AboEin eingespieltes Team bei Fredy’s (v. l. n. r.): Marc Schnyder, Selina Fischer, Leiterin Marketing-Kommunikation, Peter Kasimow und Bojan Cepon vor dem Bild von Fredy Hiestand.BrotgenussGeht es nach Fredy's, wird pestizidfrei schon bald zum StandardSamstag, 27. Juli 2024 Ein Lastwagen rollt langsam die Strasse hinab – auf seiner Tür ein übergrosses Bild eines älteren Herrn. Es ist Fredy Hiestand. Freundlich und unauffällig lächelnd, aber in riesigem Format, schaut er den Betrachter direkt an, als wolle er sagen: «Ich stehe hinter meinem Produkt, und das tue ich mit ganzem Herzen.» Diese Darstellung eines Unternehmers, der stolz sein Gesicht mit seiner Marke verbindet, wirft sehr rasch einmal die Frage auf: Ist Fredy Hiestand ein Narzisst? Ist das Bild auf dem Lastwagen Ausdruck von Selbstverliebtheit?

Selbstsicherer und leidenschaftlicher Markenbotschafter

Ein Narzisst ist eine Person, die ein übertriebenes Bedürfnis nach Bewunderung und einen Mangel an Empathie für andere zeigt. Narzissmus geht oft mit einer grandiosen Selbstwahrnehmung und dem Bedürfnis einher, sich stets im besten Licht darzustellen. Könnte man also behaupten, dass Fredy Hiestand, indem er sich selbst als Symbol seiner Marke darstellt, diese narzisstischen Züge aufweist?

Die Antwort auf diese Frage ist ein klares Nein. Fredy Hiestand ist kein Narzisst, sondern vielmehr ein selbstsicherer und leidenschaftlicher Markenbotschafter. Sein Gesicht auf den Lastwagen und Produkten ist nicht Ausdruck von Eitelkeit, sondern ein Zeichen seiner Authentizität und seines Engagements für das, was er tut. Hiestand, bekannt als «Gipfelikönig», revolutionierte die Backwarenbranche mit seinen vorgegarten Tiefkühlgipfeln und schuf damit ein Produkt, das heute in der Schweiz und weltweit geschätzt wird. Fredy Hiestand hat guten Grund, sich zu zeigen.

Ungewohnte Unternehmenskultur für Schweizer Verhältnisse

Die Entscheidung, sich selbst als Gesicht einer Marke zu verwenden, zeigt eine andere Form der Führungs- und Unternehmenskultur, als wir sie uns in der Schweiz gewohnt sind. Hiestand steht für Transparenz und ist greifbar. Diese Art der persönlichen Verbindung und damit auch Verantwortungsübernahme ist in der heutigen Geschäftswelt selten geworden. Sie bietet den Konsumenten aber offenbar ein Gefühl von Vertrauen und Sicherheit. Das zeigt der Erfolg des Bäckers, der übrigens als Bauernsohn aufwuchs.

Bemerkenswert ist Hiestands Engagement über seine ursprüngliche Karriere hinaus. Selbst nach seinem Ausscheiden aus der von ihm gegründeten Grossbäckerei Hiestand, die er 1965 mit bescheidenem Kapital und ein paar Occasionsmaschinen startete, verfolgte er weiterhin seine Visionen. Seine Courage ging sogar so weit, dass er sich 2021 öffentlich für die Trinkwasser-Initiative aussprach und damit seine Zulieferer – die Bauern – vor den Kopf stiess. Fredy Hiestand verglich Pestizide in Trinkwasser und Böden gar mit Zigaretten: Man dürfe nicht wie damals beim Tabak zuwarten, als die Industrie die Schädlichkeit von Zigaretten stets in Abrede stellte und immer wieder neue Studien verlangte, war er sicher. Er sagte gegenüber der Zeitung «Blick», er wolle den Spruch «Pestizide gefährden Ihre Gesundheit» (in Anlehnung an Schriftzüge auf Zigarettenpackungen) in Zukunft nicht auf seine Backwaren schreiben müssen. Er blieb konsequent: In seiner Bäckerei Fredy’s wird ausschliesslich mit Schweizer Getreide aus pestizidfreiem Anbau produziert.

Bei der Trinkwasser-Initiative weit zum Fenster hinausgelehnt

Aus Sicht der Bauern könnte eine solche Haltung als überheblich oder gar belehrend empfunden werden. Fredy Hiestand lehnte sich mit der aktiven Unterstützung der Trinkwasser-Initiative weit zum Fenster hinaus und stand als Kopf für diese Überzeugung ein, was ihn automatisch exponierte. Dies im Gegensatz zu anderen Kreisen wie damals etwa der Tierärzteschaft. Diese unterstützte die Trinkwasser-Initiative zwar, zeigte sich aber lieber zurückhaltender – und vor allem ohne Kopf –, um nicht in Konflikt mit etablierten Interessen zu geraten oder namentlich die eigene Kundschaft – die Bauern – zu verärgern. Hiestand riskierte mit seinen Aussagen einen Bruch mit der ganz grossen Mehrheit der Produzenten. Diese Vorgehensweise hätte von den Bauern als Bedrohung empfunden werden können. Wurde sie aber nicht, zumindest nicht öffentlich.

Sich selbst und seine Werte öffentlich vertreten

Die Lektionen, die er uns lehrt, könnten auch für die Bauern von Bedeutung sein. Sich selbst und seine Werte öffentlich zu vertreten, ist couragiert. Hiestand zeigt, dass Authentizität und Bodenständigkeit, gepaart mit innovativem Unternehmertum, der Schlüssel zum Erfolg sein können. Wenn Bauern und andere Produzenten im Lebensmittelsektor diesem Beispiel folgen und ihre Produkte ebenso persönlich und transparent repräsentieren, könnten sie nicht nur wirtschaftlichen Erfolg haben, sondern auch das Vertrauen der Konsumenten stärken. Wann stehen Bauernfamilien mit Gesicht und Namen für ihre Produktion hin? Allenfalls dann, wenn Emmi das von ihnen «einfordert». Aus eigenem Antrieb tun sie das aber nie. Nicht einmal auf der eigenen Website sind unter Punkt «Über uns» Gesichter zu sehen. Lieber gibt man dem Hofhund Platz als der eigenen Identität. Das sollte sich ändern.

Leider viel Anonymität und Unverbindlichkeit

Obwohl ich Fredy Hiestand persönlich noch nie begegnet bin, weiss ich nach dem Besuch seiner Firma Fredy’s viel über ihn, weil er greifbar ist, sich offen zeigt und sein Gesicht für seine Überzeugungen und Produkte einsetzt. Diese Greifbarkeit und Transparenz sind Qualitäten, die in einer Welt, die oft von Anonymität und Unverbindlichkeit geprägt ist, besonders wertvoll sind.