«Jö», denkt man, «wie herzig!» Denn es ist ja reizend zuzusehen, wie ein Mami, eine Kinderfrau, eine Nanny ein Kleinkind an der Hand nimmt und es geduldig auf die Gefahren, die das Leben für so ein kleines Schätzeli bereithält, hinweist. Da sind Treppenstufen, Scheren und Messer, Steckdosen, Strassenverkehr und vieles mehr. Was für ein Kindchen veritable Situationen und Gerätschaften des Schreckens sein können, sind aber bald einmal Hilfsmittel, die den Alltag massiv vereinfachen.
Gefahren selber einschatzen
Klug und entspannt sind die Eltern, die nicht verbieten, sondern aufklären und auch einmal zulassen, dass «etwas passieren kann». Meinem zweijährigen Buebli habe ich zum Beispiel meine grossen, scharfen Schneiderscheren nicht vorenthalten – in der Folge hat er munter sein neues Pyjama zerschnitten. Das muss man dann aushalten können, nicht wahr. Denn irgendwann, meist nicht in allzu ferner Zukunft, werden die Kleinen lebenstauglich und können Gefahren sehr wohl einschätzen.
Ich stelle mir vor, dass auf einem Bauernhof Kinder nicht derart betüdelt werden, wie ich das als Elternratspräsidentin einer einigermassen städtischen Gemeinde kenne. (Da gab es ein Kind, das von der ersten bis zur sechsten Klasse vom Mami in die Schule begleitet wurde. Ich bitte Sie, das ist doch nicht normal.) Wann und wie sollen diese armen Tröpfe lernen, für sich selber einzustehen, selbst zu entscheiden, eine Wahl treffen zu können? Helikoptereltern nennt man das. Ständig wollen sie wissen, wo die Kleinen oder Mittelgrossen oder Grossen gerade stecken; dank Natel gelingt ihnen das auch ganz prima. Ob die Kinder das auch lässig finden? Ich bezweifle es. Nimmt man ihnen doch das Recht auf Selbstständigkeit, auf Geheimnisse, auf das Erkunden des Lebens. Und auch das Recht auf Gefahr.
Auf Nährwertangaben kann man verzichten
Nun müssen wir aber feststellen, dass nicht nur Kinder, sondern auch wir, die Erwachsenen, je länger, je mehr an der Hand genommen und durch den gar gefährlichen Dschungel der (Konsum-)Welt geleitet werden. Der Staat übernimmt freudig die Rolle des Kindermädchens, sagt uns, was gut für uns ist und was nicht. Zucker-, Fett- und Salzsteuern stehen im Raum. Werbeverbote für Fleisch. Nährwert- und Inhaltsangaben beim Wein. An den überflüssigen Nutriscore, das Ampelsystem auf Lebensmitteln, mussten wir uns gewöhnen, obwohl dieser den Erwartungen, nämlich Konsumenten vor «gefährlichen» Lebensmitteln zu warnen, bei Weitem nicht entspricht. Erfreulicherweise hat soeben einer unserer grossen Detailhändler verlauten lassen, dass man wieder darauf verzichte. Gut so. Auf jedem Produkt finden wir nämlich die Nährwertangaben: Das reicht vollends.
Aber auch mir reicht es mittlerweile. Oder auf gut schweizerisch: Jetzt langts! Vielen Konsumenten ist die stete Bevormundung, dieses Herumreiten auf «Gesundem», das drohende Verbieten von Lebensmitteln wie zum Beispiel Fleisch, das in einer ausgewogenen Ernährung einen wichtigen Platz hat, einfach zu viel. Das weckt urmenschliche Instinkte: sich wehren, gerade das Gegenteil machen! Und zu guter Letzt passiert genau das, was unsere Gesundheitsapostel verhindern wollten: unreflektiert konsumieren. Einfach aus Trotz.
Was uns aber guttut: Konsumenten, die Verantwortung für sich, für die Gesellschaft, für die Umwelt wahrnehmen, die selbst denken und handeln, die keine ellenlangen AGB benötigen, sondern gesunden Menschenverstand walten lassen. Und die sich gegen die unsägliche Bevormundung wehren. Dann brauchts auch keine Verbote und zusätzlichen Gesetze und Verordnungen. So einfach wäre es!
Zur Person
Babette Sigg ist ist Präsidentin des Schweizerischen Konsumentenforums (kf). Sie schreibt regelmässig für die Rubrik «Arena» der BauernZeitung Ostschweiz/Zürich.