Bricht uns die verfehlte Agrarpolitik das Genick? Unter diesem Titel hatte die Interessensgemeinschaft IG Anbindestall am Freitag zu einem Podium im Haus der Freiheit in Ebnat-Kappel SG eingeladen. Es diskutierten die Nationalräte Markus Ritter (CVP), Martina Munz (SP), Esther Friedli (SVP) und Mike Egger (SVP) sowie Ständerat Ruedi Noser (FDP) unter Moderation von Samuel Graber, ehemaliger Präsident des Schweizer Kälbermästerverbands. Wer fehlte, war die Initiantin der Massentierhaltungsinitiative, Meret Schneider (Grüne). Sie musste ihre Teilnahme aufgrund eines Velounfalls kurzfristig absagen.
Kleinräumige Landwirtschaft muss Perspektiven haben
Samuel Graber gab als erstes Gastgeberin und Nationalrätin Esther Friedli das Wort. Ob sie sich ihre Eringer-Kühe im Freilaufstall vorstellen könne, wollte er von der Lebenspartnerin von Alt-Nationalrat Toni Brunner wissen. «Nein, das ginge nicht, eine will ja immer der Chef sein», sagte Friedli und fuhr fort: «Ich bin entschieden gegen die Initiative und werde mich mit aller Vehemenz dafür einsetzen, dass es auch in Zukunft in der Schweiz Anbindeställe gibt.» In der kleinräumigen Schweiz sei es von grösster Bedeutung, dass die Landwirtschaft, wie sie heute ist, auch in Zukunft Bestand hat. Sie setze sich auch für eine Rückweisung der Agrarpolitik 2022+ (AP 22+) ein, betonte Friedli.
Martina Munz hingegen findet die AP 22+ «einen kleinen, aber wichtigen Schritt» in Richtung einer regionalen, standortangepassten und ressourcenschonenden Landwirtschaft. «Wenn sich die Landwirtschaft nicht bewegt, werden die Initiativen früher oder später angenommen», findet die Schaffhauser Politikerin. Dass Anbindeställe verboten würden stimme zudem nicht, sagte Munz, die den Gegenvorschlag befürwortet. «Der Gegenvorschlag verlangt einen halben Tag Auslauf oder Weidegang. Das ist im Sinne der Würde des Tieres.»
Ritter: Initiative wäre ehrlicher gewesen
Nationalrat und Bauernverbandspräsident Markus Ritter bezeichnet den Gegenvorschlag als unnötig. «Es bestand kein Bedarf für einen Gegenvorschlag, das sagen sogar die Initianten.» Die Schweiz habe die höchsten Tierschutzvorschriften der Welt und kenne als einziges Land Höchstbestände in der Tierhaltung. Problematisch ist für Ritter, dass der Bundesrat die Anforderungen auf Verfassungsstufe erhöhen und im Gegenzug keine Anpassungen bei Importprodukten machen will. «Da wäre die Initiative ehrlicher gewesen.»
Nach Ansicht von Mike Egger ist schon der Name der Initiative falsch: «In diesem Land gibt es keine Massentierhaltung», sagte der Fleischfachmann und legte nach: «Wenn alles nach Biostandard produziert werden müsste, hätten wir zu wenig Tiere für die Inlandversorgung.» Das würde bedeuten, dass mehr Fleisch importiert würde. «Und damit schaden wir nicht nur dem Tierwohl», so der SVP-Politiker. Martina Munz hielt er entgegen, dass die Landwirtschaft die Probleme erkannt habe und sich sehr wohl bewege.
IG Anbindestall findet Gegenvorschlag untauglich
Patrick Monhart von der IG Anbindestall hatte das Podium mit seiner Frau Vanessa organisiert. «Die Idee der Initiative ist löblich, denn kein Mensch in der Schweiz will eine Massentierhaltung», sagte er in seinem Grusswort.
In ihrem ursprünglichen Wortlaut verlangte die Massentierhaltungsinitiative ein Verbot der Anbindehaltung. An einer von der IG Anbindestall organisierten Stallbesichtigung liess sich Meret Schneider (Grüne) davon überzeugen, dass in Anbindeställen keine Massentierhaltung herrscht. Die Initiantin erklärte sich daraufhin bereit, das Verbot der Anbindeställe aus dem Initiativtext herauszunehmen.
Der Bundesrat liess einen Gegenvorschlag zur Initiative ausarbeiten, der demnächst in die Vernehmlassung kommt. Dieser Gegenvorschlag verlangt ein BTS- und RAUS-Obligatorium. Für die Importe sind indes keine strengeren Vorschriften vorgesehen.
Der tägliche Zugang zu einem Laufhof sei für viele Anbindeställe, gerade im Berggebiet, ein Ding der Unmöglichkeit, sagte Samuel Graber. Die Forderung käme einem Berufsverbot für Bauern mit Anbindeställen gleich, meinte Patrick Monhart. «Das hätte zur Folge, dass in der Schweiz 10'000 Bauernbetriebe schliessen müssten, es fehlten 180'000 Kühen auf dem Markt», rechnete er vor. Für die IG ist der Gegenvorschlag daher untauglich.
Noser: «Bundesrat ist strategielos»
Der Zürcher Ständerat Ruedi Noser kann weder der Initiative noch dem Gegenvorschlag etwas abgewinnen. «Die Politik ist im Moment verflixt schwierig», sagte er und nannte auch gleich ein Beispiel. In der AP 22+ gäbe es riesige Diskussionen um den Schleppschlauch, nur um Ammoniak einzusparen. Zusätzlich komme jetzt eine Verordnung, die verlange, dass man zukünftig mehr Freilaufställe braucht, wo dreimal mehr Ammoniak entsteht, als in Anbindeställen. Eine weitere Vorlage im Rat verlange, dass im landwirtschaftlichen Raum keine grössere Ställe mehr gebaut werden dürfen. «Wie soll das funktionieren?», fragte Noser rhetorisch.
«Der Bundesrat ist im Moment komplett strategielos», findet Noser. «Er steckt all die unterschiedlichen Interessen in verschiedene Vorlagen und das Parlament muss es dann ausbaden.» Parlament und Bundesrat müssten wieder eine Strategie haben, fordert er. «Man kann zu einer Initiative auch Nein sagen und dies klar begründen. Die Initiative ist widersprüchlich und das müssen wir aufzeigen in der Vernehmlassung.»
Initiativen sind ernst zu nehmen
Zur Sprache kamen neben der Massentierhaltungsinitiative auch die Trinkwasser- und die Pestizidinitiative. Markus Ritter bezeichnete all diese Initiativen als ideologisch und sehr radikal. «Weil sie so radikal sind, sind sie argumentativ einfach zu bekämpfen», sagte Ritter. Bei der Pestizidinitiative sind zum Beispiel auch die Kaffee-, Schokolade- und Getränkeindustrie und damit Zehntausende von Arbeitsplätzen betroffen. «Man muss die Initiativen ernst nehmen, aber in dieser Form sind sie chancenlos», ist sich der SBV-Präsident sicher.
Ganz gegenteiliger Meinung ist Martina Munz. Sie räumt den Initiativen gute Chancen ein. Gerade bei der Trinkwasserinitiative spüre sie einen starken Rückhalt in der Bevölkerung. «Mit der AP 22+ hätte man ein gutes Gegenargument gehabt, um zu zeigen, dass es in die richtige Richtung geht.» Dass der SBV die Rückweisung der Vorlage fordert, spiele den Initianten in die Hände, glaubt Munz.
Voten für den Anbindestall
In der anschliessenden Diskussion, wo sich Rednerinnen und Redner aus dem Publikum melden konnten, hatte Martina Munz in der bürgerlich geprägten Zuhörerschaft einen sehr schweren Stand. Ein Redner, dem Dialekt nach ein Berner, ärgerte sich: «Unseren bewährten Anbindeställen droht das Aus. Die kleinen Betriebe gehen ein, die Grossen werden noch grösser.» So gross, dass sie zu wenig Weideflächen zur Verfügung haben, befürchtet er. Diese Kühe stünden dann tagtäglich im eigenen Kot und man hätte mehr Probleme mit Krankheiten. «Und das soll der Würde des Tieres entsprechen», enervierte er sich.
Konrad Klötzli, Präsident der IG Anbindestall Schweiz, meldete sich ebenfalls zu Wort und wies darauf hin, dass die Würde des Tieres schon heute in der Bundesverfassung und im Tierschutzgesetz verankert ist. «Aus unserer Sicht braucht es weder eine Massentierhaltungsinitiative noch den Gegenvorschlag des Bundesrates», machte er klar.