Die vier Kinder von Regula und Niklaus Bolliger-Flury sind längst erwachsen. Von einer innerfamiliären Betriebsübernahme wagten die Eltern höchstens noch zu träumen. «Das war für alle nie ein Thema», sagt Tochter Rosa, 36, die Zweitälteste. Heute sieht alles anders aus. Am grossen Esstisch im Parterre des Bauernhauses sitzt kurz vor Weihnachten die neue Betriebsführung, bestehend aus den Eltern sowie den heimgekehrten Töchtern Rosa und Léonie, mit 29 die Jüngste.

Abwechslungsreiche Lehr- und Wanderjahre

Doch wie kam es zu dieser Wende, die immer noch allen vier einigermassen überraschend scheint? Die Berufskarrieren der beiden Schwestern deuten erst seit Kurzem in Richtung Landwirtschaft. Rosa hat mit 20 Schlosserin gelernt, danach Innenarchitektur studiert und blieb trotzdem dem Handwerk treu, zuletzt im gelernten Beruf in Zürich. Hier stellte sie fest, wie wichtig gute Lebensmittel sind. Denn die Qualität, die sie von zu Hause kannte, fand sie in der Stadt nur zu einem hohen Preis und mit grossem Aufwand.

«Die Welt spinnt, die Natur macht einfach weiter.»

Léonie Bolliger, Gastronomin und bald Landwirtin EFZ

Léonie Bolliger war nach den Ausbildungen zur Service-Fachfrau und zur Sommelière als «Vollblut-Gastronomin» unterwegs, führte erfolgreich eine Basler Weinbar und im Übrigen ein ziemlich wildes Leben. Kurz vor dem ersten Corona-Lockdown hatte sie dann in Hamburg eine Stelle als Sommelière angetreten, Pandemie-bedingt war dieses Engagement aber von kurzer Dauer. Temporär konnte sie auf einem norddeutschen Obstbaubetrieb aushelfen. «Die ganze Welt spinnt, aber die Natur macht einfach weiter», sinnierte sie währen der Arbeit im Obstgarten.

«Wir müssen ja nur ja sagen»

Derweil hatten die Eltern schon alle Möglichkeiten für eine ausserfamiliäre Hofübergabe ausgelotet. Mit Blick auf die Altersvorsorge stand immer eine Frage im Zentrum: «Wie schaffen wir das finanziell?» Am interessantesten wäre eine Betriebsaufgabe mit Abparzellierung gewesen. «Aber das war eigentlich nicht in unserem Sinn», sagt Regula Bolliger-Flury mit einer grossräumigen Handbewegung, «es wäre doch schade gewesen, alles Erarbeitete in den Sand zu setzen».

«Plötzlich sahen wir, was die Eltern hier alles geschaffen haben.»

Rosa Bolliger, Schlosserin und bald Gemüsegärtnerin

Dann ging auf einmal alles schnell. Léonie kehrte aus Deutschland heim und wohnte wieder zu Hause. Rosa kam zu Besuch und sie gingen in ihren Kindheitsgefilden gemeinsam spazieren. Es sei gewesen wie im Schlaraffenland, sie spürten eine Lebensqualität, wie sie ihnen in der Stadt nicht begegnet war. Und in den Köpfen lief der Landwirtschaftsfilm ab. «Wir müssen nur ja sagen», sagte Rosa zu Léonie. Das taten sie. Heute absolviert Rosa die Zweitausbildung zur Gemüsegärtnerin und Léonie ist in der biodynamischen EFZ-Ausbildung mit dem Vater als Lehrmeister.

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Alle unter einem Dach

«Plötzlich sahen wir, was die Eltern hier alles geschaffen haben», erinnert sich Rosa. Der Biohof Rigi ist erst seit 1985 im Familienbesitz. Regula und Niklaus Bolliger-Flury konnten das baufällige Heimet günstig erwerben. Seither haben die beiden ETH-Agronomen ohne bäuerliche Wurzeln dem Betrieb zu einiger Ausstrahlung verholfen. Niklaus ist ein renommierter Obstbauer und Apfelzüchter, Regula hat den Gemüsebau mit Direktvermarktung zu einem wichtigen Betriebszweig entwickelt. Die Zuständigkeiten haben sie klar aufgeteilt: «Wir können zwar gut zusammen planen und organisieren, aber nicht gut zusammen arbeiten», sagte sie kürzlich zu «Bioaktuell».

Die übernehmenden Schwestern planen ein ähnliches System. Rosa wird den Gemüsebau und die Werkstatt führen, Léonie will sich in erster Linie um die Landwirtschaft und die Buchhaltung kümmern. Daneben kocht sie viel für den ganzen Familienclan. Es sitzen meist mindesten sieben Leute am Mittagstisch, Frühstück und Abendessen finden dann in den jeweiligen Wohnungen statt. Léonie teilt sich das Parterre mit ihrem Freund, der als Angestellter auf dem Betrieb tätig ist. Die Eltern haben ihr «Refugium» im ersten Stock und Rosa wohnt über dem angebauten Schopf.

Zuerst die Menschen

Die zwei jungen Frauen zeigen sich sehr optimistisch, dass es klappen wird mit ihrem eher unüblichen Betriebsmodell. «Ich habe grosses Vertrauen, dass es gut kommt», sagt Léonie, Rosa nickt zustimmend. Sie werden den Betrieb 2025 übernehmen, wenn die aktuelle Betriebsleiterin Regula Bolliger-Flury das Pensionsalter erreicht. Die Modalitäten sind noch nicht alle geregelt: «Zuerst wollten wir die Menschen finden und erst dann die Verpackung machen», sagt Niklaus Bolliger.

Betriebsspiegel Biohof Rigi

Namen: Regula, Niklaus, Rosa und Léonie Bolliger-Flury
Ort: Hessigkofen SO
LN: 14,5 ha, biodynamisch
Kulturen: 3,2 ha Obst, 2 ha Gemüse, 2,5 ha Getreide, 2,8 ha Kunstwiesen, 4 ha Wiesen und Weiden
Vermarktung: Gemüse im Abo, Marktstand in Solothurn
Viehbestand: 7 Mutterkühe und Nachzucht, 12 Mutterschafe (Fleisch) und Nachzucht, 60 Hühner, 8 Bienenvölker

27 Jahre für neue Äpfel
Seit 1998 ist Niklaus Bolliger in der biodynamischen Apfelzucht tätig. Er sucht nach robusten Sorten, die anbautechnisch interessant sind, aber auch der sensorisch anspruchsvollen Kundschaft passen. Anlässlich eines Medienanlasses im Jahr 2018 verglich Bolliger die Suche nach einer neuen Sorte mit derjenigen nach der Nadel im Heuhaufen. Derzeit stehen sechs von Bolliger gezüchtete Sorten im Testanbau. Er rechnet mit der Marktreife im Jahr 2025. Die aufwendige Züchtungsarbeit wird vom Verein Poma Culta unterstützt.