Am Freitag (17. Mai 2024) ging die Zeit als Berner Grossrätin für Christine Gerber zu Ende. Die Kauffrau und diplomierte Bäuerin aus Oberruntigen, Gemeinde Radelfingen, nahm zum letzten Mal an einer Kommissionsitzung als Teil des bernischen Grossen Rates teil. Mit der BauernZeitung hat sie über ihre Gründe für den Rücktritt mitten in der Legislatur gesprochen. Sie verrät auch, warum sie nicht zu denen gehört, die eine Motion nach der anderen einreichen, wie sie all ihre Engagements in unterschiedlichen Funktionen und Organisationen sowie die Arbeit als Bäuerin, Mutter von sechs Kindern und 13 Enkelkindern unter einen Hut bringt.

Sie fühlt Dankbarkeit und Erleichterung

Beim Gespräch fühlt Christine Gerber einerseits Dankbarkeit für all das, was sie in den acht Jahren im Grossen Rat lernen und die Kontakte, die sie knüpfen konnte. Andererseits spürt sie auch eine gewisse Erleichterung darüber, Verantwortung abgeben zu können. So manches Mal habe sie sich machtlos und ohnmächtig gefühlt. So etwa, wenn Millionen-Projekte aufgegleist wurden, die dann nicht so liefen wie gewünscht.

Die Krux der Digitalisierung

«Du siehst, dass etwas nicht gut läuft, kannst es aber nicht ändern, weil es nicht in deiner Hand und Macht liegt», erzählt sie. So etwa im Bereich Digitalisierung. Oft sei der Fortschritt zwar gross, dann aber mit älteren Gegebenheiten nicht kompatibel, was ihr Sorgen bereitet. «Ich musste mich erst in die Digitalisierung einleben», verrät sie. Bei ihrem Einstieg in die Amtszeit wurden die Vorbereitungspapiere für die Sessionen noch auf Papier verteilt. Heute geschieht das digital.

Funktionen und Ämter

Kartoffelproduzenten: Von 1996 bis 2010 führte die Bäuerin die Geschäftsstelle der Vereinigung Schweizerischer Kartoffelproduzenten (VSKP). 
Landfrauen: Von 2008 bis 2014 präsidierte Christine Gerber den Verband Bernischer Landfrauenvereine.
Gemeinde Radelfingen: 2009 erfolgte die Wahl zur Gemeinderätin in Radelfingen. 2017 übernahm sie das Vizepräsidium. Seit 2019 ist sie Gemeindepräsidentin von Radelfingen.
Berner Bauernverband: 2013 wurde Christine Gerber in den Vorstand des Berner Bauernverbands (BEBV) und als Vizepräsidentin gewählt. 2020 hat sie den BEBV-Vorstand verlassen. 
Berner Grossrat: Christine Gerber ist seit 2016 Berner Grossrätin. Seit 2017 ist sie in dieser Funktion Mitglied in der Justizkommission.
Chefexpertin Prüfungsleitung Bäuerin mit Fachausweis: Seit 2016 arbeitet die Bäuerin als Chefexpertin. Ihr Arbeitspensum als Chefexpertin erhöht sie diesen Sommer.
SVP: Seit Juni 2022 ist Christine Gerber Präsidentin der SVP-Frauen Bern, seit Oktober 2022 hat sie das Vizepräsidium bei der SVP Seeland inne. 

Der Ausgleich zum Familienalltag fand sie bei der Büroarbeit

Der Grundstein für ihre zahlreichen Engagements wurde in Christine Gerbers Kindheit gelegt. Bereits ihre Mutter engagierte sich im Frauenverein. Der kleinen Christine gefiel die Mitarbeit, etwa bei Kaffeeanlässen. So war es naheliegend, dass sie nach der Heirat mit ihrem Mann Niklaus Gerber im Jahr 1987 dem örtlichen Landfrauenverein und den Seeländer Bäuerinnen beitrat. «Dann kam alles schleichend», verrät sie. Sie übernahm die ersten Vorstandsämter, weitere Engagements folgten. Während ihrer Zeit als Geschäftsführerin der Vereinigung Schweizerischer Kartoffelproduzenten (VSKP) bekam sie ihre jüngsten beiden Kinder .«Die Arbeit gab mir den Ausgleich zur Arbeit mit den Kindern, ich habe es geliebt», erinnert sie sich. Zudem arbeitet Christine Gerber gerne abends im Büro.

«Ich bin ruhelos, kann nicht einfach vor dem Fernseher sitzen und nichts tun.»

Dies sagt Christine Gerber über sich selbst.

Es blieb keine Zeit für sich selbst

«Ich frage mich aber selbst manchmal, wie ich alles unter einen Hut bringen konnte, als die Kinder klein waren», erklärt sie und lacht dabei. Die Antwort schiebt sie sogleich nach. Ihre Mutter und ihr Mann hätten sie sehr unterstützt. Zudem sei die ganze Familie mit ihr und den wechselnden Ämtern gewachsen. Und: «Ich hatte ein durchgetaktetes Programm, in dem keine Zeit für mich blieb.» Diesen Umstand beschönigt sie nicht. Lediglich mittags nimmt sie sich die Zeit, eine Viertelstunde auf dem Bett einen kurzen Powerschlaf zu halten.

Frauen sollen sich untereinander nicht vergleichen

Christine Gerber warnt aber jede Frau davor, zu vergleichen. «Wenn ich gefragt wurde, wie ich das alles schaffe, sagte ich deutlich: Das Umfeld ist bei allen anders, vergleiche nicht!» Und mit Nachdruck fügt sie an: «Ich bin zudem keine Perfektionistin, bei mir muss nicht immer alles top sein, die Kissen liegen nicht auf dem Sofa wie im Prospekt.» Heute versucht sie, sich fast täglich Zeit für einen kleinen Spaziergang zu nehmen. Etwas, das ihr jedoch nicht immer gelingt. Wichtig sind ihr auch die drei, vier Tage im Jahr, wo sie Tochter Damaris und deren Familie in die Skiferien begleitet. Tagsüber verbringt sie Zeit mit den Enkeln, abends fährt sie ins Hotel. Die Zeit allein beim Abendessen und beim Frühstück geniesse sie sehr, verrät sie ihre Kraftquelle. Kraft gibt ihr auch die Dankbarkeit darüber, dass alle in der Familie immer gesund waren. «Das ist nicht selbstverständlich», weiss sie.

Jetzt ist es genug

Gab es nie den Moment, wo ihr alles über den Kopf wuchs und zu viel wurde? «Doch, im Moment ist das so», lautet die Antwort. Grossrätin, Gemeindepräsidentin, Mitarbeit auf dem Hof, 13 Enkelkinder, mit denen sie gerne Zeit verbringen will, und auch noch OK-Präsidentin des Seeländischen Schwingfests im nächsten Jahr – damit war auch bei Christine Gerber die Grenze erreicht. Zudem kann sie ihre Arbeit als Chefexpertin der Bäuerinnenprüfung aufstocken. Etwas, das sie mit viel Freude macht.

Die Arbeit im Hintergrund mag Christine Gerber

Zeitlich sind dieses Engagement und die Sessionszeiten nicht zu vereinbaren. Daher gab Christine Gerber ihren Rücktritt als Grossrätin vor Ablauf der laufenden Legislatur. «Ich gebe dasjenige Amt ab, bei dem ich das Gefühl habe, am wenigsten bewirken zu können», erklärt sie. Sie gesteht denn auch, dass sie nicht diejenige im Grossen Rat war, die ständig Motionen eingereicht hätte. Ihrem Naturell entspreche es, mehr im Hintergrund zu agieren. Ein Umstand, der gut zur Justizkommission passt, wo sie tätig war. Denn diese agiert meist im Hintergrund. Viel lieber, als sich vorne am Rednerpult in Szene zu setzen, half Christine Gerber mit ihren zahlreichen Kontakten, die Fäden im Hintergrund in die richtige Richtung zu ziehen.

Zwei Ämter prägten sie 

Oft fühlen sich Frauen voller Zweifel, ob sie solchen Aufgaben wie einem Grossratsmandat gewachsen seien. Christine Gerber sagt dazu: «Die Arbeit bereits als etwa 30-jährige Frau im männerdominierten Gremium der VSKP hat mich extrem gestärkt. Und auch die Arbeit beim BEBV war prägend. Dies alles zeigte mir: Ich kann das. Warum sollte ich das nicht schaffen?» Sie betont: «Ich verstehe nicht immer alles. Ich bin aber überzeugt, dass das auch Männer nicht immer tun.»

«Ich wurde ernst genommen, die Stimme der Frau wurde ernst genommen.»

Das ist etwas, worauf Christine Gerber stolz ist.

Die Betriebsübergabe wurde lange geplant

Nach ihrem grössten beruflichen oder privaten Erfolg gefragt, überlegt Christine Gerber lange. Schliesslich erklärt sie: «Das ist die Freude darüber, die Betriebsübergabe an unseren Sohn Stefan vor vier Jahren so gut gelöst zu haben.» Der Betrieb sei 30 Jahre durch ihren Mann Niklaus und sie aufgebaut und entwickelt worden. Bei der Übergabe waren alle sechs Kinder mitsamt Partner(innen) involviert und mit der Lösung einverstanden. Dem ging aber ein mehrjähriger Prozess mit immer wiederkehrenden Familiensitzungen und Gesprächen vorher. Nicht immer herrschte dabei Friede, Freude, Eierkuchen, denn es gab auch Diskussionen. Man habe sich in den Gesprächen jedoch immer wieder gefunden. «Diese Gespräche waren enorm wichtig», betont die Familienfrau.

Kleine Erfolge für die Frauen

Auch die Antwort auf den grössten beruflichen Erfolg kommt nicht aus der Pistole geschossen. «Dies oder das habe ich allein erreicht, kann ich nicht sagen», erklärt Christine Gerber. «Ich bin aber stolz darauf, im BEBV und auch in Fraktionen des Grossen Rates die Stimme der Frau vertreten zu haben. Dabei habe ich kleine Erfolge erreicht Und: