Wie die Gegnerschaft um den Schweizer Bauernverband (SBV) zog das Ja-Komitee zu Biodiversitäts-Initiative (BDI) an seiner Medienkonferenz in Bern einen internationalen Vergleich heran: «Wir sind in Europa das Schlusslicht bei den Schutzgebieten – zusammen mit Bosnien-Herzegowina und der Türkei», sagte Urs Leugger, Geschäftsführer von Pro Natura. Der SBV hatte an den im internationalen Vergleich tiefen Selbstversorgungsgrad der Schweiz erinnert.
Was in der Verfassung verankert ist
Der Selbstversorgungsgrad (SVG) wurde auch von den Trägerorganisationen der Biodiversitäts-Initianten thematisiert. «In der Bundesverfassung ist der wesentliche Beitrag der Schweizer Landwirtschaft an der Versorgung mit Lebensmitteln verankert», nahm BirdLife-Geschäftsführer Raffael Ayé die Frage eines Journalisten auf. Die Landwirtschaft solle gemäss Verfassung aber auch multifunktional sein und einen Beitrag zum Erhalt der natürlichen Ressourcen leisten, wozu die Biodiversität gehöre. Die Frage des SVG sei darüber hinaus viel komplexer und habe zum Beispiel auch mit dem Konsum zu tun. «Den SVG in der BDI ebenfalls einzubauen, wäre aufgrund der Einheit der Materie nicht möglich gewesen», so Aye.
Die Zitrone nicht ganz ausdrücken
Langfristig bedrohe der Rückgang der Biodiversität aber die Versorgungssicherheit wesentlich, sagte Raffael Ayé. Mehrere Redner des Ja-Komitees erinnerten die Wichtigkeit von Bestäubern, Mikroorganismen im Boden oder diverser Wälder. «Unsere Ernährungssicherheit dürfte sogar zunehmen, wenn wir zu unserer Biodiversität und unseren Böden Sorge tragen, statt den letzten Tropfen aus der Zitrone zu pressen», ergänzte Matthias Jauslin, Stiftungsrat der Stiftung Landschaftsschutz Schweiz und Aargauer FDP-Nationalrat.
Wegen Kürzungen und den Acker-BFF
Matthias Jauslin hielt nicht damit hinter dem Berg, was ihn nach dem Absturz eines Gegenvorschlags im Parlament in seinem Ja zur BDI bestärkt hat: Die Kürzung der Bundesgelder im Bereich «Natur und Landschaft» durch den Bundesrat und die Abschaffung der Pflicht zu 3,5 Prozent Acker-BFF. «Es ist billige Stimmungsmache zu drohen, dass grosse Teile der Schweiz bei einer Annahme der BDI unter Schutz stünden und sämtliche Nutzungen ausgeschlossen wären», so Jauslin. Er und die anderen Redner des Ja-Komitees betonten einhellig, es gehe um die Vereinbarung von Schutz und Nutzen. «Wenn wir weiter auf die erforderlichen Schutz- und Förderungsmassnahmen verzichten, werden zwangsläufig neue politische Interventionen nötig», warnte der Jauslin.
Formulierung umfasst viel
«Die BDI nimmt Bund und Kantone in die Pflicht. Sie macht keine Vorschriften für Private», stellte Raffael Ayé klar. Den schlechten Zustand der Biodiversität habe nämlich «auch» damit zu tun, dass Bund, Kantone und Gemeinden als wichtige Akteure die bestehenden Instrumente und Mittel zum Schutz der Biodiversität zu wenig nutzten. Dabei sei die Formulierung «erforderliche Flächen, Mittel und Instrumente» bewusst offen formuliert. Auf diese Weise umfasse sie Siedlungsräume, Gewässer und Wald ebenso wie landwirtschaftlich genutzte Flächen, personelle und finanzielle Mittel oder Abgeltungen für Massnahmen zugunsten der Biodiversität. «Förster, Bauern und weitere Akteure sollen abgegolten werden», so Ayé, «Angesichts des riesigen Werts der Biodiversität ist das eine sehr lohnende Investition».
Argumente und Konter des Ja-Komitees
Die Trägerorganisationen und Befürworter führen unter anderem Folgendes ins Feld:
Entwicklung: Der ländliche Raum und das Berggebiet sollen nicht ausgebremst werden, da Schutz und Nutzen vereinbar seien.
Tourismus: Einzigartige Landschaften und hohe Biodiversität seien Touristenmagneten, die es zu erhalten gelte.
Versorgung: Mit dem Erhalt der Biodiversität leiste man einen Beitrag zu einer sicheren Versorgung mit Lebensmitteln.
Fläche: Die Initiative enthalte kein Flächenziel, da Qualität und Unterhalt genauso wichtig seien und der tatsächliche Mehrbedarf an Fläche zum Schütz der Biodiversität nicht genau bezifferbar sei.
Offene Formulierung: Der Gesetzgeber kann sie unterschiedlich auslegen. So werden auch das Siedlungsgebiet angesprochen und es können Mittel zur Abgeltung von Landwirten bzw. deren Massnahmen zugunsten der Biodiversität gesichert werden.
Kosten: Ein Nichtstun komme durch Schäden oder Massnahmen für den Ersatz der Leistungen der Biodiversität teurer zu stehen als die Umsetzung der Biodiversitäts-Initiative.
Energieproduktion: Sie sein mit der Initiative vereinbar. Ein Rechtsgutachten bestätigt dies – je nachdem, wie der Initiativtext durch das Parlament in ein Gesetz übersetzt wird.
Das definitive Budget für die Ja-Kampagne will das Komitee im August bekannt geben. Man gehe aber aktuell von drei Millionen Franken aus. Den Gegnern stehen laut Martin Rufer, SBV, zwei Millionen Franken zur Verfügung.
Keine expiliziten Zahlen
Auf ein quantitatives Ziel für Schutzflächen – wie die oft genannten 30 Prozent der Landesfläche – habe man ebenso bewusst verzichtet, heisst es beim Ja-Komitee. «Weil die Qualität und der fachgerechte Unterhalt von Flächen für die Biodiversität genauso wichtig sind», erläuterte Raffael Ayé. Studien zeigten zwar, dass es mehr solche Flächen in der Schweiz brauche, genau beziffern lasse sich der Bedarf aber nicht.
Keine Käseglocke überstülpen
Was unter dem «Kerngehalt der Schutzgebiete» zu verstehen sein sollte, der laut BDI ungeschmälert zu erhalten ist, erklärte Franziska Grossenbacher. «In der Interessenabwägung braucht es ein überwiegendes Interesse für einen Eingriff in ein Schutzgebiet», so die stellvertretende Geschäftsleiterin der Stiftung Landschaftsschutz Schweiz. «Der Kern ist der Grund, weshalb ein Schutzgebiet zum Schutzgebiet geworden ist.» Es gehe nicht darum, durch den Schutz schöner Ortsbilder und Kulturdenkmäler schweizweit einen Ballenberg durch die Hintertür einzuführen. Vielmehr gelte es auch hier, Schutz und Nutzen zu kombinieren und nicht eine Käseglocke überzustülpen. Es soll möglich sein, Bestehendes an neue Bedürfnisse anzupassen.
«Mit einem Ja zur BDI geben wir Bundesrat und Parlament den Auftrag, die erforderlichen Flächen, Mitte und Instrumente festzulegen», fasste Urs Leugger zusammen. «Das ist kein Luxus, geschätzte Damen und Herren, sondern es ist höchste Zeit dafür.»
«Sie wollen mehr, viel mehr»
«Es tut sich bereits viel und die gesetzlichen Grundlagen zur gezielten weiteren Förderung der Biodiversität sind vorhanden», schriebt der Schweizer Bauernverband (SBV) in einer Medienmitteilung als Reaktion auf die Argumente des Ja-Komitees. Die Initianten aber wollten mehr, «viel mehr», heisst es weiter. Der SBV erinnert an die 30 Prozent Anteil Schutzfläche an der Landesfläche, die Pro Natura 2023 gefordert hatte. «Jede zusätzlich streng geschützte Fläche bedeutet weniger inländische Lebensmittel, weniger nachhaltigen einheimischen Strom und weniger Schweizer Holz», so der SBV. Mehr Importe seien die Folge und damit auch eine Verlagerung des ökologischen Fussabdrucks ins Ausland. Gleichzeitig anerkenne die Schweizer Landwirtschaft die Bedeutung der Biodiversität und sei bereit, sich weiter zu engagieren und die Qualität der bereits vorhandenen, grossen Flächen weiter zu verbessern.