«So oder so, im Juli ist alles gegessen», fasste Sandra Helfenstein vom Schweizer Bauernverband (SBV) einleitend zusammen, was die Statistiken sagen. Demnach steht am kommenden Sonntag, 9. Juli 2023 der «Food-Overshoot-Day» bevor, ab dem die inländische Bevölkerung nach dem Konsum der gesamten in der Schweiz produzierten Jahresmenge an Lebensmitteln für den Rest des Jahres auf Importe angewiesen ist. Auf dieses Datum machten IP-Suisse (IPS) und der SBV mit einer Medienkonferenz aufmerksam, denn ansonsten würde kaum jemand etwas davon mitbekommen.
Die vierfache Herkulesaufgabe
Für die wohlhabende Schweiz sind Importe kein Problem und die im Vergleich zum Einkommen tiefen Lebensmittelpreise führen zu einem allzu sorglosen Umgang mit Esswaren. «Ein Drittel Food Waste, das ist nicht normal», hielt IPS-Geschäftsführer Christophe Eggenschwiler fest. SBV-Direktor Martin Rufer sprach von einer «Herkulesaufgabe»: Die Produktion auf den limitierten Agrarflächen und unter sich verändernden Klimabedingungen so zu erhöhen, dass die stetig steigende Nachfrage gedeckt werden kann – dies, ohne die natürlichen Ressourcen zu übernutzen.
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«Eine moralische Pflicht»
Angesichts von Hunger, Mangelernährung und exportiertem ökologischem Fussabdruck des Schweizer Konsums sieht es Rufer aber als moralische Pflicht der hiesigen Landwirtschaft, einen möglichst grossen Beitrag an die Versorgung des Landes zu leisten. «So umweltfreundlich wie möglich so viel Essen wie nötig bereitstellen», formulierte er die Aufgabe, die es zu lösen gilt.
Drei Gründe für sinkenden Inlandanteil
Aktuell zeigt sich allerdings ein gegenläufiger Trend, führte Markus Ritter aus. Heute deckt die Schweizer Landwirtschaft rund die Hälfte des hiesigen Konsums und der konsumbedingte Fussabdruck zeichnet sich zu zwei Dritteln im Ausland ab. Der SBV-Präsident sieht drei Gründe dafür, dass der Inlandanteil am Lebensmittelbedarf der Schweiz stetig abnehme:
- Schwund der landwirtschaftlichem Nutzflächen durch Verbauung
- Wachsende Bevölkerung, d.h. steigende Nachfrage
- Zunehmende Auflagen, die zur Extensivierung der Produktion und damit kleineren Erträgen führen
«Wir müssen davon wegkommen, stetig an den Schrauben der landwirtschaftlichen Produktion zu drehen und dabei zu hoffen, dass der Konsum nachhaltiger wird»,
betonte Ritter. Daher begrüsst er den vom Parlament eingeschlagenen Weg hin zu einer Ernährungs- statt einseitiger Agrarpolitik.
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Der Käfer braucht Flughilfe
Für den SBV ist IP-Suisse ein Musterbeispiel dafür, wie Produktion und Umweltschutz in Einklang gebracht werden können. Doch der Käfer hat ein Absatz- bzw. Wirtschaftlichkeitsproblem, ging aus dem Referat von Christophe Eggenschwiler hervor. Zwar böten die IPS-Richtlinien den Betrieben genügend Flexibilität für ihre unternehmerische Freiheit, der ständige Kampf für eine die Mehrkosten deckende Prämien bzw. ebensolche Preise sei aber hart. Das liege auch an der starken Konkurrenz unter den Detailhändlern. «Gleichzeitig sollen IP-Suisse-Produkte erschwinglich sein, denn je mehr Menschen sie kaufen, desto nachhaltiger wird die Schweizer Landwirtschaft», erklärte Eggenschwiler. Er hält das für ein erreichbares Ziel, wenn alle Stufen der Wertschöpfungskette effizient zusammenarbeiten. «Wir müssen viel mehr Brücken bauen, statt über Gräben zu reden», ist der IPS-Geschäftsführer überzeugt.
Kein Bioland Schweiz
Trotz allem ist der SBV überzeugt, dass die Schweiz nicht ohne Importe auskommen kann. Diese seien allerdings nachhaltig zu gestalten und so, dass die Inlandproduktion weder geschwächt noch verdrängt wird. Das gab Nadine Trottmann zu bedenken, die als Fachmitarbeiterin Agrarwirtschaft beim SBV am neuen Fokusmagazin zur Ernährungssicherheit mitgewirkt hat. «Durch die hohe Bevölkerungsdichte und die kleine Fläche kann die einheimische Landwirtschaft nicht den ganzen Bedarf der Schweiz decken, ohne die natürlichen Ressourcen zu übernutzen», so Trottmann.
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Den Ausbau der Landwirtschaft mit ökologischen Mehrleistungen – z. B. unter dem IPS-Label – begrenze aktuell in erster Linie die Wirtschaftlichkeit für die Bauernbetreibe, pflichtete Markus Ritter Christophe Eggenschwiler bei. Ritter – selbst Biolandwirt – sprach sich aber explizit gegen ein 100-prozentiges Bioland Schweiz aus. Mit IPS lasse sich das Optimum aus den vorhandenen Ressourcen herausholen, so die Argumentation.
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Die Abnehmer sind gefordert
Zwar fordert der SBV-Präsident stabile Rahmenbedingungen und längerfristige Planungssicherheit, er sieht aber v.a. die Abnehmer und den Detailhandel in der Pflicht für faire Produzentenpreise. Sie hätten es nämlich in der Hand, für eine ausreichende Abgeltung ökologischer Mehrleistungen zu sorgen.
Markus Ritter nahm zum Schluss Bezug auf eine Aktualität aus dem Ausland: In Irland gibt es Bestrebungen, tausende Kühe zugunsten der Umwelt zu keulen. «Ich hoffe wirklich, dass wir in der Schweiz gescheiter sind», sagte Ritter dazu. Denn mit solchen Aktionen und dem anschliessenden Verlagern des ökologischen Fussabrucks ins Ausland via Importe, werde dem Kima «rein gar nicht geholfen».
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