Die Gossalp liegt zuhinterst im Isenthal UR. Sie ist per Auto über eine Privatstrasse erreichbar oder zu Fuss in eineinhalb Stunden ab letzter Postautohaltestelle. Bei der Ankunft riecht es aus der Küche nach Karamell. Die letzte Pfanne Butter wird gerade eingesotten. Es ist ein wunderbar sonniger Tag mit strahlend blauem Himmel, Kuhglockengebimmel und imposanter Bergwelt. Aus der Hütte tritt Luzia Gisler mit einem strahlenden Lachen im Gesicht. Was bei ihr sofort auffällt, sind die rüebliroten Haare und ihre Augen. Diese sind wie dunkle, funkelnde Knöpfe, die ein waches Interesse an ihrer Umgebung und Freude am Leben signalisieren.
Bergauf – bergab
Luzia Gisler, 30, Isenthalerin,
ist normalerweise per Auto im Raum Altdorf UR unterwegs. Die gelernte Hauswirtschafterin bildete sich vor zwei Jahren mittels eines Kurses des Schweizerischen Roten Kreuzes zur Pflegehelferin weiter und begann bei der Spitex Uri zu arbeiten. Der Job macht ihr Spass. Meist kauft sie ein, kocht und putzt für ihre Klienten. Sie unterstützt bei der Körperpflege, hilft beim Anziehen und gibt gerichtete Medikamenten ab; manchmal liest sie auch vor oder macht Spiele. «Die Adressen zu finden und sich immer wieder auf den nächsten Klienten zu konzentrieren, das fordert», entgegnet die junge Frau. Einmal hatte sie einen wirklich spektakulären Einsatz, erinnert sie sich. Per Privatseilbahn ging es bergauf. Doch dann hielt die Bahn partout nicht beim vorgesehenen Pfosten und fuhr ganz nach oben. Leider hatte Luzia Gisler keine Jetons mehr für die Talfahrt dabei. So blieb ihr nichts anderes übrig, als den ganzen Weg bergab zu rennen, da sie zu einem bestimmten Zeitpunkt für den Einsatz gebucht war. «Dieser Sondereinsatz hat mir die nächsten Tage noch mächtig in den Oberschenkeln gebrannt», schmunzelt sie.
Schönste Zeit im Jahr
Momentan sind aber Klientensuche und Spitex ganz weit weg. Es ist Alpzeit. Seit sie knapp drei Monate alt war, ist sie jeden Sommer mit ihren Eltern Bini und Martha Gisler und den Geschwistern Monika und Mike
z Alp. Die Eheleute Gisler sind keine Bauern, haben aber bäuerliche Wurzeln. Die Alp ist in Familienbesitz, und jedes Jahr fahren Gislers im Sommer mit Vieh von verschiedenen Bauern auf die Gossalp. Dieses Jahr sind es 19 Kühe und acht Schweine. Am Morgen wird gemolken, gemistet und anschliessend die Milch verkäst. Die Milch kaufen Gislers den Bauern ab und verkaufen dann den Käse privat oder auch am Urner Alpkäsemarkt in Seedorf. Dort wird dann auch Luzia Gisler im November am Stand stehen und mit viel Freude das Resultat des Alpsommers verkaufen.
Auf der Gossalp alpen auch noch andere Bauern. «Am Anfang ist es jeweils eine Herausforderung, die Kühe zu kennen. Aber wir haben da so unsere Tricks», erklärt die Älplerin. Deshalb tragen alle ihre Kühe gelbe Plättli, und diejenigen, die sich zu fest ähneln werden mit unterschiedlichen Glocken bestückt.
Im Winter auf der Bühne
«Auf der Alp kann ich alles vergessen. Die Alparbeit ist wie Ferien und keine Arbeit für mich», meint Luzia Gisler mit Begeisterung. Jede freie Minute fährt sie auf die Alp zum Helfen. Und die Ferien werden – bis auf eine Woche – alle im Sommer auf der Alp eingezogen. Sie sei auch schon mal ans Meer gefahren, aber da sei ihr dann bald einmal langweilig geworden.
Langweilig war es ihr in den letzten Monaten gar nicht. Die junge Frau hat zwei Leidenschaften: das Musizieren und die Bühne. Sie spielt Posaune in der Musikgesellschaft Isenthal. An Pfingsten war das letzte grosse Konzert vor der Sommerpause. Zudem beherrscht sie auch das Alphornblasen. Dieses packt sie auch ab und an mal auf der Goss-alp aus. Den ganzen Mai war sie mit dem Theaterwärch Stans in diversen Orten in Ob- und Nidwalden auf Tournee. Und um es noch ein bisschen strenger zu haben, absolvierte sie von Oktober bis April die Ausbildung zur Clownin mit Abschlussaufführungen in Basel. «Im März war ich schon etwas am Anschlag, mit all diesen Auftritten und den Proben dazu», erzählt Luzia Gisler. Aber das ist jetzt vergessen, alles ging glatt über die Bühne, und nun ist Alpzeit.
Oberberg ist am schönsten
Mehrmals wird Luzia Gisler diesen Sommer samt Familie und dem Vieh umziehen: von der Gossalp (1480 m ü. M.) auf die Oberalp (1730 m ü. M.), von dort auf den Oberberg (2000 m ü. M.) und wieder zurück. Auf dem Oberberg gefällt es ihr am besten. Die knapp zwei Wochen auf der obersten Alpstufe verbringt sie zusammen mit Vater und Schwester, die auch Älplerin mit Leib und Seele ist, in einer Art Baracke. Diese wird auch noch mit den Alpnachbarn geteilt. Es kann nur geschlafen und Heisswasser gekocht werden. Der Open-Air-Melkstand bietet beste Sicht auf Oberalp und Gossalp. Die Milch der Kühe gelangt per Seilbahn zur Mutter auf die Oberalp zur Verarbeitung. Zusammen mit dem leeren Milchgeschirr kommt auch das Essen auf die Alp.
«Ich kann mir keinen Sommer ohne Alp vorstellen», strahlt Luzia Gisler. Sie möchte deshalb auch einmal die Alp von ihren Eltern übernehmen, am liebsten mit der Schwester zusammen. Aber vorerst bleibt der Vater noch Alpchef. Er will nämlich nächstes Jahr seinen 50. Alpsommer feiern.
Esther Thalmann
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