Vor knapp fünfzig Jahren kam es kaum vor, dass in Graubünden eine Frau die landwirtschaftliche Ausbildung machte, mit zwei Lehrjahren auf einem Betrieb und während zwei Wintern Schulbesuch am Plantahof in Landquart. Heute ist es selbstverständlich, dass Frauen den Beruf «Landwirt» erlernen und ihn dann auch ausüben können, sei es als Angestellte oder auf einem eigenen Betrieb.
Viel unterwegs
In Filisur im Albulatal führt Nicole Heinrich seit 2017 ihren eigenen Landwirtschaftsbetrieb. Ihre Eltern hatten den Betrieb aufgebaut und Nicole erlebte dort mit den beiden Geschwistern ihre Kindheit und Jugendzeit. Sie hatte nie im Sinn, den Betrieb der Eltern einmal zu übernehmen, sie lernte Köchin. Doch nach der Lehre ging sie erst einmal nach Kanada und in die USA, wo sie ein paar Monate verbrachte. Wieder in der Schweiz, suchte sie sich eine Stelle als Köchin, denn die Reserven waren aufgebraucht und sie musste etwas verdienen.
Zahlreiche Gelegenheitsjobs
Eine Wintersaison lang habe sie als Köchin gearbeitet, so Nicole Heinrich, das habe genügt. Es zog sie vielmehr während der Sommer auf die Alp, wo sie als Hirtin, Zusennin oder Sennin arbeitete. Für den Winter hatte sie jeweils wieder eine feste Arbeitsstelle, sie arbeitete als Skiliftangestellte, präparierte Pisten oder war gar mit dem Pistenbully unterwegs. In der Zwischensaison sei es nicht immer ganz einfach gewesen, eine feste Stelle zu finden, so Nicole Heinrich. So habe sie halt einfach das angenommen, was sie angeboten bekommen habe, dafür habe sie viel gelernt, auf ganz verschiedenen Gebieten.
Nicole Heinrich war viel unterwegs, doch Filisur mit dem Elternhaus und dem Bauernhof sei immer ein fester Wert gewesen, hier sei sie zu Hause, ihre Wurzeln verankert. Mit 24 Jahren entschloss sie sich, die Nachholbildung am Plantahof in Landquart zu besuchen. Während vier Jahren drückte sie die Schulbank und schloss 2016 ihre Ausbildung mit dem Titel «Landwirt mit Fachausweis» ab.
Zurück zu den Wurzeln
Zehn Sommer verbrachte Nicole Heinrich auf den Alpen, jobbte im Herbst und im Frühling, war im Winter im Skigebiet tätig. Für ihre Eltern stand fest: Wenn kein Nachfolger den Betrieb übernimmt, lassen sie ihn auslaufen. Da war es für die Tochter klar, dass sie den Hof übernehmen und endlich dort sesshaft werden wollte, wo sie ihre Wurzeln hatte. Hier bekam sie auch die Möglichkeit, ihr eigener Chef zu sein, selbstständig zu arbeiten, Ideen zu verwirklichen, neue Wege zu suchen und Altbewährtes weiterzuführen.
Seit 2017 führt Nicole Heinrich nun den Betrieb Palé in Filisur, kurz nach dem westlichen Dorfeingang. Dieser ist gut 18 Hektaren gross, zwei davon nimmt sie unter den Pflug. Sie sät Kunstwiese oder Mais an, um die Futterbasis der Milchkühe, des Jungviehs und der Mastkälber zu verbessern.
Der Betrieb liegt in der Bergzone III, doch ein grosser Teil des bewirtschafteten Landes gehört zur Bergzone IV. Im Maiensäss Sela und weiter oben in Prosot wird einmal pro Jahr gemäht und das Heu zum Teil im Maiensäss in Sela eingebracht, wo im Herbst die Tiere geweidet werden und das Heu ausgefüttert wird. Von den zwölf Milchkühen verbringen zehn den Sommer auf der Filisurer Alp Prosot, so gebe es Alpkäse und Alpbutter, sagt die Landwirtin.
Filisurer Glace
Das Hauptstandbein des Landwirtschaftsbetriebes ist die Glaceproduktion, welche ihre Eltern schon vor 20 Jahren aufgebaut haben. «Filisurer Glace» ist im Kanton Graubünden ein Begriff. Die Kühe liefern vom Herbst bis Anfang Sommer rund 45 000 Kilogramm Milch. Damit werden im hofeigenen Verarbeitungsraum Rahm, Butter, Bergkäse, Sauerrahm und 26 verschiedene Sorten Glace hergestellt. Nicole Heinrich liefert diese in die Gastronomie, in Hofläden oder weiteren Verkäufern. Ihr Glacewagen ist an vielen Anlässen im Kanton Graubünden anzutreffen, angeschrieben mit «Filisurer Glace».
Rinder und Alpschweine
Doch damit die Kühe der Rassen Grauvieh und Montbéliard Milch geben, werden sie besamt. Einige der Kälber werden für die Auf- und Nachzucht grossgezogen, andere sind für die Mast bestimmt. Diese kommen zu gegebener Zeit in den Schlachthof Mittelbünden. Die Schlachthälften werden in der Metzgerei Fischbacher zerlegt und auf Palé für die Kunden eingepackt und vakuumiert.
Nebst Rindfleisch bietet Nicole Heinrich auch Fleisch von Alpschweinen an, welche den Sommer auf der Alp Prosot verbracht haben. Im Herbst kauft sie jeweils zwei jüngere Ferkel, welche die Schotte aus der eigenen Hofsennerei verwerten. Im Frühjahr werden auch diese geschlachtet, und das Fleisch wird verkauft.
Eigener Kreislauf
Nicole Heinrich will weitestgehend einen eigenen Kreislauf auf ihrem Betrieb haben. Sie kauft möglichst wenig zu. Es sei nicht ihr Ziel, den Betrieb zu vergrössern, sondern das zu erhalten, was sie habe, mit einer sehr guten Produktqualität. Sie wolle ihre Tiere als Persönlichkeiten halten, mit dem zufrieden sein, was sie hat und was sie erreichen kann. Im vergangenen Sommer liess sie den Stall erweitern. Nicht, um mehr Tiere zu halten, sondern um mehr Platz zu haben, auch einmal einer alten Kuh zwei Plätze zur Verfügung stellen zu können, denn diese habe es mit der erbrachten Leistung verdient.
Nicole Heinrich bezeichnet sich als glücklich und zufrieden auf dem eigenen Hof. Vielleicht ergebe es sich, dass sie eines Tages einen Partner findet und eine Familie gründet. Falls dem nicht so wäre, stimme es auch so für sie und sie schaue getrost in die Zukunft.
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