Auf historischen Luftfotografien zur Schweiz sind weite Landstriche, die übersät mit Feldobstbäumen waren, zu entdecken. Durch die Ausbreitung der Siedlungen und durch die Einführung rationellerer Tafelobstproduktion in geschlossenen Hochertrags-Niederstammanlagen sind die alten Feldobstkulturen aus dem Landschaftsbild fast verschwunden.
Der von Biobauer Hans Brunner in Steinmaur gepflegte, ausgedehnte Baumgarten, ist die selten gewordene Ausnahme von der Regel. Im Obstgarten stehen nicht weniger als 800 Hoch- und Halbstammobstbäume mit über 300 Kern- und Steinobstsorten.
Für Hans Brunner, Vorstandsmitglied von Fructus, der Vereinigung zur Förderung alter Obstsorten, ist die Obstproduktion eine Herzensangelegenheit, aber ebenso eine ökologische Verpflichtung: "Ich betreibe hier auch eine Genbank. Es geht uns nicht nur um den Erhalt der Sorten an sich, sondern um die Pflege eines bedrohten Lebensraums."
Neue Krankheiten
Für seine Mostobstproduktion nennt Hans Brunner die Schweizer Wasserbirne als eine seiner Hauptsorten. Doch gerade diese Sorte leidet besonders stark unter dem so genannten Birnenverfall (Pear decline). Im Gegensatz zu den pilzlichen Erregern, die Feuerbrand oder Schorf verursachen, handelt es sich um eine Krankheit, die durch zellwandlose Bakterien, den Phytoplasmen, verursacht wird.
Die Symptome der Krankheit zeigen sich oft in einer frühzeitigen, schon im Sommer beginnenden Rotverfärbung der Blätter und einem frühen Blattfall. Dadurch kann der Baum weniger Nährstoffe bilden und einlagern und als Folge reduzieren sich das Baumwachstum und die Ertragsbildung. Wiederholtes starkes Auftreten oft kombiniert mit weiteren Stressfaktoren wie Trockenheit, Frost oder Hagel kann bis zum Absterben des Baumes führen.
Zusätzlich treibt ein weiterer Erreger sein Unwesen: Einige Apfelsorten sind von der Marssonina-Blattfallkrankheit befallen, die von einem Pilz (Diplocarpon mali) ausgelöst wird. Zuerst gibt es grauschwarze diffuse Flecken auf den Blattoberflächen. Die Blätter werden danach gelb und fallen oft ab bevor die Früchte ausgereift sind. Wegen der reduzierten Blattmasse werden der Baum und die Früchte nicht mehr mit Nährstoffen versorgt. Auch durch Marssonina kann wiederholter Befall zum Absterben des Baumes führen.
Zu den oben erwähnten Krankheitserregern gibt es erheblichen Forschungsbedarf. Generell beobachten Obstbau-Experten einen Vitalitätsverlust bei Hochstammobstbäumen, die sie auf diverse Stressfaktoren zurückführen. Nicht zuletzt auf den zunehmenden Wassermangel infolge der länger andauernden Trockenperioden aufgrund des Klimawandels.
Das natürliche Abwehrsystem der Bäume wird geschwächt und dadurch steigt die Anfälligkeit für Krankheiten. Nebst der Trockenheit war die vielerorts jahrelang vernachlässigte Pflege durch den Menschen der Gesundheit der Hochstammbäume nicht förderlich, wie Andreas Häseli, Leiter Anbautechnik Obst- und Weinbau am Forschungsinstitut für biologischen Landbau (Fibl), erklärt: "Vielerorts sind die Hochstämmer mehr als 50 Jahre alt. Dann sind die Böden eben ausgelaugt oder verfestigt."
Methode aus Süddeutschland
Blattkrankheiten sind ein länderübergreifendes Phänomen. Obstproduzenten tauschen sich über ihre Methoden bei der Bekämpfung von Infektionskrankheiten aus. "Uns ist es ein grosses Anliegen, dass die alten Sorten erhalten bleiben, deswegen ist ein Austausch unter Berufskollegen besonders wichtig", so Brunner. Er nahm Kontakt auf mit dem süddeutschen "Verein zur Erhaltung und Förderung alter Obstsorten - Rettet die Champagner Bratbirne e.V.". Die deutschen Kollegen stellten ebenfalls verstärkt Vitalitätsverlust bei den Birnen-Hochstämmern - hauptsächlich durch Birnenverfall verursacht - fest.
Man machte sich daran, die Bodenstruktur alter Bäume zu verbessern. Dabei wurde mit einem Kompressor der Boden aufgelockert, damit die Wurzeln wieder besser mit Sauerstoff versorgt werden und die Bodenlebewesen sich besser entwickeln können. Gleichzeitig wurde die aufgelockerten Böden mit Mykorrhizasporen und Bodenbakterien angereichert.
Mykorrhiza-Pilze leben in Symbiose mit den Bäumen, indem sie diese mit Nährsalzen und Wasser versorgen und ihrerseits von den Bäumen durch Photosynthese erzeugte Assimilate erhalten. In der Folge stellten die Experten anhand der Jahrring-Zuwachsmessungen ein wieder erstarktes Wachstum der Obstbäume fest. Ob allerdings dieser Wachstumseffekt vollständig oder teilweise auf diese Massnahmen zurückzuführen sind, konnte nicht erwiesen werden, weil beim Experiment keine unbehandelten Vergleichsbäume vorhanden waren.
Guter Pilz, böser Pilz
Die Vereinigung Fructus nahm den Ball auf und motivierte einige Mostobstproduzenten im Rahmen eines Projektes, die Methodik der Biorevitalisierung auch in der Schweiz anzuwenden, diese aber wissenschaftlich zu begleiten. Das Projekt unter dem Titel "Biorev" hat zum Ziel, durch die Bodenlockerung und Anreicherung mit Mykorrhiza-Sporen und Bodenbakterien die Vitalität der Obstbäume zu erhöhen und dadurch die Krankheitsanfälligkeit der Obstbäume zu vermindern.
Auf vier Biobetrieben mit unterschiedlichen Bodenverhältnissen und Baumalter soll über vier Vegetationsperioden (2018-2021) die Wirksamkeit dieser Methode aufgezeigt werden. Konkret stehen etwa 100 Bäume unter Beobachtung, wobei das Verfahren A "Bodenlockerung und Anreicherung mit nützlichen Mykorrhiza-Bodenbakterien" mit einem Verfahren B "Bodenlockerung ohne Mikroorganismen-Zugabe" und mit einer Kontrollgruppe C ohne Behandlung verglichen wird.
Die Bodenlockerung mit Druckluft sowie das Einbringen der Mikroorganismen erfolgte beim Versuchsstart im Frühling 2018 mit einer Lanze bis in eine Tiefe von 40 cm in den Boden - rund um das Wurzelgeflecht geschwächter Hochstammbäume.
Erste Resultate ab 2021
In zeitlichen Abständen entnehmen FiBL-Mitarbeitende Bodenproben zur Analyse der Mikroorganismen-Fauna. Andreas Häseli vom FiBL erhofft sich insbesondere bei den Mostbirnen durch die Schaffung von besseren Wuchsbedingungen eine Verminderung der Auswirkungen des Birnenverfalls. Das FiBL forscht zusätzlich an der Entwicklung von spezifischen Massnahmen gegen die Marssonina coronaria.
Falls bis 2021 positive Resultate vorliegen, soll die Revitalisierung in der Praxis angewendet werden. Das Potenzial ist gross: Allein die Anzahl Biobauernhöfe, die noch über Hochstammobstbäume verfügen, geht in die Tausende. Darüber hinaus könnte der schweizerische Obstbau als Ganzes von der Methode profitieren. "Denn alle sind gefordert, den ökologisch wichtigen Hochstammanbau zu erhalten", so Brunner.
Manuel Fischer, lid