«Es gibt zu wenig Trachtenschneiderinnen, wir brauchen unbedingt weitere. Denn viele werden in naher Zukunft pensioniert.» Dies sagt Regina Krummenacher aus Untersteckholz, Gemeinde Langenthal. Sie ist Trachtenschneiderin und Mitglied der Trachtenberatungskommission (TBK), einer Fachkommission der Bernischen Trachtenvereinigung (BTV).
Zahlreiche Übungsstunden gehören dazu
Und die 26-Jährige muss es wissen, würde sie doch gerne mehr auf dem Hof ihres Partners Jürgen Peter mithelfen. Aber das geht nicht. «Es ist so viel Arbeit da. Oft fällt es mir schwer, bei Anfragen nein zu sagen», erklärt Regina Krummenacher, die auch die Bäuerinnenschule absolviert hat. Lediglich die Schlussarbeit fehlt ihr noch zum Fachausweis.
Die Ausbildung ist von Kanton zu Kanton unterschiedlich geregelt
Eine Trachtenschneiderin muss zunächst gelernte Schneiderin (heutige Bekleidungsgestalterin) sein. Die Weiterbildung ist dann kantonal unterschiedlich geregelt. Beim Kanton Bern ist die BTV für die Prüfungsabnahme und Erteilung des Diploms zuständig. Dazu müssen insgesamt 2120 Arbeitsstunden innerhalb von zweieinhalb Jahren vorgewiesen werden, davon mindestens 1800 bei einer diplomierten Trachtenschneiderin.
Weitere 320 Stunden können zu Hause absolviert, müssen aber dokumentiert und zusammen mit den gefertigten Teilen regelmässig einer diplomierten Trachtenschneiderin zur Begutachtung vorgelegt werden. Diese Stunden sollen sich auf regionale Trachten fokussieren. Das heisst, eine Oberländerin sollte spätestens ab da ihre Ausbildung im Oberland beenden. Danach kann die Prüfung abgelegt werden.
Eine Tracht von Grund auf zu nähen ist aufwendig
In ihrem Atelier stellt Regina Krummenacher pro Jahr rund fünf bis sechs komplett neue Trachten her. In eine Berner Sonntagstracht steckt sie zwischen 60 bis 70 Arbeitsstunden. Die Kosten sind nicht gering. Mit 3000 bis 3500 Franken schlägt allein die Tracht zu Buche. Dies, je nachdem welches Material gewählt wird und ob auch Strumpfhosen oder eine Spitzenhose, auch Pumphose genannt, für darunter bestellt werden. Wird der Schmuck nicht neu gekauft, müssen nochmals mindestens 1000 Franken eingerechnet werden.
Neuer Schmuck kostet ab etwa 3000 Franken, die Grenze nach oben ist offen. Nicht nur die aufwendige Handarbeit führt zum Gesamtpreis, sondern auch die hohen Materialkosten der Stoffe. Nebst der Neuanfertigung kompletter Trachten gehören Einzelteile sowie Änderungen zum Tagesgeschäft. Regina Krummenachers Augen strahlen, wenn sie über Trachten und ihre Arbeit spricht, die Begeisterung ist förmlich greifbar. Bereits als Kind wünschte sie sich, einmal eine Tracht selbst herstellen zu können. Die kindliche Begeisterung ist auch jetzt im Alltag geblieben, einzig die Magie ging ein wenig verloren.
Die grosse Vielfalt an Berner Trachten
Rund 80 unterschiedliche Trachten kennt der Kanton Bern. Eines haben sie aber fast alle gemeinsam: das Schnabelmieder mit den Metallstäbchen. «Das ist eine stabile Angelegenheit», weiss Regina Krummenacher aus Erfahrung. Bei jeder Tracht ist vorgegeben, was dazu getragen werden darf. Dennoch gibt es Spielraum. Der Kittel der Berner Sonntagstracht kann etwa zur Gotthelftracht getragen werden. So auch das Mieder, sofern der Schmuck nicht angenäht ist. Keinen Spielraum gibt es bei der Länge der meisten Berner Trachten. Der Kittel muss 20 bis 28 Zentimeter ab Boden aufhören. Und die Schürze muss ein bis zwei Zentimeter kürzer sein als der Kittel.
Die einzelnen Teile einer Tracht im Kanton Bern tragen ganz eigene Namen:
- Der Rock wird Kittel genannt.
- Die Bluse heisst Hemd.
- Der Unterrock heisst Gloschli.
- Als Gärnli wird das «Netz» über den Schultern bezeichnet (siehe Text Wollene Ausgangstracht).
- Als Göller wird das Teil bezeichnet, das bei der Berner Sonntagstracht um den Hals gelegt wird.
Regina Krummenacher stellt vier der zahlreichen Berner Trachten im Detail vor:
Berner Sonntagstracht
Bei der Berner Sonntagstracht besteht das Mieder immer aus Samt, entweder uni oder geblümt (Jacquard). Das Hemd muss Puffärmel haben und gefältelt sein. Wichtig ist das Göller. Dieses besteht ebenfalls aus Samt und wird um den Hals gelegt. Daran werden die Brosche und der obere Schmuck, Fachausdruck: die Göllerhaften mit den Ketten, befestigt. Ein Blickfang ist die Schürze. Sie besteht aus geblümtem Seiden-Damast. Dabei sind alle Farben möglich. Rot ist am beliebtesten, da es auch die Farbe des Berner Kantonswappens ist. Der Schmuck besteht aus aufgeworfenem Siberfiligran. Das bedeutet, dass die Blüten nicht flach sind. Der Schmuck muss schneeweiss sein. Eigentlich sollte zu allen Trachten, die weissen Schmuck haben, auch immer die Haube getragen werden. Eine Ausnahme bildet das Trachten-Tanzen. In der Praxis wird die Haube aber oft nicht getragen. [IMG 2]
Wollene Ausgangstracht
[IMG 3]Die Wollene Ausgangstracht ist eine schlichtere Tracht. Sie besteht aus Wolle. Sie kann aus den Farben Blau, Braun, Grau, Rost, Rot, Grün und Schwarz bestehen. Die Schürze muss immer längs gestreift und passend zur Farbe der Tracht sein. Der Ausschnitt und die Armlöcher sind mit schwarzem Samt eingefasst. Der Miederausschnitt ist gegen unten geschweift, macht also einen Bogen gegen unten. Um die Schultern wird ein Gärnli gelegt, eine netzartige Handarbeit, filochiert, gehäkelt oder gestrickt. Filochieren bedeutet Filetknüpfen, was auch bei Fischernetzen angewandt wird.
Das Hemd kann gefältelt oder eingereiht (siehe Bild Werktagstracht), lang- oder kurzärmlig sein. Als Schmuck kann in der Mitte des Hemds eine oxidierte Silberfiligranbrosche oder eine geschnitzte Holzbrosche getragen werden. Der Rückenabschluss (Fäckli) am Trachtenmieder ist gezackt.
Gotthelftracht
Die Gotthelftracht ist eine einfache Sonntagstracht, die nicht nur im Kanton Bern getragen wird. Das Hemd kann gefältelt oder eingereiht sein. Je nach Jahreszeit kann ein kurz- oder langärmliges Hemd getragen werden. Wie bei der Ausgangstracht wird ein Gärnli über den Schultern getragen. Die Schürze besteht aus Seide, Leinen, Halbleinen oder aus Wolle. Es sind verschiedene Farben möglich, jedoch muss die Schürze immer längs gestreift sein. Eine oxidierte Silberfiligranbrosche oder eine geschnitzte Holzbrosche vervollständigen die Tracht. Zusätzlich kann eine Uhrenkette die Gotthelftracht festlicher wirken lassen. Das Mieder, welches mit Guipure-Spitzen oder Samt verziert ist, ist wie bei der Sonntagstracht gegen oben geschweift. Albert Anker illustrierte die Werke von Jeremias Gotthelf. Aus diesen Bildern entstand die Gotthelftracht. [IMG 4]
Gestreifte Werktagstracht
[IMG 5]Auch bei der Gestreiften Werktagstracht kann ein gefälteltes oder eingereihtes Hemd getragen werden. Die Tracht besteht aus Halbleinen oder Wollmischgeweben, dem sogenannten Trevira. Das Mieder ist gegen unten geschweift. Dieses und die Schürze bestehen aus demselben Stoff. Der Ausschnitt und die Armlöcher sind aus demselben Stoff wie der Rock eingefasst. In der Trachten-Fachsprache wird der Rock nicht Rock, sondern Kittel genannt. Diverse Farben stehen für die Werktagstracht zur Auswahl. Die Gestreifte Werktagstracht hat keine Rückennaht und auch kein Fäckli. Als Schmuck können wiederum die oxidierte Silberfiligranbrosche oder eine Holzbrosche getragen werden. Um die Schultern wird ein Gärnli gelegt. Im Sommer kann ein Strohhut als Sonnenschutz dienen. Ein solcher könnte im Sommer zu jeder Berner Tracht getragen werden.