Die von der Sonne gebleichten mattgrünen Fensterläden sind alle geschlossen. Das Haus, das irgendwie an Dörfer Süditaliens erinnert, wirkt verlassen. Das ist es aber nicht. Hier leben die Eltern von Thomas Neuhaus. Er ist Bauer. Und eigentlich wäre er auch der Bewirtschafter des Hofs, zu dem das Haus mit den grünen Läden gehört, wenn nicht … Ja, wenn nicht was wäre?

Finsterer Stall

Das Simmentalervieh ist auf der Weide. Wie jeden Abend um diese Jahreszeit. Der Stall steht beim Besuch der BauernZeitung leer. Hier ist es finster. Es ist kein Raum, der zum Bleiben einlädt. Die Einrichtung ist alt und kaum zeitgerecht. Weder für Mensch noch Tier. Vor dem Stall spielt ein Berner Sennenhundwelpe am Boden mit einem Mädchen. Es ist Nuria, die jüngste Tochter der Familie Neuhaus. Aus einem der vielen kleinen Schöpfe tritt mit schweren Schritten ein hagerer Mann. In seinen graublauen Augen steht wenig Vertrauen geschrieben. Er grüsst und wirkt dabei müde, traurig, misstrauisch; aber ein wenig hoffnungsvoll zugleich. Dann beginnt er zu erzählen. Und wenige Minuten nach der ersten Begegnung mit der BauernZeitung laufen ihm die Tränen übers Gesicht. «Ich will doch nur eines», sagt er mit leiser Stimme. «Ich will, dass unser Sohn Jamin den Betrieb hier weiterführen darf.» Jamin ist 22 und gelernter Landwirt. Braungebrannt, voller Tatendrang, aber ebenso vorsichtig grüsst er. Dann steigt der junge Mann auf den Traktor mit dem grossen Anhänger, um Strohrundballen zu laden und fährt die Strasse runter.

Von der Last gezeichnet

Jamin hat drei Schwestern. Die 15-jährige Nuria, die 24-jährige Livia und die 26-jährige Melina. Die Älteste befindet sich in der Ausbildung zur Bäuerin am Wallierhof in Riedholz und ist mit einem Landwirt verheiratet. Auch sie hegt ganz stark den Wunsch, ihre Eltern oder Jamin bei der Bewirtschaftung des Seeländer Heimets zu unterstützen. Thomas Neuhaus sieht seinen Kindern an diesem Abend zu, wie sie diskutieren, wie sie planen, und wie sie mit dem kleinen Hund spielen. Aber sie werden den Hof nicht weiterführen können. Den Hof, den er so gerne in den Händen seiner Kinder gesehen hätte. Der Ort, an dem Neuhaus selber aufgewachsen ist, an dem so viele schöne Erinnerungen an seinen Grossvater hängen, der viel zu früh gestorben sei, wie er verrät. Und wieder sind da Tränen in den Augen des Bauers. Thomas Neuhaus ist gezeichnet von einem langjährigen Kampf, den er, wie es derzeit aussieht, zu verlieren scheint.

Was ist passiert? 

Nach 15-jähriger Pachtdauer, inklusive Verlängerung, liegt ein Schreiben des Obergerichts des Kantons Bern auf dem Tisch. Es ist der Entschied zur Exmission der Pacht. Dem 12-seitigen Schreiben, das am 5. Juli verfasst wurde und der BauernZeitung vorliegt, ist zu entnehmen, dass Thomas Neuhaus bis Ende September Zeit hat, die Gebäude und die dazugehörigen neun Hektaren Land zu räumen. Ein stolzer Zeithorizont, um Kühe, Schweine, diverse Kleintiere und all das Material andernorts unterzubringen. Diesem Exmissionsentscheid gehen zwei Schreiben voraus, in denen Thomas Neuhaus Schwester, im Namen der gemeinsamen Eltern, mit Nachdruck die Exmission fordert. Allerdings sind in keinem der beiden Schreiben die Grundstücke aufgeführt, um die es sich handelt und eines ist sogar handgeschrieben.

 

Exmission: «Nie ohne Rechtsvertreter»

Eine Exmission ist ein gerichtliches Ausweisungsverfahren. Wie Franz A. Wolf, Rechtsanwalt, Notar und Agronom der Studer Anwälte und Notare AG, Sursee LU auf Anfrage der BauernZeitung erklärt, wird im Bereich der Ausweisung zwischen zwei grundsätzlichen Stossrichtungen unterschieden. Das schnellere Verfahren, wie es im Fall der Familie Neuhaus angewandt wird, ist nur dann möglich, wenn «die Rechtslage klar und der Sachverhalt unbestritten und sofort beweisbar ist». Die Pacht endete ordentlich auf Ende 2018. Der Richter habe in diesem Bereich viel Ermessensspielraum. Rechne man ab dem 1. Januar, als die Pacht zu Ende war, seien bis Ende September neun Monate verstrichen, was er als «angemessen» beurteilt, ohne den Fall allerdings ins Detail zu kennen.

Auf die Frage, ob der Betrieb denn anderweitig verpachtet oder gar veräussert werden könne, sagt Rechtsanwalt Wolf, dass das Vorpachtrecht die Grenzen bei der Unzumutbarkeit habe. «Unzumutbarkeit ist ein unbestimmter Rechtsbegriff», so Wolf. Im Kanton Bern entfällt das Vorpachtrecht, wenn die Verpachtung an den Nachkommen den Verpächter unzumutbar ist (wie z.B. Zahlungsunfähigkeit oder zerrüttetes Verhältnis der Parteien). Auch hier hat der Richter viel Ermessensspielraum. Beim Verkauf hingegen sei der Schutz der Nachkommen besser als beim Verpachten. Das Vorkaufsrecht entfällt nur bei Vorliegen von Enterbungsgründen: «Enterbung ist eine hohe Hürde», so Wolf. «Mir ist kein Fall bekannt in der Landwirtschaft, wo die Enterbung geltend gemacht werden konnte.»

Ein Ersuchen um Exmission eines Landwirtschaftsbetriebs muss der Eigentümer einreichen. «Das würde ich nie ohne Rechtsvertreter machen», erklärt Franz A. Wolf auf die Frage, wer ein solches Gesuch einreichen kann und was dieses zwingend enthalten muss. «Das muss sorgfältig gemacht werden und ist aus meiner Sicht nicht laientauglich», so Wolf. Er ergänzt, dass er grundsätzlich jedem Pächter zum Abschluss einer Rechtsschutzversicherung rät. «In der Landwirtschaft hat man so viele potenzielle Rechtsrisiken», schliesst Wolf. sb

Weitere Informationen: www.studer-law.com/publikationen

 

Viele schwierige Jahre

Der geforderten Exmission gehen viele Jahre eines schweren Generationenkonflikts voraus. Es sind Geschichten, die niemand der Beteiligten einfach so zu schlucken vermag. Umso mehr erstaunt der grosse Wille der Familie, hier an diesem Ort den Betrieb weiterzuführen. «Um etwas Ruhe in die Sache zu bringen», verliessen Thomas Neuhaus und seine Frau Yolanda mit den Kindern die Wohnung im Obergeschoss des Bauernhauses bereits im Dezember 2015. Nun wohnen sie in Sichtdistanz zu diesem. Melina Beer, die älteste Tochter, zeigt Bilder der früheren Wohnung, die sie auf ihrem Laptop gespeichert hat. Die vergrauten Wände zeugen von einem Zustand des Gebäudes, den man so in der Schweiz in einem Wohnhaus nicht erwarten würde. «Uns waren die Hände gebunden, wir konnten nichts umbauen, nichts ändern an der Substanz der Gebäude, wir sind nur Pächter», so Thomas Neuhaus. Pächter aber auch Sohn und Schwiegertochter und Enkel. Ein Sohn mit Vorpacht- und Vorkaufsrecht, weil die anderen beiden Geschwister aufgrund der fehlenden landwirtschaftlichen Ausbildung nicht zum Zuge kämen. Wird denn der Betrieb künftig leer stehen? «Wir wissen nicht, was damit passiert», sagt der Landwirt. Und wieder ist da im Gesicht ein Stück dieser Trauer, aber auch ganz viel Verbitterung.

Eltern wollen nichts sagen

Die Eltern von Thomas Neuhaus wollen sich auf Anfrage der BauernZeitung nicht zum Thema äussern. Der grosse Konflikt ist sehr offensichtlich. Thomas Neuhaus findet indes keine guten Worte für die verfahrene Situation. Immer wieder erzählt er von einer äusserst schwierigen Vergangenheit und meint, er sei bereits als Bub wohl nicht erwünscht gewesen. «Ich war wie ein Verdingkind», sagt er mit gläserner Stimme und bringt Beispiele, die beim Zuhören Schmerzen bereiten. Yolanda und Thomas Neuhaus erinnern sich, dass auch ihre reiche Kinderschar ein immer wiederkehrender Konfliktpunkt zwischen ihnen und Neuhaus Eltern war. Eine warme Nacht bricht an, die drei Töchter Melina, Livia und Nuria spielen draussen mit dem jungen Hund. Jamin ist noch unterwegs. Es dürfte das letzte Stroh sein, das er auf diesem Hof nach Hause fährt.

 

 

Kommentar von Simone Barth:

Ein fahler Beigeschmack

Es ist ein Trauerspiel, das in den letzten Akt geht. Ein Generationenkonflikt, der so rein gar nichts mehr von der Ansicht «Blut ist dicker» hinterlässt. Hass prägt das Bild auf dem Hof. Und dieser Hass wird sogar am Gemäuer sichtbar. Das Bäuerliche Bodenrecht ist das Gerüst, das die Familien umgibt. Füllen kann dieses Gerüst aber nur der Mensch. Von Menschlichkeit ist auf dem Hof in Arch nichts mehr zu spüren. Im Ganzen erstaunen zwei Dinge. Das eine ist, dass da ein Nachfolger wäre, ja sogar zwei. Verhindert der Hass auf den Sohn eine Weiterpacht oder einen angemessenen Verkauf, wäre da ein Enkel, der gerne Landwirt auf dem kleinen Heimet würde. Aber auch das scheint kein gangbarer Weg für die Grosseltern. Und dann ist da noch etwas: Neben einer Schwester, die aufgrund der Gesetze den Hof nicht bewirtschaften kann, hat Thomas Neuhaus einen bekannten Bruder. Es ist SVP-Regierungsrat Christoph Neuhaus. Nirgends erscheint im Ganzen sein Name oder seine Unterschrift. Und irgendwie bekommt man den fahlen Beigeschmack doch nicht ganz weg, dass es einem Regierungsrat, wie ihm, doch möglich sein sollte, die verfahrene Situation in positive Bahnen zu lenken, zumal er jener Partei angehört, die sich doch bis ganz nach oben allzu gerne als Bauernpartei rühmt.


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