«In unserem Praxisgebiet hat sich die Situation in den letzten Jahren deutlich verbessert», sagt Oskar Luder, Tierarzt der Praxis Duovet in Säriswil BE, auf die Frage, wie es den Aufzuchtkälbern in der Schweiz geht. «Dies betrifft einerseits die Durchfallproblematik, andererseits aber auch die Atemwegserkrankungen», sagt er. Die Entstehung von Atemwegserkrankungen würden stark durch Umweltfaktoren begünstigt. Schlechte Luftqualität, hohe Schadstoffbelastung der Stallluft, Zugluft, Kaltluftströmungen im Liegebereich, ungenügende Luftumwälzung im Stall seien einige Beispiele dafür. Aber auch Managementfehler führten zu einer grösseren Krankheitsanfälligkeit. «Die Gesundheit des Kalbes beginnt bereits im Mutterleib. Der Vitamin- und Spurenelementversorgung der Kühe wird in der Galtphase oft zu wenig Beachtung geschenkt. Eine Unterversorgung in der Galtzeit führt dazu, dass auch die Kälber unterversorgt auf die Welt kommen und das hat gravierende Folgen für die Gesundheit», weiss der Tierarzt.
Gleich bei Krankheitsbeginn
Oskar Luder wendet seit vielen Jahren Homöopathika in seiner Praxis an. «Die besten Erfolge erzielt man mit der Homöopathie, wenn sofort bei Krankheitsbeginn, also bei den ersten Symptomen, behandelt wird. Dies gilt übrigens auch für die Schulmedizin», erinnert der Tierarzt. In frühen Krankheitsstadien einer Atemwegsinfektion seien noch keine schwerwiegende Lungenschäden vorhanden und die Auswahl des passenden homöopathischen Arzneimittels sei etwas leichter. In fortgeschrittenen Krankheitsfällen werde die Behandlung schwieriger und die Prognose, wie auch bei einer schulmedizinischen Behandlung, schlechter.
Rasche Besserung
«Die homöopathische Selbstbehandlung durch den Besitzer eignet sich für die Behandlung von frühen Stadien von Atemwegsinfektionen», erklärt der Tierarzt und nennt ein Beispiel: «In einer Gruppe von Kälbern beginnen innerhalb von einigen Stunden beinahe alle Tiere zu husten, einige davon haben eine leicht erhöhte Körpertemperatur, der Appetit ist reduziert, aber noch vorhanden und der Allgemeinzustand ist lediglich leicht reduziert. In einem solchen Fall hat der Tierbesitzer eine recht gute Erfolgschance. Wenn sich der Zustand nach der Verabreichung des homöopathischen Mittels nicht im Verlauf der nächsten zwölf Stunden sichtlich verbessert oder sogar massiv verschlechtert, ist der Rat eines Tierarztes beizuziehen. Die meisten Behandlungen von akuten Krankheiten sollten innerhalb eines Tages eine deutliche Besserung zeigen». Der Landwirt arbeite dabei immer in eigener Verantwortung.
Vor einer homöopathischen Behandlung sollte man sich immer folgende wichtige Fragen stellen:
- An welcher Krankheit leidet das Tier (richtige Diagnose)?
- Ist die Krankheit überhaupt mit homöopathischen Mitteln allein heilbar?
- Zeigt der Patient genügend gute Symptome für eine sichere Arzneimittelwahl?
- Wie sollte der Behandlungsverlauf aussehen?
- Ab wann rufe ich den Bestandestierarzt?
Bei schweren Fällen, den Tierarzt beiziehen
Oskar Luder erklärt, dass Kälber, die an schwereren Atemwegsinfektionen mit mittel bis stark gestörtem Allgemeinzustand leiden, nur in Absprache mit dem Bestandestierarzt durch den Besitzer selbst behandelt werden sollten. In solchen Fällen sei es durchaus sinnvoll, die schulmedizinische Behandlung durch eine begleitende homöopathische Behandlung zu unterstützen.
«Obwohl diese Kombination nicht den Grundsätzen der klassischen Homöopathie entspricht, wird dabei nach unseren Erfahrungen der Behandlungserfolg verbessert»
Oskar Luder, Tierarzt
Wenn das Mittel passt, geht es schnell
Die Beobachtung des kranken Tieres nach der Verabreichung eines homöopathischen Mittels sei sehr wichtig. War die Arzneimittelwahl passend, zeigt sich das in der Verbesserung des Allgemeinbefindens des Tieres. «Die Tiere haben meist einen wacheren Blick, sind weniger apathisch, stehen auf und strecken sich durch, zeigen mehr Vitalität und beginnen zu fressen. Bei falscher Mittelwahl sehen wir hingegen keine Verbesserung des Allgemeinbefindens oder die Tiere werden zunehmend schlechter» führt Luder aus. Bei akuten Krankheiten sollte eine Reaktion innerhalb von 12, spätestens aber nach 24 Stunden sichtbar sein. «Man kann mit der Verabreichung eines Mittels stoppen, sobald eine sichtbare Besserung eingetreten ist», erklärt der Tierarzt weiter.
1. Fallbeispiel
Gruppe von fünf Kälbern: Am Vorabend waren alle Tiere noch fit und munter. Am nächsten Morgen saufen drei Kälber nur die Hälfte ihrer Milch, sie atmen schnell und stark, manchmal hört man einen kurzen trockenen Husten, die Körpertemperatur beträgt 40°C. Kein Nasenausfluss, kein Schwitzen. Am Vorabend hat eine kräftige Bise eingesetzt, die der Besitzer als Ursache für die Erkrankung ansieht.
Hier handelt es sich um eine rasch auftretende Lungenentzündung im Anfangsstadium, verursacht durch kalten Luftzug.
Behandlung mit Aconitum C30 (drei Gaben im Abstand einer Stunde) an alle Kälber führt zu einer schnellen Besserung. Am Abend trinken die Kälber normal, die Körpertemperatur ist ebenfalls im Normbereich.
Die Wahl des Mittels Aconitum erfolgte aus folgenden Gründen:
- Lungenentzündung als Folge von kalter Luft/Zugluft
- plötzliches Auftreten von Fieber (gesund – krank)
- trockener Husten
- Fieber ohne Schweiss
2. Fallbeispiel
Ein drei Wochen altes Aufzuchtkalb: Schon seit zwei Tagen wirkte das Tier etwas müde, heute ist es extrem apathisch, will nicht mehr aufstehen, es liegt die ganze Zeit auf der rechten Körperseite. Zum Erstaunen des Besitzers trinkt das Tier gierig. Die Körpertemperatur beträgt 40,6°C. Der zugezogene Tierarzt (Homöopath) diagnostiziert eine ausgeprägte Lungenentzündung der rechten Lungenhälfte.
Behandlung mit Bryonia C200 (drei Gaben im Abstand von einer Stunde). Das Kalb steht nach drei Stunden auf, ist viel aufmerksamer, nach sechs Stunden beträgt die Körpertemperatur noch 39,8°C. Nach 36 Stunden ist das Kalb wieder gesund und braucht keine weitere Behandlung mehr.
Die Wahl des Mittels Bryonia erfolgte aus folgenden Gründen:
- Fieber mit grossem Durst
- rechtsseitige Lungenentzündung, welche durch Liegen auf der rechten Seite gebessert wird
- langsame Krankheitsentstehung (bereits vor zwei Tagen etwas müde, heute schwer krank)