Noch bis Ende 2021 dürfen in Deutschland männliche Geschwister von Legehennen getötet werden. Bis anhin waren es laut dem deutschen Bundesministerium für Ernärung und Landwirtschaft (BMEL) etwa 45 Millionen Küken, die mehrheitlich vergast wurden. Mit rund drei Millionen vergaster Junghähne pro Jahr ist das Ausmass des Kükentötens in der Schweiz vergleichsweise klein. Ebenso verhält es sich mit dem politischen Willen, ein Totalverbot für diese Praktik zu verhängen.
Vergasen ja, Schreddern nein
Seit 2020 dürfen hierzulande Küken nicht mehr geschreddert werden. Die Methode kam zwar laut Bundesrat sowieso nur in wenigen Brütereien und ausnahmsweise zum Einsatz. Da einzelne Tiere z. T. aber verletzt überlebten, war die Kritik daran gross.
Das Schredderverbot geht zurück auf eine Petition der Veganen Gesellschaft Schweiz, die von der Kommission für Wissenschaft, Bildung und Kultur des Nationalrats (WBK-N) in einer Motion aufgenommen worden ist. Weiterhin erlaubt ist das Vergasen von Küken mit CO2. Der definitive Ausstieg aus dem Kükentöten ist zwar auf dem Papier beschlossene Sache, in der Praxis aber noch ausser Sichtweite.
Kein Zeitplan für den Ausstieg
Gallo Suisse hat 2020 beschlossen, künftig keine Küken mehr zu töten. Als Alternative sieht der Verband Schweizer Eierproduzenten aber nicht primär Zweinutzungsrassen oder die Aufzucht von Brüderhähnen, die beide ökologisch nachteilig seien. Vielmehr liegen die Hoffnungen auf der Geschlechtsbestimmung im Ei. Da bisher noch keine massentaugliche Technik verfügbar sei, konnte Gallo Suisse keinen Zeitplan für den Ausstieg aus dem Kükentöten vorlegen.
Für Deutschland ist das Verbot quasi ein Ausstieg ins Blaue hinein – zumindest, was die Geschlechtsbestimmung im Ei angeht: Gemäss BMEL können heute pro Woche 60‘000 Bruteier als weiblich identifiziert werden – das entspricht 3,12 Millionen pro Jahr und ist eine zu kleine Leistung, um in allen deutschen Brütereien eingesetzt zu werden. Zweinutzungsrassen und Bruderhähne müssen also bis auf Weiteres Teil der deutschen Lösung sein.
«Verbot nicht angebracht»
In Anbetracht des Stands der Technik ist es aus Sicht des Bundesrats nicht angebracht, in der Schweiz auch das Vergasen von Küken zu verbieten. Das Verbot könnte noch nicht durchgesetzt werden, schreibt er in seiner Stellungnahme zur Motion «Deutschland macht es vor. Kükentöten verbieten» von Nationalrätin Meret Schneider (Grüne / ZH). Gleich lautete seine Argumentation auch 2020, als Schneider eine ähnliche Motion eingereicht hatte. Schweizer Brütereien müssten bei einem Totalverbot aus wirtschaftlichen Gründen schliessen und Eintagsküken aus dem Ausland importiert werden. In Deutschland ist dies bereits teilweise Realität geworden: In der Geflügelhochburg Gütersloh haben laut Medienberichten eine Reihe von Brütereien aufgegeben. Man befürchte, das keine überleben wird.
Ähnliches geschieht bereits für die Produkt der Respeggt-Eier, die in der Migros verkauft werden: Die Geschlechtsbestimmung passiert in Holland und die identifizierten Hennen kommen dann in die Schweiz, um als Freilandhühner gehalten zu werden. Die männlichen Eier bleiben in Holland und werden zu Tierfutter, wie Mediensprecher Patrck Stöpper gegenüber der BauernZeitung erklärte.
Beide Vorstösse von Meret Schneider für ein Ende des Kükentötens wurden noch nicht im Erstrat behandelt – obwohl seit der ersten über ein Jahr vergangen ist. Wann und ob die Schweiz mit Deutschland gleichziehen wird, ist unklar.
Die Abstimmung erfolgt im Laden
Gallo Suisse sieht den Ball bei den Schweizer Konsumentinnen und Konsumenten, die sich für Eier ohne Kükentöten entscheiden und entsprechend höhere Preise bezahlen müssten. «Die Schweizer Eierproduzenten sind bereit, ihren Beitrag zum Ausstieg aus dem Kükentöten zu leisten», schrieb die Vereinigung anlässlich der Ausstiegserklärung.
Der Schweizer Detailhandel hat indes verschiedentlich den Ruf nach Eiern ohne Kükentöten gehört. Die Migros nahm wie erwähnt Respeggt-Eier ins Sortiment auf, die mittlerweile schweizweit erhältlich sind. Der Verkauf sei gut angelaufen und man erhalte positive Rückmeldungen aus der Kundschaft, weil für diese Eier keine Küken getötet würden, heisst es auf Anfrage. Ausserdem hat die Migros das Angebot an Demeter-Eiern ausgebaut. Letzteres gilt auch für Coop. Bei dieser Produktionsform müssen Bruderhähne aufgezogen werden und Coop wie Migros verzeichnen eine steigende Nachfrage nach diesen Eiern. Aldi Suisse zieht nach drei Jahren eine positive Bilanz zu seinem Programm «Henne und Hahn» – die Verkaufszahlen hätten sich gut entwickelt.
Eine Branchenlösung ist in Arbeit
Was die Geschlechtsbestimmung im Ei angeht ist die Migros im Schweizer Detailhandel eine Pionierin. «Wir beobachten die Entwicklung bei der Geschlechtserkennung im Ei mit grossem Interesse und beteiligen uns an den laufenden Diskussionen für eine Branchenlösung in der Schweiz», schreibt Coop-Sprecherin Melanie Grüter. Eine solche soll, wie es Gallo Suisse in Aussicht gestellt hat, sowohl die hohe Produktionssicherheit als auch hohes Tierwohl gewährleisten.
Auch eine rechtliche Frage
Die deutsche Regierung begründet das Totalverbot einerseits mit der Forschungsförderung zur Geschlechtsbestimmung im Ei und praxistauglichen Methoden, andererseits aber auch rechtlich: Das Bundesverwaltungsgericht hat in zwei Urteilen festgestellt, dass das Kükentöten nach den heutigen Wertvorstellungen nicht mit dem Saatsziel des Tierschutzes vereinbar sei. Es beruhe nicht auf einem vernünftigen Grund, der Tierschutz wiege schwerer als das wirtschaftliche Interesse der Brutbetriebe, die Folgekosten der männlichen Küken aus Legelinien zu vermeiden.
Beim Schweizer Vergasungsverbot argumentierte die zuständige Ständeratskommission mit der ethischen Frage, ob es akzeptabel sei, «ein Küken einzig aus dem Grund zu töten, dass es ein Männchen aus einer Legelinie ist». Für Motionärin Meret Schneider ist klar, dass auch das Vergasen vor dem Hintergrund des tierschutzrechtlichen Würdeschutzes nicht hinnehmbar ist.