«Es ist nicht so, dass für die Biodiversität nichts unternommen wird», ist sich Franziska Grossenbacher bewusst. Das gelte auch für die Landwirtschaft. Die stellvertretende Geschäftsleiterin der Stiftung Landschaftsschutz Schweiz erinnerte an der Vereinstagung von Pro Agricultura Seeland aber auch an die grosse Anzahl bedrohter Arten hierzulande. Dass Massnahmen ergriffen würden, sei gut und richtig, «aber es reicht offenbar nicht, um den dramatischen Artenschwund aufzuhalten». Die Biodiversitäts-Initiative (BDI) wolle dieses Problem angehen.
Trotzdem genug zum Produzieren
[IMG 5]Angesichts der Ablehnung der Initiative in Landwirtschaftskreisen war klar, dass an der Tagung gegensätzliche Meinungen aufeinanderprallen würden. Sie stand unter dem Titel «Die Landwirtschaft im Spannungsfeld zwischen Ernährungssicherheit und Biodiversität». Die BDI nehme alle Sektoren in die Pflicht, denn der Erhalt der Lebensgrundlagen sei eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, sagte Franziska Grossenbacher. «Gleichzeitig lässt die Initiative Raum für die nötige Produktion von Lebensmitteln und von erneuerbaren Energien», so die Landschaftsschützerin. Das sieht SVP-Nationalrat Hans Jörg Rüegsegger ganz anders. Die BDI sei «extrem», weil im Initiativtext von bewahren die Rede und keine Abwägung vorgesehen sei zwischen Schutz- und Nutzungsinteressen. Gleichzeitig legte er Wert auf die Feststellung, die Biodiversität sei wichtig für die Landwirtschaft und umgekehrt. «Wenn die Initiative aber so umgesetzt wird, wie bisher angedacht, verlieren wir eine Fläche von der Grösse des Kantons Aargaus an LN», so Rüegsegger, der für seine Berechnungen von 30 Prozent für die Biodiversität geschützter Landesfläche ausging. Die Produktion von Brotgetreide, Kartoffeln, Zuckerrüben und Raps würden «mutmasslich» um 15 Prozent einbrechen. Das widerspreche auch den Zielen der Agrarpolitik, die eine um 50 Prozent höhere Arbeitseffizienz und mehr pflanzliche Proteine fordere.
Ein rotes Tuch wie Franziska Herren
«Sie haben eine Kristallkugel, die ich nicht habe», meinte darauf Franziska Grossenbacher. Die Forderung nach 30 Prozent der Landesfläche für die Biodiversität stehe nicht im Initiativtext. Und «Ist Bewahren extrem?», stellte sie eine Frage in den Raum. Hans Schori, Vizepräsident von Pro Agricultura Seeland, moderierte die Diskussion und nannte die Landschaftsschützerin versehentlich «Frau Herren». Die Erinnerungen an Franziska Herren, das Gesicht der Trinkwasser-Initiative, waren geweckt. «Ich bin zwar nicht Frau Herren, aber offenbar ebenso ein rotes Tuch», bemerkte Grossenbacher.[IMG 3]
Ökologische Infrastruktur aufbauen
Nadine Degen, Sektionschefin Landwirtschaft des Kantons Freiburg, gelang ein Brückenschlag zwischen den Fronten. «Wir wollen besser, aber nicht weniger produzieren», erläuterte sie die Maxime des Kantons Freiburg. Die Ernährungssicherheit sei eine Aufgabe, ebenso wie die Biodiversität. «Wir wissen, dass es die Biodiversität braucht, das streitet heute keiner ab», stellte Degen klar. Sie erläutere, wie man in Freiburg bei der Umsetzung der Ökologischen Infrastruktur (ÖI) vorgeht, mit der die Kantone schon vor Jahren vom Bundesrat beauftragt worden sind. Dabei werden Siedlungsgebiete und Wald ebenso einbezogen wie Landwirtschaftsflächen und es habe mehrere Gesprächsrunden mit Bauern gegeben. «Die ÖI soll nicht auf Kosten der Lebensmittelproduktion aufgebaut werden», fuhr die Sektionschefin fort. Sie sehe in Ernährungssicherheit und Biodiversität keinen Gegensatz, auch wenn es aufgrund begrenzter Fläche schwierig sei, sie als gegenseitige Ergänzung zu sehen. «Für Agronomen und Biologen ist klar, dass beides geht, etwa dank der Vernetzung bestehender Flächen, Korridore oder Kleinstrukturen», ergänzte Degen. Hans Jörg Rüegsegger lobte die Reihenfolge Siedlungsraum – Wald – Landwirtschaft, mit der in Freiburg der Aufbau der ÖI angegangen werde. Franziska Grossenbacher erklärte, die Pläne in ihrer Heimatgemeinde Muri b. Bern, wo sie sich als Politikerin mit der ökologischen Aufwertung befasse. «Auf den Flächen der Gemeinde anfangen und dann die Privaten angehen», erläuterte sie das Vorgehen, mit dem Muri zur Pioniergemeinde in Sachen ÖI werden solle.
Die Biodiversitäts-Initiative im Wortlaut
Folgendes soll in der Bundesverfassung stehen:
1. In Ergänzung zu Artikel 78 sorgen Bund und Kantone im Rahmen ihrer Zuständigkeiten dafür, dass:
a. die schutzwürdigen Landschaften, Ortsbilder, geschichtlichen Stätten sowie Natur- und Kulturdenkmäler bewahrt werden;
b. die Natur, die Landschaft und das baukulturelle Erbe auch ausserhalb der Schutzobjekte geschont werden;
c. die zur Sicherung und Stärkung der Biodiversität erforderlichen Flächen, Mittel und Instrumente zur Verfügung stehen.
2. Der Bund bezeichnet nach Anhörung der Kantone die Schutzobjekte von gesamtschweizerischer Bedeutung. Die Kantone bezeichnen die Schutzobjekte von kantonaler Bedeutung.
3. Für erhebliche Eingriffe in Schutzobjekte des Bundes müssen überwiegende Interessen von gesamtschweizerischer Bedeutung vorliegen, für erhebliche Eingriffe in kantonale Schutzobjekte überwiegende Interessen von kantonaler oder gesamtschweizerischer Bedeutung. Der Kerngehalt der Schutzwerte ist ungeschmälert zu erhalten. Für den Moor- und Moorlandschaftsschutz gilt Artikel 78 Absatz 5.
4. Der Bund unterstützt die Massnahmen der Kantone zur Sicherung und Stärkung der Biodiversität.
Übergangsbestimmung: Bund und Kantone erlassen die Ausführungsbestimmungen zu Artikel 78a innerhalb von fünf Jahren nach dessen Annahme durch Volk und Stände
Kritik am Lebensstil
Dass für die Ernährungssicherheit nicht nur die verfügbare Fläche ausschlaggebend ist, kam an der Tagung ebenfalls zum Ausdruck. In der Reduktion von Food Waste sieht Nadine Degen einen grossen Hebel, es sei «eine Frechheit», dass dieser nicht häufiger in diesem Zusammenhang diskutiert werde. Franziska Grossenbacher stiess ins selbe Horn: Das Problem sei nicht eine zahlenmässig zu grosse Bevölkerung in der Schweiz, sondern deren Lebensstil auf zu grossem ökologischen Fussabdruck. Sie zeigte eine Werbebeilage mit Aktionsangeboten von lauter Importware – von Erdbeeren bis Fleisch. «Mit einer anderen Kommunikation könnten wir schon viel erreichen», findet die Landschaftsschützerin.
Vergraulter Nachwuchs und fehlendes Personal
[IMG 4]Für Bio-Landwirt Stefan Krähenbühl fehlt in der Debatte um Ernährungssicherheit der menschliche Aspekt: «Da können wir noch lange über den Boden reden, wenn wir es den Jungen so zum Verleiden machen». Zur Vorbereitung auf sein Referat habe er sich mit den Vorschriften seitens Behörden noch einmal intensiv beschäftigt und selbst gestaunt, wie schnell sich diese in den letzten Jahren verändert hätten – plötzliche Kehrtwenden inklusive. «Bei all diesen Vorgaben habe ich null Chance, ich bin persönlich überfordert.» So verliere man die Jugend, warnte der Freiburger in Richtung Bund und Kantone. «Macht das noch eine Generation, dann liegt das Seeland brach.» Es könne doch nicht sein, dass in der Betriebsleiterschule nur Leute seien, die zuhause bereits einen Betrieb hätten. Die Bedeutung von Fachkräften und Mitarbeitenden aus dem Ausland werde im Übrigen unterschätzt – «Personal ist ein limitierender Faktor, das meine ich ernst».
Zuversicht zum Schluss
Falls die Biodiversitäts-Initiative angenommen wird, so wünscht sich Hans Jörg Rüegsegger eine Umsetzung «von unten nach oben»: Die Landwirtschaft abholen, gesamtgesellschaftlich und nachhaltig denken. Nadine Degen plädierte in ihrem Schlusswort dafür, ab und zu einen Schritt zurückzumachen und die andere Seite ebenfalls zu sehen. «Ich frage mich bei diesen Diskussionen: Warum bekämpfen wir uns immer?» Auch brachte sie ihre Zuversicht zum Ausdruck, denn es gebe vermehrt junge Menschen, die Lebensmittel zu schätzen wüssten und viele Jugendliche, die ins Berufsfeld Landwirtschaft zögen. Schliesslich sei es schön, eine so sinnvolle Arbeit zu haben, gab die Freiburgerin zu bedenken. «Ich glaube stark an die Jugend», bekräftigte sie.[IMG 2]