Umfassende Grundlagen zum Wolfsmanagement und Herdenschutz seien in Arbeit, teilt die Regierungskonferenz der Gebirgskantone (RKGK) mit. Für den diesjährigen Alpsommer brauche es aber Sofortmassnahmen, unter anderem die Festlegung von Kriterien für die Zumutbarkeit des Herdenschutzes. Diese Beurteilung ist Sache der Kantone, sei aber zweckmässigerweise mit dem Bund abzustimmen. Dies mit dem Ziel, die Finanzierung und Entlastung im Falle von Alpentladungen zu konkretisieren.
Klare Kriterien hätten den Vorteil, dass das Wolfsmanagement gezielt danach ausgerichtet werden könnten und die Herdenschutzberatung ihre Ressourcen auf die zumutbar schützbaren Alpen fokussieren könnte, argumentiert die RKGK.
Genug Schafe, keine Ziegen- oder Rinderalpen
Nach ersten Erkenntnissen zum Herdenschutz legt die RKGK folgende Kriterien vor, nach denen Herdenschutz zumutbar wäre:
Nicht weniger als 10 Normalstösse: Für die Gebirgskantone liegt die wirtschaftliche Obergrenze der Kosten für den Herdenschutz bei 600 Franken pro Normalstoss, was etwa 50 Franken pro Schaf entspricht. Mit weniger als 115 Schafen (10 Normalstössen) werde diese Grenze immer unterschritten, weshalb entsprechende Alpen nicht zumutbar schützbar seien.
Keine weiträumigen Standweiden: Die ständige Behirtung sei erst ab 30 Normalstössen (350 Schafen) finanzierbar. Alpen mit 10 bis 30 Normalstössen (oder 115 bis 350 Schafen) könnten in einem Umtriebsweidesystem mit Herdenschutzhunden geschützt werden, was aber geeignete Weideflächen voraussetze und damit nicht auf allen Alpen möglich sei. Namentlich Standweiden in den Zentral- und Südalpen wären somit wegen ihrer Weiträumigkeit und kargen Vegetation nicht zumutbar schützbar.
Keine Ziegenalpen: Ziegen weiden meist frei und in sehr anspruchsvollem Gelände. Da es heute keine Beiträge für die Sömmerung von Ziegen in geschützten Weidesystemen gibt, seien Ziegenalpen sämtlich nicht zumutbar schützbar.
Keine Rindviehalpen: Auf Rindviehalpen ist laut der RKGK grundsätzlich kein Herdenschutz möglich und sie sollten daher ebenfalls als nicht zumutbar schützbar gelten. Als die einzige wirksame Massnahme werden Abkalbekoppeln genannt.
Noch sind die Arbeiten der RKGK in dieser Sache nicht abgeschlossen: Man plane weitere Kriterien und «substanzielle» Aussagen zu Interessenkonflikten. Dabei geht es um Konflikte zwischen Kulturlandschaftspflege und Tourismus auf der einen und dem Arten- und Lebensraumschutz auf der anderen Seite.
Sofortmassnahmen für schnellere Abschüsse
Der kurze Alpsommer bedinge, dass Bewilligungen rasch erteilt werden, heisst es weiter. Erfahrungsgemäss seien die administrativen Abläufe bis zur Abschussbewilligung heute «viel zu schwerfällig» und müssten vereinfacht werden. Daher fordern die Gebirgskantone vom Bund eine markante Vereinfachung und genügend Ressourcen, um Abschüsse künftig «innert kürzester Zeit» bewilligen zu können. Entsprechende Massnahmen seien rechtzeitig zum Alpsommer 2022 umzusetzen.
Besseres Wolfsmanagement als längerfristiges Ziel
Da die vom Parlament angestossene Revision des Jagdgesetzes erst 2023 behandelt werden dürfte, müssten für dieses Jahr die oben genannten, auf das geltende Gesetz abgestützten Sofortmassnahmen umgesetzt werden.
Für die Gebirgskantone steht angesichts der wachsenden Wolfpopulation in der Schweiz aber ausser Frage, dass auch das Wolfsmanagement dringend angepasst werden muss. «Es braucht Möglichkeiten zur Regulation des Wolfsbestands, ohne diesen dabei zu gefährden», hält die RKGK fest. Das Parlament müsse die entsprechenden Massnahmen im Gesetz festlegen.
Das Bafu will die Vorschläge prüfen
Wie ein Sprecher des Bundesamts für Umwelt (Bafu) gegenüber dem «Walliser Boten» sagt, hat das Amt für den kommenden Alpsommer selbst eine Kriterienliste erarbeitet. Damit sollen Alpen ausgeschieden werden, die als nicht zumutbar schützbar gelten. In diesem Rahmen werde man auch die Vorschläge der Gebirgskantone prüfen. Die Kriterien werden nach Angaben des Bafu als Vollzugshilfe die Basis für den Entscheid der Kantone dienen. Solange das Bundesrecht eingehalten werde, könnten die Kantone aber auch ein anderes Vorgehen wählen. Die Jagdverordnung müsse dazu nicht angepasst werden.
«Herdenschutz ist sehr erfolgreich»
Die Gruppe Wolf Schweiz sieht keinerlei Bedarf bei der Anpassung der Kriterien, wie der Präsident David Gerke auf Anfrage von Keystone-SDA schreibt. Im letzten Jahr habe es weniger Risse gegeben, trotz wachsender Wolfsbestände.
«Der Herdenschutz ist in hohem Masse erfolgreich. So ist etwa die Zahl der Risse in durch Herdenschutzhunde geschützten Herden nicht zunehmend, sondern auf tiefem Niveau sogar rückläufig. Dies wird durch die Zahlen der nationalen Herdenschutzfachstelle belegt», teilt Gerke mit.
Wer ist die RKGK?
Zur 1981 gegründeten Regierungskonferenz der Gebirgskantone (RKGK) gehören die Regierungen der Kantone Uri, Obwalden, Nidwalden, Glarus, Appenzell Innerrhoden, Graubünden, Tessin und Wallis. Gemeinsam setzen sie sich für eine Vertretung gebirgsspezifischer Anliegen und Interessen im In- und Ausland ein. Die Flächen der zur RKGK gehörenden Kantone umfassen 43,3 Prozent der Schweizer Landesfläche, auf denen mit 1,1 Millionen Menschen 13 Prozent der hiesigen Bevölkerung wohnen.