Gerade so hatten die neun Redner zusammen Platz auf dem Podium des Medienzentrums des Bundeshauses in Bern. «Die Betroffenheit ist gross, weshalb wir eine ambitionierte Anzahl Redner(innen) haben», bemerkte Sandra Helfenstein, Kommunikationsleiterin des Schweizer Bauernverbands (SBV). Die anwesenden Politiker und Branchenvertreter hielten Wort und ihre Reden kurz, brachten aber zahlreiche Argumente für ihre ablehnende Position gegenüber der Biodiversitäts-Initiative (BDI) zum Ausdruck.
Lebensräume im Berggebiet bedroht
Die Landwirtschaft war mehrfach vertreten, nämlich in Person von SBV-Präsident Markus Ritter, SVP-Präsident Marcel Dettling und Erich von Siebenthal, Präsident des Schweizerischen Alpwirtschaftlichen Verbands (SAV). Alle drei erinnerten an die bereits erbrachten Leistungen der Landwirtschaft in Sachen Biodiversität, sei es der Anteil von 19 Prozent Biodiversitätsförderflächen (BFF) der LN oder die hohe Artenvielfalt im Sömmerungsgebiet. Diese sei das Resultat einer standortgerechten Bewirtschaftung im Berggebiet und wäre damit verloren, sollte diese eingestellt werden, warnte der SAV-Präsident. Durch die BDI drohten aber Einschränkungen bei der Bewirtschaftung und insbesondere bei Infrastrukturerneuerungen, die genau diese Gefahr bergen würden, so von Siebenthal. «Das kann die Anpassung einer Käserei an die Hygienenormen sein oder der Bau eines Wasserreservoirs», erklärte er.
Verschiedene Erfolge im Artenschutz
Marcel Dettling bezeichnete die Argumentation der Initianten als «Umweltpolterei». «Die Umweltverbände sind grosse Meister im Herbeireden von Krisen», so Dettling. Das sei auch bei der Biodiversität der Fall, denn natürlich habe man in der Schweiz heute eine andere Natur als vor hundert Jahren. Er betonte aber die «Erfolgsstorys» des Artenschutzes, seien es die wachsenden Bestände von Störchen oder Rotmilanen. «Nein zur BDI ist die einzig richtige Antwort», so das Fazit des SVP-Präsidenten, «diese ist der Profilierungssucht von Organisationen auf der Suche nach Spendern entsprungen».
Bei der Versorgung ein Schlusslicht
Im Gegensatz zu seinen Vorrednern legte Markus Ritter den Fokus seines Statements auf die Versorgung der Schweiz mit einheimischen Lebensmitteln. Da stehe man im internationalen Vergleich schlecht da und bilde zusammen mit Japan und einigen anderen Insel- und Wüstenstaaten das Schlusslicht. Angesichts dessen und der bereits bestehenden BFF sei es nicht sinnvoll, noch weitere Flächen für die Biodiversität ausscheiden zu wollen. Marcel Dettling betitelte die BDI gar als «Importinitiative», da sie die Schweiz noch abhängiger vom Ausland mache.
«Das können wir der Bevölkerung erklären»
Die Frage, ob er durch die Ablehnung der Pflicht zu 3,5 Prozent Acker-BFF einen Vorteil für die BDI-Befürworter erwarte, verneinte Ritter. «Wir haben die Bundesziele zum Anteil BFF bereits überschritten und diese Massnahme hätte die besten Ackerböden für die Lebensmittelproduktion betroffen», gab er zu bedenken. «Das können wir der Bevölkerung erklären.» Der Schwerpunkt der Bemühungen müsse auf der Verbesserung der Qualität bestehender Flächen liegen. Darin herrschte Einigkeit im Nein-Komitee, denn niemand wollte abstreiten, dass es Verbesserungspotenzial gibt.
Die Argumente des Nein-Komitees
Fläche: Die Initianten der BDI wollten 30 Prozent der Landesfläche unter Schutz stellen und seien der Meinung, dass bisher nur deren 8 Prozent ausreichend geschützt seien. Um die Differenz zu erreichen, rechnen die Gegner der BDI mit zusätzlichen 145'000 ha LN, die nicht oder nur noch eingeschränkt zur Lebensmittelproduktion genutzt werden könnten.
BFF: Die Landwirtschaft tue bereits viel für die Biodiversität und habe die vom Bund gesteckten Ziele bereits übertroffen. Hinzukomme ausgedehntes, artenreiches Grünland im Sömmerungsgebiet.
Energieproduktion: Die Bereitstellung von sauberer, einheimischer Energie werde ausgebremst.
Wald: Einschränkung der forstlichen Nutzung, was schlecht für die Biodiversität im Wald sei. Weniger Holz stünde zur Verfügung.
Ausland: Da die einheimische Produktion von Lebensmitteln, Holz und Energie geschwächt werde, müsste mehr importiert werden. Damit verlagere man die Umweltwirkung ins Ausland.
Bauen: Verteuerungen und Einschränkungen beim Bauen auch im Siedlungsraum. Das betreffe auch die dort angesiedelten KMUs durch zusätzliche Auflagen und längere Bewilligungsverfahren sowie Mehrkosten.
Berggebiet: Die BDI schränke die Realisierung von Infrastrukturen für die Alpwirtschaft und den Tourismus ein. Es drohe die Aufgabe von Alpen und damit deren Vergandung.
Föderale Prinzipien: Die Umsetzungshoheit werde von den Kantonen an den Bund umgelagert, was Kompetenz und Handlungsspielraum von Kantonen und Gemeinden beschneide.
Bundesfinanzen: Mehrausgaben für die Umsetzung der BDI würden die Bundeskasse mit 375 bis 440 Millionen Franken pro Jahr belasten.
Das Nein-Komitee um den SBV führt den Abstimmungskampf laut SBV-Direktor Martin Rufer mit einem Budget von zwei Millionen Franken.
Kein Notstand bei der Biodiversität
Von einer Biodiversitätskrise, wie sie die Umweltverbände in der Schweiz sehen, wollen die Gegner der BDI hingegen nichts wissen. «Wir haben viele Arten – Störche, Bienen, Gänsegeier, Wölfe – die in den letzten Jahren stark zugenommen haben», erklärte Markus Ritter, ähnlich wie vor ihm Marcel Dettling. Gleichzeitig leugne er nicht, dass die Bestände anderer Arten – z. B. in Gewässern oder bei den Insekten – zurückgegangen seien. «Wir haben beide Entwicklungen, daher brauchen wir eine differenzierte Betrachtung», betonte er. Das Wort «Krise» suggeriere einen Notstand, doppelte FPD-Präsident Thierry Burkhard nach, «und den haben wir in der Schweiz nicht». Es gebe keine Krise, die ein Ja zur BDI rechtfertigen würde, fasste Mitte-Präsident Gerhard Pfister zusammen.
«Die grösste Bedrohung für die Biodiversität ist der Klimawandel», waren sich Jacqueline de Quattro, Vizepräsidentin von Aesuisse (Dachverband der Wirtschaft für erneuerbare Energien und Energieeffizienz) und Michael Frank, Direktor des Verbands Schweizerischer Elektrizitätsunternehmen einig. Daher sei die BDI kontraproduktiv, weil sie dem Ausbau erneuerbarer Energien zuwiderlaufe.
«Saubere, faire und respektvolle Diskussion»
Zum Schluss ging die Frage an Markus Ritter, ob er einen ähnlich ausartenden Abstimmungskampf erwarte wie 2021 zur Trinkwasser- und Pestizidverbots-Initiative. «Diese Gefahr besteht», räumte er ein. Es sei ihm sauer aufgestossen, dass den Gegner der BDI im Zusammenhang mit der Ablehnung der Pflicht zu Acker-BFF Wortbruch vorgeworfen worden ist. «Bei uns Bauern gilt der Handschlag und das gesprochene Wort noch etwas», meinte Ritter. Aber die Acker-BFF seien eben nicht Teil des Gegenvorschlags zu den beiden Agrar-Initiativen gewesen, sondern vom Bundesrat erst ins Spiel gebracht worden. «Wir werden mit klaren Argumenten und Zahlen kommen und hoffen, dass die Gegner fair bleiben», versicherte der SBV-Präsident. Er wünsche sich eine «saubere, faire und respektvolle Diskussion».
Appell zur faktenbasierten Diskussion
Direkt nach der Medienkonferenz des Nein-Komitees meldet sich die Trägerschaft der Biodiversitäts-Initiative (BDI) mit einer Mitteilung zu Wort. Die Gegnerschaft wolle offenbar «mit einer Angstkampagne davon ablenken, wie schlecht es um die Biodiversität in der Schweiz steht und wie dringlich Massnahmen zur Sicherung unserer Lebensgrundlagen sind». Gleichzeitig lancieren die Initianten einen Appell zur faktenbasierten und respektvollen Auseinandersetzung zur Biodiversität. Das Nein-Komitee stelle die Bedrohung der biologischen Vielfalt in Abrede. «Wer die Faktenlage studiert, kommt jedoch zu einem differenzierten Schluss», ist sich das Pro-Lager sicher.