Tagesschulleiter Peter Stucki weiss genau, wie man die Aufmerksamkeit der Schulkinder gewinnt. Die Erstklässlerinnen und Erstklässler stehen im Halbkreis um eine der Gemüsetruhen, die die auf dem Pausenplatz der Schule Kirchenfeld stehen. Stucki zeigt, was es alles in diesen Hochbeeten der OGG Bern zu entdecken gibt: Er zupft ein junges Rüebli aus der Erde und meint, dass das den Hunger wohl noch nicht stille. Dann darf die Klasse im Kräutergärtli an den Blättern und Nadeln reiben und rausfinden, nach was die Finger riechen. Die Tomatenstauden haben ein Dach über dem Kopf, weil sie zwar gerne Wasser aber keinen Regen mögen. Und beim nächsten Hochbeet zeigt er auf eine Larve, die sich schon bald in einen Marienkäfer verwandeln wird.
"Tag der offenen Gärten"
Zehn Schulklassen der Primarstufe sind es, die im Halbstundentakt erfahren, was da auf dem Pausenplatz vor dem altehrwürdigen Schulhaus gedeiht und welche Pflanze zu welchem Gemüse gehört. Zudem dürfen sie probieren, was in den "Gemüsetruhen" noch am Wachsen ist. Dafür haben die etwas älteren Schülerinnen und Schüler der Klasse 5b eigens eine kleine Degustation mit Rüebli, Kohlrabi, Cherrytomaten, Gurken, Fenchel und Radiesli vorbereitet. Und siehe da: Die Rohkost-Häppchen gehen weg wie selbstgebackene Guetzli.
Stucki war es, der das Angebot "Gemüsetruhe" der OGG Bern ins Lehrerzimmer trug und dort sofort auf offene Ohren stiess. Im Frühjahr kaufte seine Kollegin Vanessa Fiechter mit einigen Tagesschülern auf dem Berner Markt vor dem Bundeshaus Setzlinge und Samen. Dann wurden die Hochbeete bepflanzt. Seither wird gejätet und gegossen. Bereits konnten erste Ernten eingefahren und von der Tagesschulköchin für die Menus verwendet werden.
Mit dem Garten verfolgen Stucki und Fiechter auch pädagogische Ziele. "Für mich ist es eine Herzensangelegenheit, dass die jungen Menschen selber Gemüse aufziehen können, das sie sonst nur beim Grossverteiler in der Auslage finden", sagt Stucki. Die Gemüsetruhen seien aber offensichtlich nicht nur für die kleinen Urban Gardener interessant; er beobachte, dass sich in der Pause immer wieder auch andere Kinder um die Truhen gruppieren.
Annekathrin Jezler, verantwortlich für das Projekt bei der OGG Bern, ergänzt: "Beim Gärtnern erfährt man auf sinnliche Art und Weise, wie viel Pflege und Sorgfalt in unseren Lebensmitteln steckt. Dies ermöglicht einen stärkeren Bezug zur Entstehung von Lebensmitteln und mehr Wertschätzung für unser Essen." So ein Garten locke die Kinder auch einfach ins Freie, fordere auf zum Erleben und Erfahren der Natur und der darin ablaufenden Vorgänge.
Die beiden Lehrpersonen haben aber noch mehr im Sinn. Sie animieren die Tagesschülerinnen und -schüler am Mittagstisch dazu, sich an selbst gezogenes Gemüse "heranzuwagen", bei dem sie sonst bloss die Nase rümpfen. Damit leisten sie einen konkreten Beitrag gegen das Sprichwort "Was der Bauer nicht kennt, frisst er nicht". Das macht durchaus Sinn, konnte doch die alte Volksweisheit unlängst wissenschaftlich belegt werden: Wir entscheiden uns eher für ein Gericht, an das wir uns erinnern können. Das ist selbst dann der Fall, so die Hirnforscher, wenn wir es gar nicht so gerne essen.
Aus eigener Erfahrung und von vielen Projektteilnehmenden weiss Jezler zudem, dass der selbst gezogene Salat einfach besser schmeckt. Und siehe da: Erste Erfolge sind auch im Kirchenfeld bereits zu verbuchen: "Ein Junge konnte mit Radiesli im Salat gar nichts anfangen", erzählt Vanessa Fiechter. Als dann aber die ersten in der Gemüsetruhe gewachsenen kleinen roten Knollen auf den Tisch gekommen seien, habe er herzhaft zugelangt. Auch der Flammkuchen mit bunten Krautstielen habe grossen Anklang gefunden.
Die Erntezeit hat zwar erst begonnen. Aber bereits jetzt ist für Peter Stucki klar, dass die Gemüsetruhen auch nächste Saison wieder auf dem Pausenplatz der Kirchenfeldschule stehen sollen.
lid