Die Kluft zwischen Theorie und Praxis ist manchmal sehr gross, ebenso wie zwischen Ökologie und Ökonomie, Abstimmungs- und Einkaufsverhalten. «Es gibt Zielkonflikte. Aber Erfolg gibt es nur durch Vernetzung und Zusammenarbeit», hielt Astrid Furrer fest. Furrer ist Vizepräsidentin der Müller-Thurgau-Stiftung, die sich die Transformation der Ernährungswirtschaft auf die Fahne geschrieben hat und am 18. September 2024 auf der Halbinsel Au zu einer Vernetzungs- und Impulsplattform eingeladen hatte.
Marktanteile gehen verloren
Nur allzu bewusst ist sich der Zielkonflikte Martin Rufer, Direktor des Schweizer Bauernverbandes. Es ärgere ihn sehr, dass in der Politik immer öfter die Rede davon sei, weniger Fleisch, dafür mehr Produkte aus dem Pflanzenbau zu verzehren. «Das ist keine Transformation, sondern eine Utopie», stellte er klar. In den vergangenen Jahren sei der Pflanzenbau massiv zurückgeschraubt worden.
Den Landwirten stünden immer weniger Pflanzenschutzmittel und Wirkstoffe zur Verfügung, um ihre Kulturen vor Krankheiten und Schädlingen zu schützen. Auch beeinträchtigten extreme Wetterereignisse die Erträge. «Bei steigenden Bevölkerungszahlen verlieren wir im Inland Marktanteile», sagte er. Für Rufer gibt es zwei Wege, diesem Dilemma und den Zielkonflikten zu begegnen. Zum einen setzt er grosse Erwartungen in die nächste agrarpolitische Etappe zur AP 30+. Im Mittelpunkt soll nicht mehr nur die Landwirtschaft stehen, sondern ein Ernährungssystem-Ansatz, sodass alle Akteure der Wertschöpfungskette – inklusive Verarbeitung, Detailhandel und Konsumenten – in die Pflicht genommen werden.
Zum anderen erhofft sich Rufer, dass man sich durch moderne Pflanzenzüchtungsverfahren einer nachhaltigeren Produktion annähern und Zielkonflikte vermeiden kann. «Ich bin optimistisch, was die Zukunft der Landwirtschaft betrifft», schloss er sein Referat. Auf dem politischen Parkett, wo sich der Schweizer Bauernverband bewegt, ist die Müller-Thurgau-Stiftung nicht aktiv. Sie fördert aber im Kleinen nachhaltige und innovative Projekte im Bereich Spezialkulturen. Zwei solche Projekte wurden an der Tagung vorgestellt.
CO2-Bilanz im Weinbau
Peter Schumacher, Professor an der ZHAW, untersuchte die Kohlenstoffbilanz von Weinbaubetrieben, wobei er zu Beginn festhielt, dass über die Hälfte der Emissionen durch die Weinverpackung – also die Glasflasche – entstünden. «Diesbezüglich werden Alternativen ausprobiert und erforscht», sagte er und kam zurück auf den eigentlichen Rebbau. Dort fördern Dauerbegrünung und organische Dünger den Humusaufbau.
Im Projekt liess sich feststellen, dass Rebböden mit hohen Humusgehalten kaum verbessert werden können. Böden mit tiefen Humusgehalten hätten hingegen ein viel grösseres Potenzial in der C-Bilanz. «Das grösste Potenzial dafür, die Kohlenstoffbilanz in Weinbaubetrieben zu verbessern, hat der Kanton Wallis. Aber dort konkurrenziert eine Dauerbegrünung durch das trocken-heisse Klima die Wasserfügbarkeit der Rebstöcke.» Hier tut sich also nochmals ein Zielkonflikt auf.
EM, Kompost und Begrünung
Besser zu handhaben sind die Zielkonflikte anscheinend im Projekt «Regenerative Methoden im Obstbau», das Franco Weibel vorstellte. «Der Erwerbsobstbau steckt in der Sackgasse», sagte der langjährige Obstbauberater vom Ebenrain (BL).
Eine Obstanlage zu erstellen, sei sehr teuer, und es brauche während zwanzig Jahren eine hohe Produktivität, um letztlich gewinnbringend zu wirtschaften. Heute leide die Bodenaktivität in diesen Anlagen massiv dadurch, dass man die Baumreihen unkrautfrei halte und zu wenig organische Substanz zuführe. Auch seien oft die Fahrgassen verdichtet – selbst wenn diese begrünt seien.
Eine Lösung sieht er in regenerativen Methoden. «Bisher beruhten diese teilweise auf Wunschdenken und nicht auf wissenschaftlichen Untersuchungen» so Weibel. Das will er ändern. Er untersucht zusammen mit dem FiBL, dem landwirtschaftlichen Zentrum Ebenrain, Agroscope und der Firma Biosa in einer Kirschenanlage in Wintersingen, wie man die Bodenaktivität und -fruchtbarkeit in Obstanlagen verbessern kann.
In den Baumreihen kommen Kompost, Winterbegrünung und Effektive Mikroorganismen zum Einsatz – in acht Kombi-Verfahren und drei Wiederholungen. Gestartet wurde das Projekt 2023. Erste erfolgversprechende Zwischenresultate würden aber bereits vorliegen. «Der positive Effekt von Kompost und Einsaat ist statistisch nachweisbar – nicht aber von EM», sagte er.
Bei der Winterbegrünung handelt es sich um eine abfrierende Mischung unter dem Namen Sanimix, die Weibel zusammen mit UFA Samen entwickelt hat. UFA Samen bietet zwei Mischungen an, eine für Kirschen und eine für Äpfel, Zwetschgen oder Rebzeilen. Zielkonflikte gibt es aber auch bei diesem Projekt, beispielsweise wenn die Winterbegrünung im Frühjahr nicht abfriert oder Mäuse die Wurzeln schädigen.
175 Jahre Hermann Müller-Thurgau
Die Müller-Thurgau-Stiftung widmet sich dem kulturellen Erbe des 1927 verstorbenen Professors Hermann Müller-Thurgau. «Er war damals so etwas wie ein Alfred Escher der Pflanzenbauwissenschaften», brachte es Lukas Bertschinger, Präsident der Stiftung, auf den Punkt. 2025 würde Müller-Thurgau seinen 175. Geburtstag feiern. Dazu ist 2025 eine Serie von Events geplant, wo auch «100 Jahre Rebenschmuggel über den Bodensee» einfliessen wird. Mit einer Sonderausstellung, einem Jubiläumsfest und sogar einem Müller-Thurgau-Cup will man das Wirken von Hermann Müller-Thurgau in Erinnerung rufen und zeigen, was sich daraus entwickelt hat.