Es war 2011. Ich war auf einer geplanten zwanzigstündigen Zugfahrt in China, schaute aus dem Fenster und sah dreizehn Stunden lang ausschliesslich Mais; Feld an Feld, Pflanze an Pflanze.

Bei Gentechnik denkt man an Monokulturen

Es sind Bilder wie diese, die man als Konsument oder Konsumentin mit einer auf Profit ausgelegten, entwurzelten Landwirtschaft verbindet. Hier dominieren Monokulturen, chemisch-synthetische Dünger, Pestizide und Grosskonzerne. In dieses Denkschema passen auch wunderbar «Gentechpflanzen». Ihr Name klingt schon bedrohlich. Hier wurde technisch, also künstlich, am Erbgut und somit sprichwörtlich am Kern der Pflanze eingegriffen und etwas verändert. Eine Mehrheit der Schweizer Konsumenten akzeptiert sie daher bis heute nicht. Sie mussten – Gentechmoratorium sei Dank – draussen bleiben. Imagemässig passt dieses Bild nicht in unsere klein strukturierte Landwirtschaft mit vielfältiger, naturnaher Bewirtschaftung und familiär geführten Betrieben.

Die EU möchte Gentechpflanzen teilliberalisieren

Auch in der Europäischen Union (EU) blies den Gentechpflänzchen bisher ein eisiger Wind entgegen. Die EU möchte das nun ändern. So präsentierte die Europäische Kommission vorletzte Woche einen Gesetzesvorschlag zu sogenannten neuen gentechnischen Verfahren (NGV). Diese NGV sind Verfahren, welche nach 2001 entdeckt wurden. Ein Beispiel eines solchen Verfahrens ist die Genschere Crispr/Cas, die wissenschaftlich nachgewiesen präziser arbeitet als die bisherigen Gentechniken. Pflanzen, welche mithilfe der NGV entwickelt wurden, sollen nun also den Pflanzen, die aus herkömmlicher Züchtung stammen, rechtlich gleichgestellt werden.

Nur bestimmte Pflanzen fallen darunter

Der Clou am Entwurf: Lediglich sogenannte cisgene Pflanzen, also solche, die auch mit klassischen Methoden kreuzbar wären, fallen darunter. Natürliche Artengrenzen bleiben dabei akzeptiert. Aus wissenschaftlicher Sicht werden also lediglich gewisse Techniken legalisiert, damit unter Beibehaltung der natürlichen Artengrenzen schneller geforscht und gezüchtet werden kann. Die EU verspricht sich vom Gesetzesentwurf darum auch hauptsächlich eine Beschleunigung in der Pflanzenzüchtung und spricht von dringend nötigen Schritten angesichts von Klimawandel und zukünftiger Ernährungssicherheit.

Warum betrifft das die Schweiz?

Für die Schweiz ist der Prozess in der EU insofern relevant, als durch die bilateralen Verträge die EU-Gesetzgebung auch einen wesentlichen Einfluss auf die Schweizer Gesetzgebung ausübt. Obwohl die Prozesse in der EU lang sind und der Gesetzesvorschlag durch sämtliche 27 EU-Staaten ratifiziert werden muss, ist es klar, dass in der EU angegangene Themen auch irgendwann auf die Schweiz zukommen.

So reagierte die Schweiz

AboGentechnikNeue gentechnische Verfahren: Reaktionen in der Schweiz nach EU-GesetzesentwurfSamstag, 8. Juli 2023 Die Reaktionen aus der Schweiz kamen darum auch postwendend. Während die Befürworter des Entwurfs von dringend notwendigen Massnahmen sprechen, die auf wissenschaftlichen Grundlagen basierten, argumentieren die Gegner mit unbekannten Risiken für Mensch und Umwelt, Haftpflichtfragen sowie klaren Anforderungen an die Deklaration.

Zunahme an Pflanzenpatenten

Erstaunlich wenig Beachtung fand ein kleines Detail des vorgeschlagenen Gesetzes: Durch NGV erzeugte Pflanzen wären theoretisch patentier- und somit lizenzierbar. Das heisst, Firmen könnten neu Pflanzen patentieren, die auch durch klassische Züchtung entstanden sein könnten.

Die Schweiz muss sich mit dem Thema auseinandersetzen

Obwohl dies schwierig nachzuweisen ist, da die verwendeten Gene nicht artfremd sind. Könnte hier möglicherweise ein direkter Angriff auf das Landwirteprivileg vorliegen? Dieses ermöglicht den Landwirten, von der eigenen Ernte Saatgut nachzuziehen. Geklärt werden muss auch, ob in Zukunft Firmen bestimmten Züchtern den Zugang zu ihrem NGV-gezüchteten Pflanzen verwehren können. Die Schweiz kommt nicht umhin, solche Fragen zu klären.

Denn eines ist klar: Die neuen Technologien sind da, sie werden bereits von Pflanzenzüchtern erfolgreich eingesetzt und sie haben die Fähigkeit, die Pflanzenzüchtung voranzubringen.

AboGastbeitragPro und Contra: Braucht die Schweizer Landwirtschaft neue gentechnische Verfahren?Dienstag, 28. Februar 2023