Die Mähdrescher stehen in den Startlöchern. Die Gerstenernte beginnt dieses Jahr wohl früh. Wir haben bei Martin Streit, Berater und Lehrer am Inforama in Zollikofen, Kanton Bern, nachgefragt. Er geht davon aus, dass bis in einer Woche oder sogar früher die ersten Parzellen in der Umgebung geerntet werden. Heuer reife die Gerste extrem schnell ab, so Streit. Da er noch niemand kennt, der gedroschen hat, drückt er sich aber vorsichtig aus: «Mit allergröster Wahrscheinlichkeit werden wir sehr früh sein mit dreschen», sagt er.
Warme und trockene Witterung
Auch Pierre-Yves Perrin, Geschäftsführer des Schweizerischen Getreideproduzentenverband (SGPV) rechnet mit einer sieben bis zehn Tage früheren Ernte als in einem Normaljahr. Wichtiger als der Erntezeitpunkt ist für den SGPV jedoch die Qualität. Und diese scheint dieses Jahr zu stimmen. «Das Wetter hat gut mitgespielt, auch dank dem Regen letzte Woche», meint Perrin. Ausserdem sei der Krankheitsdruck relativ tief, die Saatbedingungen waren gut und es habe keine Winterschäden gegeben. «Wenn alles gut läuft, sollte es keine Qualitätsprobleme geben», sagt er. Auch Martin Streit ist zuversichtlich: Wenn die Gerste schön abreifen könne und es nicht noch sehr viel regne, seien keine grösseren Qualitätsprobleme zu erwarten.
Den Grund für die frühe Abreife sieht Martin Streit im recht trockenen Wetter und der jetzigen Hitzewelle. In der Region Bern habe die Reife schon vor den Regenschauern in der vergangenen Woche eingesetzt, damals sei es regional extrem trocken gewesen. Auch im Mai war es recht warm, auch das wohl ein Grund für die frühe Reife. Ob bei der schnellen Entwicklung auch die Notreife mitspielt, sei schwierig zu sagen, so Streit. Dabei wird die Kornausbildung nicht abgeschlossen, was ein kleineres Hektolitergewicht bedeutet. Eine Prognose zur Erntequalität sei daher schwierig abzugeben.
Immer mehr Extremjahre
Die voraussichtlich frühe Ernte 2022 steht im Gegensatz zu letztem Jahr, als die Gerste etwa um Mitte Juli so spät wie schon lange nicht mehr geerntet wurde. Wie sieht es in den nächsten Jahren aus? Tatsächlich erwartet Martin Streit, dass in Zukunft der Erntezeitpunkt häufiger schwanken wird und Extremjahre, ob mit früher oder später Ernte, zunehmen.
Weizen entwickelt sich gut
Im Weizen seien noch keine Anzeichen einer Abreife vorhanden, sagt Martin Streit. Grundsätzlich gebe es einen tiefen Krankheitsdruck wegen der trockenen Witterung. Dort könnte die Notreife jedoch eher ein Problem sein, wenn es trocken bleibt, besonders auf leichten Böden. Die Witterung in den nächsten Wochen wird zeigen, in welche Richtung sich die Weizenernte entwickeln wird.
Noch zu früh für Aussaat von längerdauernden Kunstwiesen
Wenn die Gerste früh geerntet wird, stellt sich die Frage, was nachher kommt. Im Idealfall könne man nach dem Dreschen direkt eine Gründüngung oder ein Zwischenfutter ansäen, um beispielsweise Unkräuter zu unterdrücken sagt Martin Streit. Aber eine längerdauernde Kunstwiesenmischung mache in diesem Fall keinen Sinn, da die Gefahr viel zu gross ist, dass die Keimlinge vertrocknen. «Zwischenfutter kann man wagen», sagt er. Die Zeit könne man aber auch bestens nutzen für eine Stoppelbearbeitung, um Wurzelunkräuter wie Quecke, Blacke oder Distel zu bekämpfen.