedenfalls nicht dort, wo bereits viel zu deren Förderung unternommen worden ist. Das ist allerdings nicht in allen Ackerbaugebieten der Fall und «Hand aufs Herz, wer kennt alle Acker-BFF aus der Praxis?», fragt Hubert Schürmann rhetorisch. Durch überlegte Wahl des BFF-Typs und des Standorts, eine sorgfältige Anlage und gute Pflege liessen sich Risiken minimieren, etwa was die Ausbreitung von Berufkraut oder Ackerkratzdistel betreffe. «Ausserdem», ergänzt der Luzerner, «alle Acker-BFF können im Notfall nach wenigen Jahren wieder umgebrochen werden und die Saatmischung für Ackersäume ermöglicht dank knapp einem Drittel Gräseranteil eine gute Unkrautunterdrückung.»
Kaum ein Beitrag zur Versorgungssicherheit
Im Gegensatz zum SBV sieht Pro Natura in mehr Acker-BFF durchaus einen Beitrag zur Reduktion des Pflanzenschutzmittelleinsatzes, nämlich dank der Förderung von Nützlingen. «Das dient nicht nur dem Umweltschutz, sondern auch der Kostenreduktion auf den Betrieben», sagt Marcel Liner, Verantwortlicher Agrarpolitik.
Im Übrigen stehe die neu für BFF benötigte Fläche in keinem Verhältnis zu den bestehenden, die für die intensive Produktion genutzt werden. Dort werde mit hohem – und teurem –Hilfsstoffeinsatz mehrheitlich Tierfutter produziert. Mit mehr Ackerbau für die direkte menschliche Ernährung argumentiert auch der Bundesrat gegen die Motion Rieder (siehe Kasten). Das würde seiner Meinung nach eine echte Stärkung der Nahrungsmittelproduktion bedeuten. Hubert Schürmann vergleicht die Schmälerung der Produktion durch die 3,5 Prozent mit den 3 Millionen Tonnen Food Waste, die jedes Jahr im Abfall verschwinden. «Man stelle sich den Beitrag für die Versorgungssicherheit vor, wenn wir das stoppen könnten!» Er verstehe die Diskussion im Zusammenhang mit dem Krieg in der Ukraine, hält Pascal Simon fest. «Die Frage ist legitim, aber der Beitrag von 3,5 Prozent der Fläche an die Versorgung im Kriegsfall ist lächerlich.» Dies insbesondere angesichts der hohen Abhängigkeit von Produktionsmitteln aus dem Ausland.
Es bräuchte sogar mehr
Wer mit einer Gefahr für die Versorgungssicherheit gegen Acker-BFF argumentiert, vergisst in Hubert Schürmanns Augen die Kraft funktionierender Ökosysteme. Sie seien es, die langfristig die Nahrungsmittelversorgung und die Erhaltung der Äcker sichern, betont der Landwirt. Studien zufolge müssten gegen den Rückgang der typischen Ackerfauna und -flora sogar mindestens 5 Prozent hochwertige Acker-BFF angelegt werden.
«Wir tun gut daran, dies nicht als akademische Spielerei abzutun, sondern Schritte zur Verbesserung zu prüfen.»
Kurz vor der Streichung
Um den Ursprung der Idee von obligatorischen 3,5 Prozent Biodiversitätsförderflächen (BFF) im Ackerbau zu finden, muss man eine Weile zurückblättern. Sie war Teil der Vorlage für die AP 22+ und wurde vom Bundesrat via die Parlamentarische Initiative 19.475 in den ÖLN integriert. Im Zusammenhang mit den Diskussionen um die Versorgungssicherheit nach Ausbruch des Kriegs in der Ukraine hat man die Umsetzung auf 2024 verschoben. Die Motion «Nahrungsmittelproduktion hat Vorrang» von Beat Rieder (Mitte/VS) will die Vorgabe aus dem ÖLN streichen. Der Ständerat hat dem bereits zugestimmt, die Beratungen im Nationalrat sind für den 14. Dezember 2022 geplant.