Seit Sonntag wissen wir: Das Schweizer Parlament wird grüner. Von einer «grünen Welle» ist die Rede. Denn die Prognosen haben allesamt unterschätzt, wie stark das Thema Klimawandel die Bevölkerung beschäftigt. Die Grünen gewinnen 17 Sitze dazu, überholen die CVP als viertstärkste Partei und sorgt für eine kleine Sensation. Seit 1919 ist es keiner Partei gelungen, so viele Sitze zu gewinnen. Auch die Grünliberalen können ihren Einfluss um neun Sitze ausbauen (Hier gehts zur Berichterstattung vom Wahlsonntag).

Die bäuerliche Vertretung im Nationalrat

Es liegt auf der Hand, das mit der Veränderung im Parlament auch die Kräfteverhältnisse für die landwirtschaftliche Vertretung verändert haben.

Von den bisherigen Nationalrätinnen und Nationalräten sind folgende bäuerlichen Vertreterinnen und Vertreter im Nationalrat geblieben:

  • Andreas Aebi (SVP/BE)
  • Frédéric Borloz (FDP/VD)*
  • Jacques Bourgeois (FDP/FR)
  • Christine Buillard-Marbach (CVP/FR)
  • Marcel Dettling (SVP/SZ)
  • Mike Egger (SVP/SG)*
  • Maya Graf (GPS/BL)
  • Jean-Pierre Grin (SVP/VD)
  • Jean-Paul Gschwind (CVP/JU)
  • Martin Haab (SVP/ZH)
  • Hansjörg Knecht (SVP/AG)
  • Leo Müller (CVP/LU)
  • Jaques Nicolet (SVP/VD)
  • Nicolo Paganini (CVP/SG)
  • Pierre-André Page (SVP/FR)
  • Nadja Pieren (SVP/BE)
  • Markus Ritter (CVP/SG)
  • Albert Rösti (SVP/BE)
  • Werner Salzmann (SVP/BE)
  • Erich Von Siebenthal (SVP/BE)

Im Ständerat konnten die drei Bisherigen ihren Sitz verteidigen:

  • Peter Hegglin (CVP/ZG)*
  • Brigitte Häberli-Koller (CVP/TG)*
  • Ständerat Hannes Germann (SVP/SH)

Ausserdem konnte Daniel Fässler (CVP/AI)* einen Sitz in der kleinen Kammer ergattern. Der Präsident von Wald Schweiz wird auch zu den bäuerlichen Vertretern gezählt.

Neu hinzu kommen folgende Nationalrätinnen und Nationalräte:

  • Christine Badertscher (GPS/BE)
  • Simone De Montmollin (FDP/GE)
  • Esther Friedli (SVP/SG)
  • Andreas Gafner (EDU/BE)
  • Manuel Struper (SVP/TG)

Bei den landwirtschaftsnahen Vertretern konnten folgende Parlamentarier ihren Sitz behaupten:

  • Nationalrätin Verena Herzog (SVP/TG)
  • Nationalrat Christian Lohr (CVP/TG)

Neu hinzu kommen im Nationalrat Kilian Baumann (GPS/BE) derweil im Ständerat Jakob Stark (SVP/TG) neu den Kanton Thurgau vertreten wird.

Biobauer Baumann zählt zu den bäuerlichen Parlamentariern, obwohl er auf eine Unterstützung durch den Berner Bauernverband verzichtete; Jakob Stark indes zählt nicht zum Klub der bäuerlichen Parlamentarier, da er keinen eigenen Betrieb führt.

* In einer ersten Artikel-Version fehlten verschiedene bäuerliche Interessenvertreter und -VertreterInnen.

 

Nachwahlen für Ständerat könnte die Kräfteverhältnisse verschieben

Insgesamt hat die Landwirtschaft rund 29 direkt von Bauernverbänden unterstützte Mitglieder im Nationalrat. Ob das definitiv so bleibt, muss sich erst noch zeigen. Grund dafür sind die in einzelnen Kantonen noch offenen Rennen um den Ständerat.

So sind Maya Graf (Grüne/BL), Hansjörg Knecht (SVP/AG) und Werner Salzmann (SVP/BE) zwar im ersten Wahlgang am absoluten Mehr gescheitert. Gleichwohl sind die drei aussichtsreiche Anwärter (bzw. im Fall von Graf Anwärterin) auf den Sitz im Stöckli.

Brenzikofer könnte für Graf kommen

Würde Maya Graf der Einzug ins Stöckli gelingen, würde an ihrer Stelle Florence Brenzikofer in die grosse Kammer nachrücken. Die Sekundarlehrerin ist derzeit Vizepräsidentin der Grünen Schweiz und ist Präsidentin der Finanzkommission im Landrat vom Kanton Baselland.

Heimgartner könnte auf Knecht folgen

Wenn Hansjörg Knecht der Sprung ins Stöckli gelänge, dann würde an seiner Stelle aller Voraussicht nach Stefanie Heimgartner in den Nationalrat nachrücken. Heimgartner ist Eidg. Dipl. Betriebsleiterin im Strassentransport und sitzt nach eigenen Angaben oft selber am Steuer eines Lastwagens. Seit 2013 arbeitet sie im elterlichen Transportunternehmen; seit 2012 sitzt Heimgartner für die SVP im Aargauischen Grossen Rat. Für bäuerliche Vertreter interessant dürfte es werden, wenn der SVP-Politiker Jean Pierre Gallati den Sprung in den Regierungsrat schaffen würde. Dann nämlich würde Alois Huber – derzeit auf dem zweiten Ersatzplatz und Präsident des Bauernverbandes Aargau – auch in die grosse Kammer nachrutschen können.

Priska Wismer könnte für Andrea Gmür nachrutschen

Den ersten Platz der Nichtgewählten auf der Luzerner CVP Liste erreichte Bäuerin Priska Wismer aus Rickenbach LU. Sie dürfte nachrutschen, falls im zweiten Wahlgang Andrea Gmür den Wechsel vom National- in den Ständerat schafft.

Thalmann in Lauerstellung

Einen Spitzenplatz erreichte auch Bäuerin Vroni Thalmann, Flühli LU auf der SVP-Liste, und ist damit in Lauerstellung. Falls der als Nationalrat bestätigte Franz Grüter im zweiten Wahlgang den Sprung in den Ständerat schaffen würde, oder die ebenfalls wiedergewählte Yvette Estermann das angestrebte Stadtrats-Präsidium von Kriens gewinnen würde, so könnte auch Thalmann demnächst noch als neue Nationalrätin nachrutschen.

Guggisberg könnte für Salzmann nachrutschen

In Bern hat keiner der Ständeratskandidatinnen und -Kandidaten das absolute Mehr für den Einzug ins Stöckli erreicht. Würde Werner Salzmann für den Kanton Bern in den Ständerat einziehen, hiesse sein Nachfolger in der Grossen Kammer Lars Guggisberg. Guggisberg ist seit 2010 Mitglied des Grossen Rats im Kanton Bern, Fürsprecher und Dozent für Wirtschaftsrecht sowie Geschäftsführer der Sektion Biel und Lyss des Industrievereins des Kantons Bern. 

Die Nachwahlen sind im Kanton Aargau und im Kanton Baselland auf den 24. November festgelegt. Im Kanton Bern findet der zweite Wahlgang am 17. November statt.

 

An den Argumentationslinien wird sich wenig ändern

Das neue Parlament wird kaum etwas an den bestehenden Argumentationslinien ändern. So macht sich Werner Salzmann "grosse Sorgen um die Agrarpolitik." Der Berner SVP-Nationalrat betonte schon am Wahlsonntag, dass eine zu starke Ökologisierung das falsche Rezept für die Schweizer Landwirtschaft sei.

 

Gewohnt anders argumentieren derweil die Grünen. Die neu gewählten Nationalratsmitglieder Christine Badertscher und Kilian Baumann wollen beide eine umwelt- und sozialverträgliche Landwirtschaft. Beide wollen den Biolandbau und eine kleinräumige Landwirtschaft fördern. Badertscher eher in Bezug auf das Konsumverhalten und die ökologischen Leistungen der Landwirtschaft, Baumann eher in Bezug auf die Strukturen. Mit dem neuen Parlament dürfte diese Argumentation mehr Gewicht erhalten. 

 

Beide Videos sorgten auf unserer Facebook-Seite für ein paar Kommentare - unterstützende wie auch ablehnende. Es ist deshalb möglich, dass in der 51. Legislatur vermehrt innerlandwirtschaftliche Konflikte in der breiteren Öffentlichkeit diskutiert werden.

Herausfordernde Situation für Landwirtschaft

Der Präsident des Schweizer Bauernverbandes, Markus Ritter (CVP/SG), betont im Interview deshalb, dass das Finden von politischen Mehrheiten für die Bauernfamilien anspruchsvoller werde. Weniger optimistisch ist die Analyse in der Zeitung «Der Bund»: Am Montag heisst es, dass für die Bauern schwierige Zeiten anbrechen. «Ihr komfortables Mehr von 110 bis 120 Stimmen im Nationalrat haben sie verloren, sie müssen sich auf mehr ökologische Auflagen und Subventionskürzungen für die konventionelle Landwirtschaft einstellen. Hingegen können sie von den Grünen mehr Unterstützung für Einschränkungen des Freihandels erwarten, nicht jedoch von der GLP.»

Ob und wie stark dass es tatsächlich schwieriger wird, zeigt sich nach dem 2. Dezember 2019. Dann wird das neue Parlament vereidigt.