Albert Rösti und der Schweizer Bauernverband (SBV) sind sich in einem Punkt einig: Eine Annahme Biodiversitäts-Initiative gilt es zu verhindern. Im Namen des Bundesrats appellierte Rösti in der kleinen Kammer zwar für ein Ja zum indirekten Gegenvorschlag, aber mit Hintergedanken: «Ich bitte Sie, – und zwar in erster Linie, um die Initiative zu verhindern – auf die Vorlage einzutreten.»
Biodiversität an vierter Stelle
Rösti nahm den Ball seiner Vorredner auf, die auf die grosse Bedeutung der Biodiversität als Grundlage der menschlichen Existenz hinwiesen. Er wage, obwohl es delikat sei, eine persönliche Rangfolge von vier sehr bedeutenden Politbereichen, die in dieser Diskussion alle betroffen seien. Demnach steht für Umweltminister die Produktion von Lebensmitteln an erster Stelle, auch in Sachen biologischer Vielfalt, «weil wir hier schon viel machen». Zweite Priorität hat für Albert Rösti die Energieproduktion, gefolgt vom Klimaschutz und sodann der Biodiversität.
Keine Güterabwägung mehr möglich
Was für den Bundesrat klar gegen die Biodiversitäts-Initiative spricht, ist die fehlende Güterabwägung. Mit ihrer Formulierung könne eine – wie auch immer gelagerte – Priorisierung von Biodiversität, Landwirtschaft, Klima- und Energiepolitik nicht mehr vorgenommen werden, so die Warnung. Denn die Initiative verlange einen «ungeschmälerten Erhalt» von Schutzgebieten bzw. deren Kerngehalt (siehe Kasten). Weil die Vorlage aber «relativ harmlos und leichtfüssig» daherkomme, müssen man ihr etwas entgegenstellen, findet der Bundesrat. Konkret den indirekten Gegenvorschlag.
Durchaus noch anpassbar
Der Gegenvorschlag lasse eine Zunahme der Biodiversität zu, laut Albert Rösti aber im «verhältnismässigen Rahmen». Er sei nicht so einschränkend wie teilweise dargestellt, könne auch durchaus noch modifiziert und ohne zusätzlich ausgeschiedene Schutzflächen umgesetzt werden – «Dafür würde ich in der Umsetzung wirklich auch Hand bieten», versicherte der Umweltminister. Er hat die Vernetzung bestehender Flächen im Blick, da neue seiner Meinung hinsichtlich sichere Lebensmittelproduktion nicht angezeigt sind. Die grösste Gefahr für die Biodiversität, betonte Rösti, liege in den urbanen Gebieten, im Beton.
Nur dürfe die Initiative nicht «nackt» vors Volk kommen, sonst mache man am Ende grosse Augen wie bei der Zweitwohnungs-Initiative, die angenommen wurde und schwerwiegende Einschränkungen auf Gesetzesebene brachte.
Erleichterung beim SBV
Doch eine klare Mehrheit von 28 Ständerät(innen) sprach sich bei einer Enthaltung dagegen aus, was beim SBV Erleichterung auslöst. Er betont in einer Mitteilung, der Gegenvorschlag wäre über das Ziel hinausgeschossen und teilweise – betreffend die Kompetenzen des Bundesrats – gar die Forderungen der Initiative übertroffen. Wie Albert Rösti betont der SBV, es sollten keine neuen Schutzflächen ausgeschieden, sondern bestehende vernetzt werden. Der Verband lehnt sowohl die Initiative als auch den Gegenvorschlag mit der Warnung vor massiven Flächenverlusten für die Produktion ab.
Noch nicht vom Tisch
Im Herbst 2022 hat der Nationalrat dem indirekten Gegenvorschlag zugestimmt bzw. ihn leicht abgeändert. Die Vorlage ist erst dann endgültig vom Tisch, wenn die grosse Kammer nicht mehr auf sie eintritt oder ein Rat kein zweites Mal darüber debattieren will. Die Behandlung der des Gegenvorschlags im Nationalrat folgt aber frühestens in der Herbstsession.
Die Biodiversitäts-Initiative
Die Volksinitiative «Für die Zukunft unserer Natur und Landschaft» ist von einem Bündnis aus Umwelt- und Landschaftsschutz lanciert worden. Mit an Bord sind auch Jagd Schweiz und der Schweizer Heimatschutz, zu den Unterstützern zählen Bio Suisse und die Kleinbauern-Vereinigung. Sie umfasst im Wesentlichen Folgendes:
Schutz: Von wertvollen Landschaften, Ortsbilder und baukulturellen Erbes durch Bund und Kantone.
Biodiversität: Sicherung und Stärkung der Biodiversität mit den entsprechenden Flächen, Mitteln und Instrumenten durch Bund und Kantone.
Erhalten: Hohe Hürden für erhebliche Eingriffe in Schutzobjekte des Bundes oder der Kantone. Deren Kerngehalt – der Teil des Objekts, der für die Aufnahme ins jeweilige Inventar ausschlaggebend war – müsste ungeschmälert erhalten bleiben.
Das Initiativkomitee unterstützt den indirekten Gegenvorschlag des Bundesrats auf Gesetzesebene, denn damit lasse sich rasch handeln. Vor den Beratungen im Ständerat übergaben 44 Natur- und Umweltschutzorganisationen daher einen Appell mit 43'000 Unterschriften an die kleine Kammer. Für die Behandlung der Initiative selbst hat das Parlament eine Fristverlängerung bis im Frühling 2024 vorgenommen.
Der indirekte Gegenvorschlag
Der Bundesrat hat die Anliegen der Biodiversitäts-Initiative mit einem indirekten Gegenvorschlag auf Gesetzesebene aufgenommen, wobei die Aspekte der Baukultur ausgelagert worden sind. Die wichtigsten Forderungen:
Netzwerk: Eine ökologische Infrastruktur aus wertvollen natürlichen und naturnahen Lebensräumen.
Fläche: Diese Infrastruktur soll aus Kern- und Vernetzungsgebieten bestehen. Der Bundesrat bestimmt, was als Kerngebiet gilt, Vernetzungsgebiete können auch im Siedlungsraum liegen.
Ziel: Der Anteil der Kerngebiete soll ab 2030 mindestens 17 Prozent der Landesfläche betragen.
Das Flächenziel hat der Nationalrat aus der Vorlage gestrichen. Der Bund müsste die Kosten für die entsprechenden Massnahmen in Sachen Kern- und Vernetzungsgebiete tragen, man geht von gegen 100 Millionen Franken pro Jahr aus.