Am Abstimmungssonntag war um 14 Uhr der Fall klar. Mit einer Stimmbeteiligung von 45,2 % haben das Stimmvolk und die Stände über die eidgenössische Vorlage entschieden. Der Korken des kühlgestellten Champagners knallt, ein flauer Applaus geht durch den kleinen Konferenzsaal des Nein-Lagers an diesem Herbstsonntag in Bern. Die Biodiversitäts-Initiative ist für die Kampagnenleitenden beider Seiten vom Tisch, die roten Fahnen werden zusammengerollt, die bemalten Siloballen bald verfüttert – aber erledigt ist das Thema nicht.
Es ist dem Schweizer Bauernverband erneut gelungen, die Landwirtinnen und Landwirte hinter seine Interessen zu stellen und diese voranzutreiben. Im Gegenzug verspricht man ihnen Schutz vor dem Staat, den Umweltorganisationen und der Verwaltung.
Wird der Druck nur zunehmen?
Ob das ein Deal ist, der beiden Seiten gleichermassen dient, ist nicht sicher. Der Druck auf die Landwirtschaft werde nach diesem Nein zur Biodiversitäts-Initiative nur zunehmen, so die Prognose einiger Beobachter. Die Phrase, dass die Landwirtschaft nicht Nein zur Biodiversität sagt, sondern nur Nein zur Initiative, ist zwar medienwirksam, aber dürfte für nicht-bäuerliche Personen schwer zu glauben sein.
Genau hier will der Bauernverband nun ansetzen. Jetzt müsse man der breiten Bevölkerung nur noch erklären, dass dieses Nein an der Urne für die Biodiversität richtig war, so in etwa der Wortlaut. Man mache schon so viel.
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Das Gegenüber muss zuhören
Allerdings bestand das K.o.-Argument der Nein-Kampagne darin, dass der durchschnittliche Anteil der BFF an der LN 19,3 % beträgt. Das ist eine stolze Zahl, die die Städte erst einmal nachmachen müssen. Die Zahl ist umso beeindruckender, zumal sie das gesetzliche Minimum von 7 % BFF auf ÖLN-Betrieben bei Weitem übertrifft.
Die Fakten stehen also, die Kommunikation noch nicht ganz. Denn um aufklären zu können, braucht man ein Gegenüber, das zuhört. Diese Gelegenheit ist seit den Agrar-Initiativen ungenutzt verstrichen. Das Bild von den Bauern und Bäuerinnen ist gemacht, das Klischee bestätigt, die Schlüsse gezogen. Obwohl es Stimmberechtigte gibt, die eine Maispflanze mit einer Kartoffelstaude verwechseln.
Also agiert die Praxis – vorübergehend aus Eigeninteresse, solange sie das finanziell und arbeitstechnisch tragen kann. Die Politik reagiert – obwohl das eigentlich andersrum sein sollte. Auf der Betriebsebene stellt sich die Frage, wie lange man den Q1-Hochstämmer für einen jährlichen Beitrag von Fr. 13.50 noch hegen und pflegen will.
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Was läuft da schief?
Obwohl die bäuerlichen Vertreter nach einer 63-prozentigen Ablehnung der Vorlage anstossen, wäre es angesichts der ernsten Lage bizarr, von einem Sieg zu sprechen. Aktuell fliessen 16 % der gesamten Direktzahlungen in Biodiversitätsförderung, die staatlichen Ausgaben steigen jährlich an. Gleichzeitig nimmt die Zahl der bedrohten Tier-, Pflanzen-, Pilz- und Flechtenarten stets zu. 30 % dieser Arten benötigen laut einer aktualisierten Liste der prioritären Arten, die dem Schweizer Konsumentenmagazin K-Tipp vorliegt, «dringend mehr Schutz». Dieser unveröffentlichte Bericht forderte den Bundesrat bereits im Herbst 2023 dazu auf, Fördermassnahmen zu ergreifen. Interessanterweise entschied sich der Bundesrat, den Bericht nicht vor der Abstimmung zu veröffentlichen. Was läuft da schief?
Die Landwirte und Landwirtinnen wären wohl die letzten, die den Artenschwund bestreiten würden. Sie wären wohl auch die letzten, die einen solch wichtigen Bericht in einer Schublade verstauen möchten. Immerhin gehören sie zu einer der wenigen Berufsgruppen, die mit oder in der Natur arbeiten – oder was davon noch übrig geblieben ist. Anders als eine Autorin aus dem Medienhaus Tamedia, die vermutlich für die Mehrheit der Schweizer und Schweizerinnen spricht. In einer 11-teiligen Serie im Gesellschaftsheft «das Magazin» beschäftigt sie sich mit dem Gefühl, dass sie sich von der Natur «entfremdet fühlt». Im Text fragt sich die Autorin unter anderem, warum sie nichts empfindet, wenn sie einen Baum anschaut und ist erstaunt darüber, warum ihre Grossmutter weiss, wie die Kamille aussieht.
Als ich den Podcast zum Artikel hörte, sass ich auf dem Traktor in Richtung Wald. Wir mussten eine befallene Käfertanne fällen. Der Motor ist laut – ich dachte, ich hätte die Einleitung des Themas wohl falsch verstanden. Ich machte den Motor aus und hörte weiter zu, wie die Autorin mit diesen für mich fernen Gedanken spielte. Aber das ist die Realität: In der Stadt sehnt man sich danach, einen Baum zu umarmen, und auf dem Land fällt man die kranken Tannen eigenhändig. Das sind die Gegensätze unseres Landes. Ebenso gegensätzlich lief es am Abstimmungssonntag. Die Gegner liessen die Korken knallen und die Befürworter hatten ihr Lager schon kurz nach dem Verlauten des Endresultats verlassen. Nur noch leere Barhocker und eine einsame gelbe Fahne wehte in der milden Herbstbrise. «Das ist auch ein Statement», dachte ich mir.