Einst waren die Fronten klar. Hier die Männer in Anzug und Krawatte, für die ihre Firma nur einen Sinn und Zweck hatte: Geld zu verdienen, am besten viel, am liebsten schnell. Dort die Naturschützer und Umweltaktivisten, mit kreativen Kleidern und Frisuren – Aussteigertypen, denen Erstere gern anrieten, erst einmal einen anständigen Beruf zu lernen. Das ist lange her. In den letzten Jahren – oder sind es schon Jahrzehnte? – verschob sich das Bild. Aus den Langhaarigen mit den Latzhosen wurden Bundesräte und Professorinnen. Und die Manager liessen ihre Krawatte immer häufiger zu Hause und sprachen dafür gern in modischen Schuhen von Werten, Visionen und der «Mission» ihres Unternehmens. Geld, so schien es, war nicht mehr das einzig Wichtige. Verkauft wurde nicht mehr ein Produkt, sondern eine Haltung, ein Lebensgefühl.

Das ging lange gut, denn die Kaufkraft der Massen stieg bei allem Reden von «Grenzen des Wachstums» Jahr für Jahr. Zumindest bei jenem Teil der Bevölkerung, der auf dem Weg dahin nicht irgendwo links abgehängt und mit Sprüchen, die sich auf «Penner» und den einzigen Discounter im Land reimten, ebendort liegengelassen werden konnte.

Unfreiwilliger Biss ins vegane Sandwich

In der Schweiz wurde diese Entwicklung noch verstärkt durch das traditionelle Doppelkönigtum der zwei orangen Riesen Migros und Coop. Lange Zeit lieferten sie sich nahezu ohne Konkurrenz von Dritten ein Wettrüsten. Es ging um Marketing, um noch ansprechender gestaltete Einkaufserlebnisse, noch grünere Produkte, am Ende gar um «Versprechen» an künftige Generationen – neben den ethischen Botschaften der grün-geschalteten Konzernwerbung wirkte jede Sonntagspredigt fantasielos.

Aktionswerbung mit grellen Farben überliess man naserümpfend Geringeren. Hochgesteckte Agenden zu Klima, Nachhaltigkeit und Gerechtigkeit im Allgemeinen und Besonderen schufen neue Jobs. Wer früher gegen die «Bonzen» demonstrierte, nimmt heute Lohn beim Grosskonzern – weil er dort «wirklich etwas bewirken kann». Als Konsument merkte man dies spätestens, als man das erste Mal unfreiwillig in ein «plant-based» Sandwich biss, das gut getarnt im Regal versteckt lag.

Die Mittelschicht muss plötzlich sparen

Der Produzent konnte es immer dann spüren, wenn der Satzteil «entlang der gesamten Wertschöpfungskette» auftauchte. Das sollte etwa bedeuten, dass das Grossunternehmen in Zukunft nicht nur billig Produkte abnehmen, sondern auch bei der Produktion mitreden und kontrollieren möchte. Einige fürchteten sich vor einer schleichenden Machtübernahme der progressiv auftretenden Manager. Viele hofften auf neue «Partnerschaften» und «win-win» – neue Geldquellen also.

Doch nun mehren sich beim einen oder anderen Unternehmen die Anzeichen dafür, dass plötzlich ein anderer Wind durch die Grossraumbüros pfeift. Krieg und Krise sind keine Metaphern, Inflation keine Erinnerung mehr. Und in Europa lernt eine Mittelschicht, die sich die letzten Jahrzehnte damit beschäftigen konnte, «Neues zu entdecken» – exotischere Ferienziele und teurere Restaurants zum Beispiel – wieder, wie es ist, wenn Ende Lohn noch zu viel Monat da ist. Schweinskotelett im Aktions-Pack also statt Bärlauchbratwurst aus Weidetötung für den doppelten Preis einer Döner-Box.

Hartes Business ganz ohne «win-win»

Tektonische Verschiebungen künden sich oft mit kleinen Beben an. In diesem Jahr könnte man sich einbilden, man habe es in einigen Firmensitzen bis in die obersten Etagen gespürt. Erst die Migros, die sich einen Manager von rechtem Schrot und Korn holt, Köpfe rollen lässt, Abteilungen leerräumt und wieder von Preisen und Profiten statt von Versprechen und Ideen spricht. Nun Nestlé, wo mit Mark Schneider einer geht, der den Konzern an den vermeintlichen Zukunftstrends Gesundheit und Nachhaltigkeit ausrichten wollte.

Wo wieder das harte Business im Vordergrund steht, spricht keiner mehr von «win-win». Für die Schweiz ist das in mancher Hinsicht neu. Bereits lange bevor die Marketing-Abteilungen das Wort «Verantwortung» entdeckten, tat man sich hierzulande schwer mit der «harten» Marktwirtschaft. Korporative Lösungen und Absprachen sind gleichsam Teil der Schweizer DNA. Dass Produzenten Anteile bei ihren eigenen Abnehmern halten und so Einfluss auf deren Geschäftspolitik nehmen, war hierzulande immer schon ganz normal.

Landwirtschaft zwischen den Fronten

Doch auch hier scheint etwas ins Wanken gekommen zu sein, wie der Niedergang des Milchverarbeiters Hochdorf zeigt. Die Verarbeitung – und damit der Milchmarkt – mag fürs Erste gerettet worden sein, doch die einheimischen Produzenten haben ihren Einfluss verloren. Übernommen hat eine private Equity-Firma – und damit eine Art von Unternehmen, über die man bis vor 20 Jahren gerne unter Zuhilfenahme von Analogien aus dem Tierreich schrieb («Heuschrecken», «Raubtier»).

Dreht der Wind, sind es oft die Bauern, die es als Erste merken. Als sie Anfang Jahr auf die Strasse gingen, standen nicht mehr nur die Vorgaben der Politik, sondern vor allem auch die Preise im Zentrum. Wer sich umhört, weiss, dass die Basis das Problem längst erkannt hat: Stimmt die Bevölkerung an der Urne für und an der Kasse gegen die Natur, wird der Landwirt zwischen den Fronten zerrieben. Statt «win-win» heisst es dann plötzlich «lose-lose» – wenn du nur verlieren kannst.