Moderne Getreidesorten sind auf Ertrag ausgelegt und daher abhängig von guten Anbaubedingungen, Dünger und Pflanzenschutzmitteln. Das ist eine weit verbreitete Meinung. Einer Studie von deutschen und australischen Forschern zufolge eine weit verbreitete Fehlmeinung.
Grossangelegtes Experiment
Die Studie verglich 191 verschiedene Winterweizen-Sorten, die in den letzten 50 Jahren (zwischen 1966 und 2013) auf den Markt kamen und in ihrer jeweiligen Zeit (in Deutschland) grossflächig angebaut wurden. In Feldern von 4,5 bis 12 m2 Fläche, je nach den lokalen Saat- und Erntemaschinen, bauten die Wissenschaftler die unterschiedlichen Sorten von 2014 bis 2015 und von 2017 bis 2018 nebeneinander an.
Manipulierte Faktoren
Sechs verschiedene Anbauregionen mit unterschiedlichen Böden, mit und ohne Fungizid, mit viel mineralischem Stickstoffdünger (220 kg N/ha) oder wenig (110 kg N/ha), mit Trockenstress oder Bewässerung (in einem Gebiet mit wenig Regen und leichten Böden).
Zusätzlich zu diversen anderen Messungen wurden auch genetische Analysen durchgeführt. So sollte getestet werden, ob neuere Sorten tatsächlich weniger widerstandsfähig und genetisch «verarmt» seien. Wenn nämlich die eingangs genannte Meinung stimmt, sollten jüngere Züchtungen mit erschwerten Anbaubedingungen (weniger Dünger, ohne Fungizid und Bewässerung) systematisch schlechter zurechtkommen als ältere, also weniger hochgezüchtete Sorten.
Messungen
Ertrag, Pflanzenhöhe, Biomasse (Gewicht Pflanze), Blühverhalten, Kornqualität, Physiologie (Blattfläche, Photosynthese, Stickstoff-Nutzungseffizienz), Genetik, Resistenzen (Blatt-Pilze), Proteingehalt.
Gute Leistung, gute Genetik
Die Resultate zeigen aber das Gegenteil: Die neuen Weizensorten lieferten höhere Erträge als die älteren, unabhängig von den Anbaubedingungen. Es wurde auch keine genetische Verarmung über die 50 Jahre Züchtung festgestellt. Generell konnte allerdings ein negativer Zusammenhang zwischen Eiweiss-Gehalt und Kornertrag im «high-input»-Szenario (mit Fungizid und viel Dünger) beobachtet werden.
Auch speziell für den Bio-Anbau zugelassene Sorten waren meist bei low-input nicht besser als konventionelle Züchtungen aus derselben Zeitperiode.
Ein Lob an die Sortenprüfung
Die genetischen Analysen zeigten, dass über die Jahre die Anzahl «schädlicher» DNS-Abschnitte durch die Arbeit der Züchterinnen und Züchter abnahm. Gleichzeitig wurde anscheinend nicht nur auf Ertrag selektiert, sondern ebenso auf Robustheit (etwa in Versuchen ohne Fungizide). Auch in der Schweiz müssen neue Sorten erst eine sorgfältige Prüfung durchlaufen, bevor sie für die Aussaat empfohlen werden; sie werden standardmässig unter Extenso-Bedingungen getestet. Der Aufwand lohnt sich offensichtlich, denn der Weizen blieb trotz der gezielten Züchtung offenbar genetisch vielfältig und damit anpassungsfähig.
Damit widerspricht diese Studie dem Resultat einer anderen europäischen Forschungsarbeit, die dem Weizen eine sinkende Anpassungsfähigkeit an den Klimawandel bescheinigte. Die deutschen und australischen Forscher kritisieren die genannte Studie; von den Reaktionen des Getreides auf Umweltfaktoren auf das genetische Potenzial zu schliessen, sei der falsche Ansatz. Dazu seien Erbgut-Analysen nötig.
Keine Inhaltsstoffe analysiert
Aber auch diese neue Studie könnte man kritisieren. So fokussierte sie stark auf den Ertrag und liess die Inhaltsstoffe des Weizens ausser Acht. Damit kann sie keine Antwort geben auf die Frage, ob neuere Sorten tatsächlich weniger verträglich und alte gesünder sind.
Gemäss den Studienautoren dieser Arbeit sollte es möglich sein, konventionelle Hochertrags-Sorten mit weniger intensiven Anbau-Methoden anzubauen. Allerdings wurden beim "low-input"-Szenario lediglich weniger Dünger gegeben und kein Fungizid gespritzt. Wachstumsregulatoren, Nährstoffgaben (ausser Stickstoff) und Insektizide wurden aber auch dort eingesetzt. Die Unkrautregulierung war zudem überall gleich ("standard"). Das "low-Input"-Szenario kann folglich nicht mit einer biologischen Anbauweise gleichgesetzt werden.
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