«Die Zuchtwertschätzung bei den Mutterkuh-Rassen ist im Vergleich zu den Milchkühen nicht so schnell unterwegs», sagt Svenja Strasser, Leiterin Herdebuch von Mutterkuh Schweiz. Denn es gibt viel weniger Herdebuchtiere als bei den Milchkühen. Von den rund 700 000 Kühen, die es in der Schweiz gibt, sind nur etwa 100 000 Mutterkühe. Von vielen Mutterkuhrassen existiert in der Schweiz ausserdem nur eine kleine Population, eine konventionelle Zuchtwertschätzung ist deswegen nur für die Rassen Angus, Limousin, Simmental, Aubrac, Charolais und Braunvieh möglich.
Genomische Zuchtwerte entstehen sukzessive
[IMG 2]Eine grosse Hilfe in der modernen Tierzucht sind die genomischen Zuchtwerte. Dazu werden Köperzellen meistens mittels einer Haarwurzelprobe genomisch analysiert. Sie sind genauer als konventionelle Zuchtwerte, da die genomische Information mit in das Modell einfliesst. Der grosse Vorteil von genomischen Zuchtwerten ist, dass sie schon beim Kalb bekannt sind. «Damit lässt sich das Generationenintervall verkürzen und der Zuchtfortschritt schneller voranbringen», bringt es Strasser auf den Punkt. Während die Milchviehzuchtverbände schon seit 2010 mit genomischen Zuchtwerten arbeiten, führte Mutterkuh Schweiz diese 2020 in der Fleischrinderzucht ein und erweitert sie sukzessive.
Im April 2020 präsentierte Mutterkuh Schweiz genomische Zuchtwerte für das Absetzgewicht bei der Rasse Limousin. Im Jahr 2021 kamen genomische Zuchtwerte für die Schlachtmerkmale, nämlich Schlachtgewicht, Fleischigkeit und Fettabdeckung, hinzu. Sie liessen sich bei der Gruppe Banktiere auf die Rassen Braunvieh und Simmentaler (Code 60) ausdehnen, bei den Bankkälbern auf die Rasse Braunvieh und für die Gruppe Natura-Beef auf die Rasse Limousin. «Wir planen, demnächst genomische Zuchtwerte für Limousin im Bereich Geburtsmerkmale zu publizieren», kündigt Strasser an. Es betrifft Zuchtwerte für den Geburtsablauf und das Geburtsgewicht.
Trainingspopulation darf nicht zu klein sein
Um die genomischen Effekte schätzen zu können, braucht es eine Trainingspopulation. Das sind Tiere, deren Genotyp man kennt und die über ein sicheres, nachzuchtgeprüftes Resultat verfügen. «Die Trainingspopulation muss gross genug sein», betont die Herdebuchleiterin. Es braucht gesicherte Zuchtwerte von mindestens 1000 Tieren. Sonst ist die Voraussage zu wenig stabil. Dreimal jährlich, während der Routine-Zuchtwertschätzungen, aktualisiert die Qualitas AG die Effektschätzung für die genomische Selektion von Mutterkuh Schweiz. Zusätzlich zu diesen drei Terminen werden jeden zweiten Dienstag im Monat genomische Zuchtwerte für neu typisierte Tiere geschätzt.
«Genotyp ist nur ein Teil der Wahrheit»
«Uns stehen früher und mehr Information zur Verfügung», fasst Svenja Strasser den Hauptvorteil zusammen. So gut der Zuchtwert die genetische Veranlagung eines Tieres wiedergebe, für die Ausprägung des Merkmales sei er nicht allein verantwortlich. Ausschlaggebend ist der Phänotyp, wie Geburtsablauf, Geburtsgewicht, Absetzgewicht, Schlachtgewicht, Fleischigkeit und Fettabdeckung. Der Phänotyp wird nicht nur vom Erbgut, sondern auch von der Umwelt, insbesondere der Haltung und Fütterung, beeinflusst. Wie sich das Erbgut auswirkt, ist immer auch von der Umwelt abhängig.
Eine exakte Voraussage des Phänotyps oder, wie Strasser sagt, «die volle Wahrheit», ist allein auf Grund des Erbgutes nie möglich. Die bestmögliche Schätzung für den genetischen Wert eines Tieres ergibt sich, wenn alle vorliegenden Informationen aus konventioneller und genomischer Zuchtwertschätzung genutzt und zu einem kombinierten Wert zusammengefasst werden. Diesen kombinierten Wert nennt man den genomisch optimierten Zuchtwert (GOZW). Dieser entspricht dem Zuchtwert mit dem höchsten Informationsgehalt.
Besonders auf Fettabdeckung und Geburtsverlauf achten
Ein wichtiges Merkmal für die Mutterkuhhalter ist der Geburtsablauf. «Ein gesundes Kalb ist das ganze Einkommen des Bauern», bringt es Strasser auf den Punkt. Oft sind Mutterkuhhalter Nebenerwerbs-Landwirte und können nicht immer bei der Geburt dabei sein. Umso wichtiger ist es, dass die Geburt ohne Komplikationen verläuft. Dafür können Landwirte unter anderem die Zuchtwerte «Geburtsablauf» und «Geburtsgewicht» beachten. Vor allem bei Rindern sollten Stiere gewählt werden, die sich durch eine leichteres Geburtsgewicht und einen guten Geburtsverlauf ausweisen.
Ein weiteres, anspruchsvolles Merkmal ist die Fettabdeckung. «Viele Produzenten haben mit der Fettabdeckung ihrer Kälber Schwierigkeiten», führt Strasser aus. Mit einer gezielten Wahl eines Stieres, unter Berücksichtigung des Zuchtwerts Fettabdeckung, lässt sich dem entgegensteuern.