Ökologischer Anbau ist arbeitsintensiv. Man jätet oder hackt und am Ende ist die Ernte kleiner als in der konventionellen Landwirtschaft. Das widerspricht dem Ideal eines produk-tiven, leistungsstarken und wettbewerbsfähigen Familienbetriebs. Aber dieses Ideal kommt aus einer Zeit, in der Umweltbedenken noch wenig beschäftigten. Unter anderem dieser geschichtliche Hintergrund wird im Buch «Tätigsein in der Postwachstumsgesellschaft» thematisiert.
Ein Ideal aus der Industrialisierung
Vor 1950 war es üblich, dass landwirtschaftliche Betriebe im Nebenerwerb geführt wurden, erklären die Herausgeberinnen Irmi Seidl von der Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft (WSL) und die deutsche Volkswirtin Angelika Zahrnt. Dann brauchten die neuen Fabriken während der Industrialisierung Arbeitskräfte. Bäuerliche Familienbetriebe, die ohne zusätzliche Angestellte auskamen, seien so zu einem Symbol für Leistungsstärke, Produktivität und Wettbewerbsfähigkeit geworden, weil dank ihnen mehr Arbeiter für die Industrie blieben.
Ökologisch heisst aufwändig
Heute geht der Trend in die entgegengesetzte Richtung. Um den sozialen und ökologischen Ansprüchen zu genügen, braucht es mehr landwirtschaftliche Arbeitskräfte. Studien zeigen: ökologische Anbauweisen sind generell aufwändiger. Gleichzeitig ersetzt die Digitalisierung Arbeitskräfte in anderen Bereichen. Rationalisierung gehört zum Wachstum: Unternehmen werden grösser und sparen beim Personal. Tiefere Preise sollen die Nachfrage befeuern, wodurch idealerweise neue Arbeitsplätze geschaffen werden, die verlorene wieder ersetzen sollen. Soweit die Theorie des Wirtschaftswachstums.
Seidl und ihre Mitautoren sehen das kritisch. Eine wachsende Wirtschaft erhöhe den Ressourcenverbrauch und schade der Umwelt. Sie beruhe auf der Annahme grenzenloser menschlicher Bedürfnisse und schaffe schliesslich oft kaum neue Arbeitsplätze.
Unbezahltes aufwerten
Um vom Wachstumssystem wegzukommen, brauche es einen Umbau des Lohn- und Sozialsystems. Die Steuereinnahmen und Sozialabgaben sollen weniger vom Einkommen abhängen (heute stammen 55 % der öffentlichen Einnahmen aus Einkommenssteuer und Sozialabgaben). Die Lohnarbeitszeit gelte es zu reduzieren, um mehr Raum zu schaffen für Dinge wie Selbstversorgung, Engagement in der Gemeinde, Nachbarschaft oder Familie.
Gemeinsames Herstellen und Nutzen von Lebensmitteln und Objekten bringe Menschen in Kontakt und mache die Beteiligten weniger abhängig von Geld. Die solidarische Landwirtschaft (Solawi) geht in diese Richtung.
Das System umbauen
Laut den Autoren und Autorinnen von «Tätigsein in der Postwachstumsgesellschaft» , gibt es kaum Forschung oder Vorschläge dazu, wie das Einkommens- und Sozialsystem alternativ aufgebaut werden könnte. Ihr Buch solle den Bedarf und erste Ansätze aufzeigen. Weil Arbeit heute eine grosse gesellschaftliche Rolle spiele – für die soziale Anerkennung, Sozialversicherungen, Integration und finanzielle Existenz – sei ein Umbau des Systems nicht einfach. Die Landwirtschaft könne einen Beitrag leisten, indem sie sinnvolles Tätigsein ermöglicht. Dazu brauche es auch eine Agrarpolitik, die Arbeit stärker fördert und weniger die Produktion und Fläche. Wichtig seien Experimentierräume für neue Modelle des Zusammenlebens und -arbeitens.