Rebschulist Martin Auer beginnt die Vorstellung seines Betriebs nicht am Hauptsitz in Hallau im schaffhauserischen Klettgau, sondern im thurgauischen Schlatt. Dort präsentiert er das Rebschulfeld. Auf diesem haben seine Angestellten von Mitte bis Ende Mai auf einer Fläche von 4 Hektaren von Hand rund 450 000 Stecklinge gesetzt. Zuvor haben sie das Feld für die Auspflanzung vorbereitet: Sie haben Tropfschläuche in die Dämme gezogen und diese gleichzeitig mit einer schwarzen Folie abgedeckt. Bei der Besichtigung des Rebschulfeldes Anfang Juni haben die Stecklinge bereits erste Wurzeln und neue Austriebe gebildet.

Martin Auer pachtet das Land für sein Rebschulfeld in Schlatt jeweils im Ortsteil Neuparadies. Die Böden dort weisen die gleichen Eigenschaften auf, wie sie auch die Gemüsebauern schätzen: Sie sind humusreich, sandig, tief und somit leicht me­chanisierbar. Diese Merkmale kommen auch Auers Stecklingen zugute. In unmittelbarer Nachbarschaft zum Rhein sind die Voraussetzungen für eine saisonale Bewässerung mit Grundwasser gegeben, was im Klettgau nicht der Fall ist. Das ist wichtig, denn der Wasserbedarf der Jungreben ist im Rebschuljahr hoch. Die Abdeckfolie sorgt dafür, dass die Sonnenwärme im Boden gespeichert wird und dass keine Unkräuter keimen.

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Übers Jahr verteilt gibt es zahlreiche Arbeitsgänge

Bis Anfang November stehen auf dem Rebschulfeld in Schlatt noch weitere Arbeiten an: Der Pflanzenschutz und die Unkrautbekämpfung müssen gewährleistet werden. Dafür setzt Auer neben Hackgeräten auch die Drohnentechnik ein. Bis Ende August werden die Trieb­spitzen mehrmals gegipfelt. Ende Oktober werden dann die bereits verholzten Triebe bis auf 5 cm zurückgeschnitten bevor die Jungpflanzen ausgeschult und von Schlatt nach Hallau transportiert werden. Dort wird jede einzelne Pfropfrebe einer rigorosen Qualitätskontrolle unterzogen. Danach werden die nach Sorten gebündelten und versandfertig verpackten Rebsetzlinge in einem grossen Kühlraum bei einer Temperatur von 2° C in den Winterschlaf geschickt. Mit Beginn der Pflanzsaison im April übernehmen Winzer und Weinbauern die Verantwortung für die Pflege und Entwicklung der Setzlinge.

Die Produktion der Pfropfreben, welche die Winzer und Weinbauern im April 2022 von der Rebschule Auer übernehmen werden, hat lange vor der Pflanzung der Stecklinge auf dem Rebschulfeld in Schlatt begonnen: Der wichtigste Prozess ­dabei war die Veredelung, die jeweils im Monat März am Betriebsstandort in Hallau stattfindet. Bei der Pfropfung werden Edelreiser auf sogenannte Unterlagen gepfropft. Bei den Edelreisern handelt es sich um einjährige verholzte Rebentriebe mit Knospen, die aus einheimischen Rebbergen stammen und beim Rebschnitt anfallen. Die gegen die Reblaus widerstandsfähigen Unterlagen dienen dazu, den Weinstock Reblausfest zu machen.

 

Aus Amerika eingeschleppt

Ursprünglich standen die europäischen Rebsorten auf eigenen Wurzeln. Diese wurden ab Mitte des 19. Jahrhunderts von der aus Amerika eingeschleppten Reblaus befallen. Dieser Schädling richtete verheerende Schäden an, was zum Absterben der Rebstöcke führte. Um den europäischen Weinbau zu retten, benutzte man Kreuzungen von amerikanischen Wildrebenarten als Unterlagsreben für die europäischen Edelreben. Diese sind gegen die Reblaus widerstandsfähiger oder sogar ganz resistent. Die meisten heute in Europa verwendeten Unterlagsreben sind laut Wikipedia Abkömmlinge von drei amerikanischen Wildarten. 

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Der entscheidender Schritt ist die Veredelung

Zwar geschieht in der Rebschule Auer der entscheidende Schritt der Veredelung, das Aufpfropfen des Reises auf die Unterlage, mit Hilfe einer fussbetriebenen Stanzmaschine. Aber zuvor müssen die Mitarbeitenden in mehreren Arbeitsgängen jedes Reis und jede Unterlage einzeln in die Hand nehmen. So muss beispielsweise jede Unterlage und jedes Edelreis einzeln auf die richtige Länge zugeschnitten werden. Die beiden Pfropfpartner müssen einander auch vom Kaliber her entsprechen.

Die Unterlagensorten sind Kreuzungen von amerikanischen Wildreben. Damit diese keine eigenen Triebe bilden können, müssen sie vor dem Veredelungsprozess entknospet werden. Nach der Veredelung erfolgt die Vortreibphase. In dieser soll sich bei einer Temperatur von 28°C an der Schnittstelle von Unterlage und Edelreis ein so genannter Kallusring bilden: Ein Wundgewebe, das die Versorgung des Edelreises mit Wasser und Nährstoffen sicherstellt. Ein wichtiger Bestandteil bei der Qualitätskontrolle eines jeden Setzlings ist die Abklärung der Frage, ob diese Verbindung gewährleistet ist.

Der Betrieb wurde 1949 gegründet

Die Rebschule Auer wurde im Jahr 1949 von Martin Auers Eltern gegründet. Anlass dazu war eine gross angelegte mehrjährige Gesamtmelioration im Unteren Klettgau. In deren Verlauf wurden neue Strassen und Drainagen gebaut und die Mechanisierung vorangetrieben. Als ­Folge dieser grossflächigen Melioration war der Bedarf an Setzlingen gross. In den 1970er und 1980er Jahren wurde die ganze Schweiz als Absatzmarkt für Auers Pfropfreben erschlossen. Im Jahr 1988 hat Martin Auer den Betrieb von seinen Eltern übernommen. Der ausgebildete ETH-Agronom hatte sich zuvor an verschiedenen europäischen Forschungsanstalten über die Trends im Rebbau und der Rebenvermehrung kundig gemacht.

Seit der Betriebsübernahme hat Auer die einzelnen Produktionsschritte ständig verbessert und dort, wo es möglich war, die Mechanisierung vorangetrieben. Hauptbetriebszweig der Reb­schule Auer ist die Anzucht von Setzlingen für Keltersorten und Tafeltrauben. Die Bewirtschaftung der Weinberge mit einer Anbaufläche von vier Hektaren spielen vom Umsatz her eine untergeordnete Rolle. Bei den Keltersorten durchlaufen von den jährlich rund 450 000 in Schlatt gezogenen Stecklingen etwa 350 000 die Qualitätskontrolle mit Erfolg und gelangen als wurzelnackte Pfropfreben in den Verkauf.

Früh auf Piwi-Sorten gesetzt

Die Rebschule Auer hat bei ihren Züchtungen früh auf pilzwiderstandsfähige Sorten gesetzt. Bei den roten Trauben sind dies etwa die Sorte Regent (1995 bis 2010) und aktuell Divico. Bei den weissen Sorten sind dies zum Beispiel die Sorten Divona, Souvignier Gris, Solaris, Johanniter, Sauvignac oder Muscaris.

Der Anteil der Piwi-Sorten bei den Setzlingen der Rebschule Auer beläuft sich auf 40 Prozent. Im Schnitt der Schweizer Anbaugebiete beträgt dieser Anteil lediglich 2,6 Prozent. Martin Auer ist aber überzeugt, dass sich die Nachfrage nach pilzresistenten Sorten erhöhen wird, nicht zuletzt wegen des Trends hin zu einem zunehmend feucht-warmen Klima, das zu einem höheren Infektionsdruck durch die Mehltaupilze auf die Reben führt. Die Klimaerwärmung hat auch dazu geführt, dass der Sortenspiegel in den Deutschschweizer Reblagen seit 20 Jahren deutlich grösser geworden ist.

Die enorme Sortenvielfalt ist eine Herausforderung

Eine der grossen Herausforderung der Rebschule Auer ist denn auch der umfangreiche Sortenspiegel: Rund 50 Keltersorten sind es, die auf sechs verschiedenen Unterlagensorten gezogen werden. Zu jeder Sorte kommen noch zwei bis drei Klone: Rebstöcke, die nach einer vegetativen Vermehrung die besonders begehrten Eigenschaften eines einzigen Mutterstockes in sich tragen. Bei einer solchen Vielfalt ist es nur schon eine logistische Herausforderung, alle Winzer oder Weinbauern auch mit dem richtigen Klon der gewünschten Sorte zu beliefern.

«Zuverlässigkeit und Service sind unsere Werte.»

Martin Auer, Rebschulist des gleichnamigen Betriebs, der 1949 gegründet wurde.

«Zuverlässigkeit» und «Service»: Mit diesen Worten umschreibt Martin Auer denn auch die Werte, die er für den Erfolg seiner Rebschule als wichtig erachtet. Sie sollen eine Vertrauensbasis zu den Kundinnen und Kunden bilden. Diese müssten sich auf die Sortenreinheit der Züchtungen aus Hallau verlassen können, sagt Auer. Wichtig sei auch die Langlebigkeit der ausgelieferten Setzlinge. Diese sollen dank Qualitätskontrolle die Lebenserwartung von 40 bis 50 Jahren eines Rebstockes erreichen. Zu einem guten Service zählt Auer etwa die Bereitschaft, einem Rebbauern auf Wunsch fünf Setzlinge nachzuliefern. Auch wenn dies sich – rein wirtschaftlich betrachtet – nicht rechnet.

Eine Stabile Nachfrage nach Setzlingen

Das Arbeitsvolumen der Reb­schule Auer entspricht, über das ganze Jahr gesehen, etwa zehn Vollzeitstellen. Es handelt sich dabei nur um drei bis vier wirkliche Vollzeitstellen, die restlichen Stellenprozente teilen sich auf saisonale Aushilfen auf. Den gesamtschweizerischen Marktanteil der Setzlinge im Kelterbereich seiner Rebschule beziffert Martin Auer auf 15 Prozent. In der Deutschschweiz sind es rund 50 Prozent. Den «Kuchen» teilt er sich im Wesentlichen mit der Rebschule Meier im aargauischen Würenlingen auf.

Die Nachfrage nach Setzlingen ist laut Martin Auer in den letzten Jahren stabil geblieben. Ob das so bleiben wird, hängt von der Entwicklung der Anbauflächen ab. Und vom Erneuerungswillen der Bewirtschafter: Bei einer Lebensdauer eines Rebstockes von 40 bis 50 Jahren müssten jedes Jahr in etwa zwei Prozent der Rebflächen neu bestockt werden. Gegenwärtig sei dies der Fall. Diese Bereitschaft hängt aber auch von der weiteren Entwicklung der Weinbaupolitik und den Trinkgewohnheiten der Konsumentinnen und Konsument(innen) ab.

 

Sommerserie

Für die diesjährige Sommerserie besucht die Bauern-Zeitung verschiedene Ostschweizer Betriebe der vorgelagerten Branche. Bereits erschienen:Apfelzuchtbetrieb Beat Lehner in Felben-Wellhausen TG.