Der Kalbfleischmarkt sei ein heikles Pflaster, erklärte Niklaus Hofer von IP-Suisse am Freitag in Bern. Daher sei es wichtig, an der Glaubwürdigkeit und am Vertrauen der Konsumenten in die Produktion zu arbeiten. Das ist eines der Ziele des Projekts «Freiluftkalb»
In drei Schritten zu besserer Tiergesundheit
Das Prinzip beim Haltungssystem des «Freiluftkalbs» für die Kälbermast besteht im Wesentlichen aus drei Punkten: Zukauf, Quarantäne und Gruppeniglu.
- Zukauf: Werden Kälber von anderen Betrieben zugekauft, sollten sie direkt transportiert werden, ohne in Kontakt mit Tieren aus weiteren Herden zu kommen. Dieser Punkt entfällt, wenn eigene Kälber gemästet werden sollen.
- Quarantäne: Die Jungtiere werden etwa drei Wochen lang in Einzeliglus mit einem kleinen, ungedeckten Aussenplätzchen gehalten. So gewöhnen sich betriebsfremde Kälber an die neue Umgebung. In dieser Zeit werden sie auch geimpft. Die Iglus werden so aufgestellt, dass Sichtkontakt zu den anderen Tieren möglich ist.
- Gruppeniglus: Nach Ende der Quarantäne-Phase kommen die Kälber in Gruppen von zehn Tieren zusammen und teilen sich ein Gruppeniglu mit überdachtem Aussenplatz. Hier bleiben sie in unveränderter Gesellschaft bis zum Schlachttermin.
Die Resultate überzeugen
Jens Becker, der Studienleiter des Versuchs, zeigte sich mit den Ergebnissen sehr zufrieden. Der Antibiotika-Einsatz konnte mit dem neuen System um 80 Prozent auf einen Fünftel der durchschnittlichen Werte der Vergleichs-Betriebe gesenkt werden. Auch die Sterblichkeit konnte um die Hälfte reduziert werden. Daraus, und aus der Schlachthof-Analyse der Lungen gehe hervor, dass die Tiergesundheit verbessert worden sei, so Becker. Bei den «Freiluftkälbern» zeigten nämlich nur 26 Prozent eine Gewebeveränderung der Lunge, die auf eine Lungenentzündung hinweist. Bei der Kontrollgruppe (IP-Suisse-Betriebe) hingegen waren 46 Prozent der Kälber betroffen.
Die Dauer der Antibiotika-Behandlung, die Anzahl Therapien pro Tier und der Anteil behandelter Kälber, all diese Zahlen lagen bei der «Freiluft»-Mast deutlich tiefer.
Keine Unterschiede beim Stress
Die zweite Untersuchung nach dem Schlachten betraf den Labmagen. Anzeichen für Geschwüre in diesem Organ werden als Zeichen für Stress gedeutet. Hier unterschieden sich die beiden Kälber-Gruppen nicht: es waren durchwegs etwa 70 Prozent betroffen.
Schnelle Umsetzung erwünscht
Niklaus Hofer von der IP-Suisse, die das Projekt zusammen mit dem Migros Genossenschafts-Bund und der Vetsuisse Wiederkäuerklinik der Universität Bern durchführte, zeigte die Hindernisse bei der praktischen Umsetzung der Ergebnisse auf. Man wolle das Konzept «Freiluftkalb» in die IP-Suisse-Kälbermast integrieren. Das sei allerdings nicht so einfach. «Es ist ein ganzes System, mit vielen Beteiligten: Züchter, Kälbermäster, Handelspartner, Abnehmer, Bundesamt und Tierärzte», gab er zu bedenken. Der IP-Suisse schwebt daher ein Punktesystem unter dem Namen «IP-Suisse Kalb 2020+» vor.
Der Name soll Programm sein
Das «IP-Suisse Kalb 2020+» soll demnach seinem Namen gerecht werden und bereits nächstes Jahr anlaufen. Dank dem Punktesystem, an dem die IP-Suisse derzeit arbeitet, soll eine schritt- oder teilweise Umsetzung des «Freiluftkalbs» ermöglicht werden. Parameter für die Tiergesundheit würden jeweils mit Punkten belohnt (z.B. der direkte Transport oder die Quarantäne). Je nach Anzahl Punkten würde dann ein Mehrwert bezahlt.
Andreas Schmidlin, der den Migros Genossenschafts-Bund vertrat, konnte noch nichts zu konkreten Ideen für die Vermarktung des «IP-Suisse Kalbs 2020+» sagen. Das werde aber sicher an der jährlichen Versammlung besprochen.
Keine RAUS-Beiträge
Zu Reden gab der Überdachte Aussenplatz der Gruppeniglus beim «Freiluftkalb». Wegen dieses Daches sei es nicht möglich, RAUS-Beiträge zu bekommen, bestätigte Niklaus Hofer auf Anfrage aus dem Publikum. Damit gebe es eine gewisse Finanzierungslücke, jedenfalls bis die AP 22+ in Kraft trete. Mit der Agrarreform erhofft sich IP-Suisse eine Möglichkeit, Fördergelder für das «Freiluftkalb» zu verankern. Man mache aber sicher nicht ein Projekt gratis und ins Blaue hinaus, es sei durchaus eine Finanzierung da, wurde betont.
Hofer merkte an, man wolle 2020 starten, was ambitiös sei. «Aber da steht ja auch noch ein Plus dahinter», meinte er.
Stimmen der beteiligten Produzenten
Zwei Landwirte, die im Rahmen des Projekts ihre Kälber «freiluft»-mästeten, gaben durchwegs positive Rückmeldungen. Sie gehörten zu 14 von 19 beteiligten Betrieben, die das System behalten haben.
Ein Kälbermäster aus der Vergleichsgruppe zeigte sich skeptisch gegenüber der Umsetzung bei grossen Betrieben. Da müsse er ja Tag und Nach Kälber herumfahren, wenn sie nicht mit anderen in Kontakt kommen sollten. Auch würde es bei den Einzeliglus Platzprobleme geben und eine Gruppengrösse von zehn Tieren sei doch eher klein bemessen.
Die Vertreter der IP-Suisse rechtfertigten die 10er Gruppen mit früheren Studien-Ergebnissen und der durchschnittlichen Anzahl Kälber auf IP-Suisse-Betrieben. Man sei aber froh um die Rückmeldungen und werde die erwähnten Punkte aufnehmen.
Weitere Auswertungen folgen
Zu einem späteren Zeitpunkt sollen noch Resultate zu Wirtschaftlichkeit des «Freiluftkalbs» und zum Einfluss auf die Bildung von Resistenzen gegen Antibiotika folgen. Diese werden im Moment noch ausgewertet.
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