An einem trüben November Samstag 1964 sass ich mit meiner damaligen Freundin auf dem Kanapee. Da bemerkte ich das erste Mal Schmerzen in meinem Kreuz. Jahre später wurde mir bewusst, dass diese Schmerzen die ersten Symptome von Morbus Bechterew (MB) waren.

Immer wieder Schmerzen

Als Landwirt mass ich diesen Schmerzen keine grosse Bedeutung zu, waren sie doch nur von kurzer Dauer. Einige Wochen später, ich arbeitete als Meisterknecht im Welschland, konnte ich einen halben Tag lang nicht mehr laufen. Am nächsten Tag waren die «Störungen» vorbei und ich suchte keinen Arzt auf. Oft ist es bei den Bauern so: Wenn eine Kuh nicht frisst, ist das ein grösseres Problem als ein Knecht, der vorübergehend nicht mehr laufen kann.

Doch von nun an plagten mich Rückenschmerzen, besonders nachts. Dies war für mich ein Grund, den Beruf zu wechseln. Nun begann der Kampf gegen die täglichen Schmerzen mit Schmerztabletten, «Löchlipflastern», heissen Bädern, Rheumasalbe etc. Aber am besten hat Holzspalten geholfen, wurden doch durch die Anstrengung die Muskeln besser durchblutet.

Der Alltag verändert sich

Mein Alltag verlief nun folgendermassen: Nachdem ich nachts schlecht geschlafen hatte, meistens im Korbstuhl, zog mir meine Frau am Morgen die Socken an, band mir die Schuhe, und mit einem leisen Fluch auf den Lippen machte ich mich auf zu meinen Kunden im Fricktal. Da ich wieder meinen Beruf gewechselt hatte, arbeitete ich nun als Berater in der Landwirtschaft. Die vielen Gespräche, meistens «unter dem Tennstörli», waren auch nicht gerade gesundheitsfördernd. Aber eigentlich habe ich wegen meiner Rheumakrankheit nie bei der Arbeit gefehlt.

Immer neue Therapien

Ich hatte viele liebe Kollegen, die mit Ratschlägen nie verlegen waren. So wurde viel versucht. Ein Kollege meinte, Fango und Massage würden mir helfen. So legte ich mich einige Male in den Fango und genoss danach eine wohltuende Massage. Diese Therapie war gut, aber dauerhaft hat es nicht geholfen. Nun kam der Besuch beim Chiropraktiker an die Reihe. Nach einer «gründlichen Untersuchung» riet mir dieser Spezialist zu einer Kur auf dem Streckbett. Diese Behandlung war furchtbar. So stelle ich mir als Leser von historischen Romanen die Folter vor.

«Wir haben auch diese Probleme gemeistert.»

 

Was habe ich gelernt? Absolviere nie eine Therapie, bevor eine genaue Diagnose vorliegt! Zu guter Letzt sprach ich in dieser Zeit bei einem jungen Arzt vor. Ich schilderte ihm meine Beschwerden und er untersuchte mich. Bei einer weiteren Besprechung meinte er: «Der Heiland und der Heizer wollen Sie noch nicht, Ihnen fehlt nichts!»

Ein Umzug bringt Veränderung

Im Sommer 1976 ging mein Bubentraum in Erfüllung und wir konnten ein Bauernhaus mit etwas Land kaufen. Wir bewirtschafteten das Land mit Weidrindern. Die Arbeit in der Landwirtschaft und an der frischen Luft war trotz Schmerzen für mich ein guter Ausgleich zur doch stressigen alltäglichen Arbeit. Durch den Wohnortswechsel ging ich auch bei einem neuen Hausarzt vorbei. Bei grossen Schmerzen bat er mich, auf den Bauch zu liegen und er setzte mir eine Spritze in den Rücken. Diese Massnahmen haben kurzfristig geholfen.

1977 absolvierte ich einen WK im Fricktal. Die Schmerzen waren schlimm. Nach dem Militärdienst meinte mein damaliger Chef: «Geh zum Arzt, die Folgen deiner gesundheitlichen Probleme bezahlt dann die Militärversicherung». Wie befohlen, suchte ich vor dem nächsten WK meinen Hausarzt auf. Dieser schrieb ein Zeugnis und ich wurde schnellstens vom Militärdienst befreit.

Nach der Diagnose MB fragte ich später diesen Mediziner, aufgrund welcher Diagnose ich eigentlich dienstfrei geworden sei, schliesslich habe man bei mir MB festgestellt. Da antwortete mir dieser Arzt: «Wissen Sie, die Diagnose MB ist ein Todesurteil!» Ich nahm diese Erklärung zur Kenntnis, fuhr ins nächste Restaurant, trank einen Kaffee und ging weiter meiner Arbeit nach.

Endlich eine Diagnose

Es gibt Vorfälle, die man nie vergisst. Im Sommer 1981 war ich mit dem Auto unterwegs, plötzlich erlitt ich einen Schwächeanfall, ich konnte kaum noch das Gaspedal runterdrücken. Aber dieser Zustand war nach kurzer Zeit vorbei und ich habe nicht weiter darauf geachtet.

Und dann erhielt ich endlich die Diagnose. Das kam so: An den Wochenenden half ich öfter meinem Bruder in der Landwirtschaft. Im Herbst 1982 stellten wir eine Maschine bereit, dabei bin ich beinahe kopfüber in die Jauchegrube gefallen. Und wir stellten verwundert fest, dass mein Rücken steif war. Jetzt fuhr ich zum Rheumatologen. Nach einem kurzen Gespräch meinte dieser Spezialist: «Herr Siegenthaler, Sie leiden an Morbus Bechterew, dies ist eine schlimme, unheilbare Krankheit, es ist aber nicht Krebs.» Ich war eigentlich froh, dass meine Schmerzen nun endlich einen Namen hatten.

Was ist Morbus Bechterew?

«Morbus Bechterew» (Spondylitis ankylosans) ist eine chronisch entzündliche, rheumatische Erkrankung mit Schmerzen und Versteifung von Gelenken. Hauptsächlich betroffen sind die Wirbelsäule und die Kreuz-Darmbein-Gelenke. Die Krankheit kann jedoch auch andere Körperstrukturen befallen.

Die genauen Ursachen von Morbus Bechterew sind nicht vollständig bekannt, scheinen aber im Zusammenhang mit einer Störung des Immunsystems zu stehen. Erste Symptome treten meist in der späten Jugend oder im frühen Erwachsenenalter auf. Zuerst äussern sie sich in stumpfem Schmerz in der Lenden- und Gesässregion. Dazu kommt morgendliche Steifheit, die sich mit Bewegung lindert und nach Ruhepausen wiederkehrt. Innerhalb weniger Monate ist der Schmerz permanent vorhanden.

Der Krankheitsverlauf ist unterschiedlich. Von leichter Steifheit bis zur kompletten Verschmelzung der Wirbel sind unterschiedliche Ausprägungen möglich. Starke Fälle ziehen entsprechend eine ausgeprägte Bewegunhsunfähigkeit des Oberkörpers nach sich. Wird Morbus Bechterew nicht behandelt, bilden Patienten starke Fehlhaltungen aus.

«Täglich Voltaren gegen die Schmerzen»

Nun begann die Therapie. Täglich Voltaren 100 gegen die Schmerzen. Diese rosaroten Kügelchen schlucke ich heute noch regelmässig, um Schmerzen vorzubeugen, denn Menschen mit Schmerzen sind oft gereizt, ungeduldig und «uliedig». Ich mute meiner Ehefrau nicht zu, mit einem unzufriedenen Partner zusammenzuleben. Auch machte ich nun mit der Physiotherapeutin Bekanntschaft.

Diese nette Frau lehrte mich abzuliegen und aufzustehen; mit dem «Vierfüssler-Stand» und dem «Katzenbuckel» versuchten wir meinen versteiften Körper zu lockern. Die halbe Stunde davor im Heublumenwickel war eine Wohltat. In den darauffolgenden Wintern besuchte ich einige Male die Reha-Klinik in Zurzach AG. Diese Behandlungen dort waren erfolgreich für mich. Auch konnte ich mich jeweils wieder etwas erholen.

Gymnastik und Sport helfen

Eine junge Physiotherapeutin konnte mich mit einem strengen Gymnastikprogramm überzeugen, regelmässig in der MB-Physiotherapie-Gruppe in Aarau mitzuturnen. Ich erachte die Besuche in einer MB-Gymnastikgruppe als sehr wichtig. Daher gründete ich, weil die Teilnehmerzahl in Aarau bald zu hoch war, zusammen mit dem verantwortlichen Rheumatologen und der Cheftherapeutin im Bezirksspital Zofingen AG im Jahre 1989 die Bechterew-Gruppe Zofingen (heute fast ein Dutzend Patienten). Darauf bin ich fast etwas stolz!

Noch ein Wort zum Sport: Der ist sehr wichtig. Da ich in Abänderung eines Mottos von einem Mönchsorden nach dem Grundsatz «spare und arbeite» aufgewachsen bin, habe ich gelernt, dass alle Aktivitäten etwas einbringen sollten. Ich würde lieber Waldarbeiten verrichten oder Tiere pflegen als z. B. mit Brettern an den Füssen in der Winterlandschaft im Kreis rum-zulaufen. Bei meinen Kuraufenthalten in Zurzach traf ich viele Rheumakranke mit Alkoholproblemen. Dies hat mich sehr geprägt: In dieser Zeit habe ich mich entschlossen, ganz auf Alkohol zu verzichten und bin dabei geblieben.

Die Bechterew-Vereinigung

Die Fachleute haben mich in dieser Zeit auch auf die Morbus-Bechterew-Vereinigung (SVMB) aufmerksam gemacht. Ich trat diesem Verein bald bei. Beim Studieren des vierteljährlich erschienenen Mitteilungsblattes fielen mir die vielen Todesanzeigen von 55- bis 60-jährigen Bechterew-Patienten auf. So glaubte ich, meine Lebenserwartung wäre auch eingeschränkt und ich würde den 60. Geburtstag nicht erleben. Man kann sich so täuschen im Leben! Diese Krankheit hat mich nun beschäftigt und interessiert. Meine Töchter und ich machten 1985 in einer MB-Studie mit. Dies würde ich nie mehr tun, wurde doch dadurch eine Tochter von mir als potenzielle Bechterew-Patientin abgestempelt.

«Täglich Voltaren 100 gegen die Schmerzen

 

Mit der Atemnot kam in dieser Zeit eine neue Behinderung dazu. Schon das Treppensteigen wurde zum Problem. Durch die Strukturveränderungen bei meinem Arbeitgeber traten auch Änderungen in meinem Beruf auf. Dies machte mich nervös und unsicher. Ich wollte mir Hilfe bei der SVMB holen. Da wurde ich aber sehr enttäuscht, hatte ich mir doch erhofft, dass eine medizinische Fachperson meine Vorgesetzten über Morbus Bechterew informieren würde. Seither bin ich der Meinung, die SVMB sollte einen «Ombudsmann» organisieren, der neue Bechterew-Patienten bei beruflichen Problemen bei den jeweiligen Arbeitgebern unterstützt (eventuell gibt es das nun, dies wäre sehr gut). Ich zog die Konsequenzen und trat aus dem MB-Verein aus.

Erst mit 50 für die IV angemeldet

Da 1994 weitere berufliche Veränderungen anstanden, beschloss ich, mich bei der IV anzumelden, mit dem Wunsch zur Umschulung. Bei der IV wurde ich später von einem Berufsberater freundlich begrüsst. Er sagte mir, dass der Vertrauensarzt gemeint habe, es sei erstaunlich, dass ich mich erst jetzt an die IV wende. Da ich schon 50-jährig war, fand der Berufsberater weiter, dass eine Umschulung nicht sinnvoll sei – es wäre fast unmöglich, für mich danach eine Arbeitsstelle zu finden. Sein Rat: «Gehen Sie zum Arzt, der soll Sie 50 % krankschreiben». Da ich gewohnt bin zu gehorchen, befolgte ich diesen Ratschlag. Kurz darauf wurde ich zum halben IV-Rentner mutiert. Zwei Jahre später gab es beruflich wieder Veränderungen und es ging mir auch gesundheitlich viel schlechter, so dass ich zu 100 % invalid geschrieben wurde. In dieser schwierigen Zeit hat mich mein Arbeitgeber verständnisvoll behandelt und unterstützt. Dafür bin heute noch dankbar.

Mehr Komfort im Stöckli

Seit dem 1. Januar 1997 bin ich nun nicht mehr beruflich tätig. Diese Umstellung war sehr hart und meine Ehefrau wurde dadurch krank. Aber wie viele andere Herausforderungen haben wir auch diese Probleme gemeistert. Ich möchte allen «Bechterewlern» anraten, möglichst lange zu arbeiten. Arbeiten ist eine gute Therapie bei Rheumakrankheiten. Bald wurden mir die Beschäftigungen in meinem Heimetli zu viel. Auch hatte ich Angst, bei der Betreuung der «Rindli» zu verunfallen, denn ich bin durch meinen steifen Rücken ein «Gstabi» geworden. So verkauften wir unser Bauernhaus unserer Tochter und unserem Schwiegersohn und zügelten in ein kleines, behindertengerechtes Einfamilienhaus (bei uns das Stöckli). Nun verbringe ich die Zeit mit Lesen und besuche nach Möglichkeit am Montag das Bechterew-Turnen in Zofingen. Auch dürfen am Morgen der Kaffee und das Zeitunglesen im Restaurant nicht fehlen.

Es ist nicht immer Morbus Bechterew

An Ostern 2019 bin ich zweimal gestürzt und mit der Ambulanz ins Kantonsspital überführt worden. Dort wurde ich untersucht und überwacht und schliesslich mit Tabletten und der Diagnose «Herzrhythmus-Störungen» nach 5 Tagen entlassen. Auch dort habe ich, wie schon an unzähligen anderen medizinischen Einrichtungen, die Frage deponiert: «Wieso kann ich seit rund 30 Jahren nicht mehr richtig atmen, was ist in meinem Brustkorb verändert?» Die Antworten waren immer: «Es ist halt der Bechterew.» Diagnosen ohne Untersuchungen. Nun zurück zum letzten Jahr. Da der Slogan der SVMB rund um die Uhr in meinen Ohren tönt («Bechterewler brauchen Bewegung»), habe ich michsehr aktiv betätigt. Im Laufe des Sommers hat mich nun meine Hausärztin zum Kardiologen geschickt. Dieser hat mich gründlich untersucht, seine Diagnose lautete: «Ihr Herz ist schwer krank, Sie müssen sich schonen!» Danach erfolgten Tests und ich wurde operiert (Bypässe), erlebte die Reha Barmelweid, dann erlitt ich zweimal eine Wundinfektion, die Folge waren ein Spitalaufenthalt und 4 Narkosen. Vor wurde ich wieder mit Blaulicht ins Spital Aarau eingeliefert.  Wieso schreibe ich dies alles auf?

«Absolviere nie eine Therapie, bevor eine genaue Diagnose vorliegt.»

 

Die Organisationen müssen mit Informationen und Ratschlägen vorsichtig sein. Behauptungen in Kurzform können nicht helfen, nein manchmal sind solche Aussagen sogar kontraproduktiv. Was habe ich gelernt? Bei «Bechterewlern» mit Atemnot ist nicht immer der Bechterew schuld und es müssen auch andere Ursachen für die Beschwerden abgeklärt werden.

Die Krankheit schränkt ein

MB ist eine schmerzhafte, schlimme, unheilbare Krankheit. Sie beeinflusst das Leben sowohl beruflich als auch in der Freizeit sehr stark. Durch die Behinderungen, also den steifen Rücken, Schmerzen und Atemnot, sind viele Aktivitäten nicht mehr möglich. Ich habe das Gefühl, dass mein Brustkorb mit zwei «Kälberstricken» zugeschnürt ist, und dass ich dadurch bei der kleinsten Anstrengung keuchen muss wie nach einem 100-Meter-Lauf. Probleme mit dem Ankleiden, der Körperpflege (wieso hat es in den öffentlichen Gebäuden eigentlich kein Dusch-WC?), und zu wenig Luft, nehmen mir die Lust am Reisen, Wandern und meinem Hobby, der Landwirtschaft und den Waldarbeiten. Da ich früher ein sehr aktiver Mensch gewesen bin, fehlen mir diese Beschäftigungen doch sehr.

Die Schwierigkeit mit der Wahrnehmung

Mir fällt auch das Desinteresse der Mitmenschen, teilweise sogar der Verwandten, an dieser Krankheit auf. Schliesslich sollte doch gerade bei den Nachkommen meiner Geschwister, bei «komischen Rückenschmerzen» an MB gedacht werden. Auch werden wir MB-Kranke eher verurteilt als «beurteilt». Sogar «Mit-Bechterewler» stören sich an meinem Übergewicht und meinem Kugelbauch. Ich begreife wohl, dass es für viele Zeitgenossen schwer ist zu verstehen, dass doch relativ aufgestellte Menschen ohne grössere äusserliche Anzeichen lange Jahre an einer unheilbaren Krankheit leiden.

Dank meiner lieben und hilfsbereiten Ehefrau, den verständnisvollen Töchtern und Schwiegersöhnen und natürlich den sieben lustigen und teils schelmischen Grosskindern ist es mir möglich, doch ein frohes, zufriedenes und dankbares Leben zu führen. Aber es braucht viel Kraft.

Schicksalsgeschichten: Erzählen Sie uns von Ihrem Leben!
Im Rahmen unserer Schicksalsserie lassen wir Personen mit bäuerlichem Hintergrund über schwierige und emotionale Themen sprechen, die unsere Leserschaft und Personen ausserhalb der Landwirtschaft beschäftigen. Dabei diskutieren wir Themen wie Generationenkonflikte, Fehlgeburten oder Todesfälle in der Familie. Aber wir möchten auch erfreuliche Erlebnisse teilen, so wie aussergewöhnliche Liebesgeschichten, Überraschungen im Stall oder Glücksfälle. Wir haben dieses Gefäss eröffnet, weil wir es wichtig finden, auch tabuisierte Themen anzusprechen und den Dialog darüber zu erleichtern.

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