Will man die Milchleistung in der Stallfütterung erhöhen, findet sich schnell ein Berater oder ein Ratgeber im Internet, der hilft. Beratungen für Vollweidesysteme hingegen sind schwieriger zu finden. Aus diesem Grund gründete die IG Weidemilch das sogenannte Weidegötti-Projekt. Bereits erfahrene Vollweidebetriebe stehen Neueinsteigern beratend zur Seite. «Eine Beratung von Bauer zu Bauer», erklärt Peter Trachsel, Präsident der IG Weidemilch.

Widmers Schlüsselmoment

Einer der Teilnehmer am Weidegötti-Projekt ist Niklaus Widmer aus dem bernischen Wynau. 2016 übernahm er den väterlichen Betrieb. Zusammen mit Hermann Häni führt er seit 2021 eine Betriebsgemeinschaft mit 44 Milchkühen und eigener Aufzucht. Beide Betriebsleiter sind mit der Holsteinzucht aufgewachsen. Schon vor der Betriebsgemeinschaft hatte Widmer eine Umstellung auf das Vollweidesystem im Sinn gehabt. Trotzdem hätten die Betriebsleiter lange mit der Idee gerungen. Bevor der definitive Entschluss für das Vollweidesystem fiel, stellten sie bereits auf eine silofreie Fütterung um. Die Milch wird in der Käserei im Nachbardorf verarbeitet.

Ausschlaggebend für die Umstellung war das Kennenlernen von Peter Trachsel an einer AGFF-Tagung und der anschliessende Besuch auf Trachsels Vollweidebetrieb im aargauischen Seon. «Hier erlebte ich meinen Schlüsselmoment», erinnert er sich. Vor dem Besuch führte der Landwirt eine Kurzrasenweide, danach stieg er auf die Umtriebsweide um. Die Tiere kommen dafür täglich auf eine neue Koppel. «Wären wir bei der Kurzrasenweide geblieben, hätte es im nassen 2024 in einer Katastrophe geendet», ist sich Widmer sicher.

Ein Gespräch auf Augenhöhe

Durchschnittlich ein bis eineinhalb Stunden pro Tag verbrachte Niklaus Widmer im vergangenen Jahr mit Zäunen. Doch das störte ihn nicht. «Ich finde es genial, wie mit einem Schlegel und ein paar Pfählen Milch produziert werden kann», so der Berner. Zudem hätte auch für die Fütterung im Stall Zeit aufgebracht werden müssen, fügt er hinzu.

Als im Frühling 2024 Unsicherheiten beim Zäunen der Weiden entstanden, wurde er durch Peter Trachsel auf das Weidegötti-Projekt aufmerksam. «Den ersten Betriebsbesuch führe ich meist selber durch», erklärt Trachsel. Im Anschluss versuche man idealerweise einen Götti in der Umgebung des Betriebs zu finden.

Ungefähr fünf Stunden liefen die beiden Landwirte gemeinsam über die Weiden und betrachteten den Kuhbestand. «Die Beratungen sind immer sehr betriebsindividuell. Einige haben bereits die passende Weidegenetik, aber noch Fragen zum Weidemanagement oder umgekehrt», so Trachsel. Andere seien froh um Rat bei pflanzenbaulichen Aspekten, wie dem Neuanlegen einer Weide oder der Umstellung von Schnittnutzung auf eine Umtriebsweide. «Ich schätzte sehr, dass das Gespräch auf Augenhöhe stattfand», sagt Widmer.

Trotz Nässe gutes Weidejahr

Trotz einem nassen 2024 hatte der Betrieb von Niklaus Widmer ein gutes Weidejahr. «Dank des täglichen Wechselns der kleinen Weideflächen und einer Ruhezeit von 30 bis 40 Tagen bis zur nächsten Bestossung konnte sich der Wiesenbestand gut erholen», erklärt er. Für viele Betriebe war das vergangene Jahr laut Peter Trachsel hingegen eine Herausforderung. «Gerade für Neueinsteiger ist der Austausch in solchen Situationen sehr hilfreich», ist sich der Präsident sicher.

Immer im Kontakt

Aufgrund seiner eher flachgründigen Böden hat der Betrieb von Widmer hingegen in normalen Jahren meist mit Trockenheit zu kämpfen. «Mit dem Portionieren der Weideflächen sollten wir diese besser in den Griff bekommen», erklärt er. Ein weiterer Besuch des Göttis fand bisher nicht statt. «Peter und ich sind telefonisch in Kontakt oder tauschen uns an Anlässen aus», sagt er und ergänzt: «Der Götti vermittelt Sicherheit. Ich weiss, dass ich nicht allein bin, wenn ein Problem auftaucht.»

Weg von den Holsteintieren

Aktuell besteht die Herde der Betriebsgemeinschaft noch zu zwei Dritteln aus reinen Holsteinkühen. Der Rest sind Tiere der Rassen Kiwi-Cross und Jersey. «Wir dachten, mit kleineren Holsteintieren würde es funktionieren, aber sie passen einfach nicht zum System. Wir können die Hochleistungskühe einfach nicht bedarfsgerecht füttern», erklärt Niklaus Widmer. Deshalb wolle man nun möglichst schnell weg von den Holsteintieren. Besamt wird nur noch mit den weidetauglichen Rassen Kiwi-Cross, Holstein Friesian und Jersey. «Könnte ich mit dem Wissen von heute noch einmal zurück, würde ich unsere Holsteintiere wahrscheinlich verkaufen und eine weidetaugliche Herde zukaufen», meint der Landwirt.

«Bisher hat man bei einer besonders lieben Kuh noch einmal ein Auge zugedrückt.»

Niklaus Widmer ist bei der Umstellung konsequent

Wichtig bei der Umstellung ist laut Widmer die Konsequenz. «Nächsten Herbst wollen wir erstmals eine Milchpause einlegen», erzählt er. Am 24. März beginnt der Betrieb mit dem Besamen. «Wir müssen hart bleiben. Alle Kühe, die nicht tragend werden, kommen weg, seien es nur drei oder 15», sagt er. Bisher habe man bei einer besonders lieben Kuh noch einmal ein Auge zugedrückt, gibt er zu.

Probleme gehören dazu

Beide Landwirte sind sich einig: Die Umstellung erfordert Durchhaltevermögen und Geduld. Nicht alles klappe von Beginn an ohne Probleme. «Dann kommt man schon ein wenig ins Grübeln. Aber man darf sich davon nicht verunsichern lassen und muss die Strategie weiterfahren», ermutigt Niklaus Widmer. Peter Trachsel habe ihm vor allem in schwierigen Situationen Mut gemacht. Auch an die tiefere Milchleistung durch die silofreie Fütterung und die anderen Rassen musste er sich gewöhnen. «Statt 30 kg Milch geben die Kiwi-Cross Tiere nur noch 20 bis 22 kg», sagt er. Aktuell liegt die Milchleistung bei 7000 kg. Mit dem Rückgang der Holsteintiere werde sich diese vermutlich noch ein wenig senken. «Zu Beginn hatte ich Bedenken wegen der Einnahmen. Doch neben der Milchleistung sinken auch die Kosten. Das Kraftfutter-Silo müssen wir zum Beispiel nur noch einmal im Jahr füllen und später vermutlich nicht einmal mehr ganz», erklärt Widmer.

«Manchmal kommt man schon ein wenig ins Grübeln.»

Niklaus Widmer und Peter Trachsel wissen, dass die Umstellung Geduld erfordert

Auch Eigeninitiative sei bei der Umstellung gefragt. «Der Götti kann dir zwar Tipps geben. Sicherstellen, dass das System läuft und zur eigenen Strategie passt, musst du aber selbst», erinnert er. Auch er selbst könnte sich vorstellen, in Zukunft Neueinsteigern in der Region, als Götti beratend zur Seite zu stehen.

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