Urdinkel hat keinen leichten Stand – wortwörtlich, denn dieses Getreide ist für seine langen Halme und dadurch schlechte Standfestigkeit bekannt. In Jahren mit starken Windböen wie diesem ist das sicher kein Vorteil. 2024 fielen ausserdem insbesondere Felder mit der Sorte Ostro durch starken Gelbrostbefall auf.
Während andere Getreidesorten in der Zucht stetig verbessert werden und neue mit höherer Krankheitsresistenz auf den Markt kommen, bleibt man bei der Marke Urdinkel bei zwei Sorten: Ostro und Oberkulmer Rotkorn. Diese sind zudem eng verwandt, denn Ostro ist das Resultat einer Kreuzung von Oberkulmer mit einer anderen alten Landsorte.
Weg mit den Grannen
Landsorten standen am Beginn der Dinkelzucht, die laut einem Kulturenporträt des Vereins für alpine Kulturpflanzen 1908 begann. «Bei keiner anderen Feldfrucht spielten die Landwirte bei der Auslese und der Prüfung eine so bedeutende Rolle wie beim Dinkel», ist dort weiter zu lesen. Wegen Verstopfungsproblemen mit sperrigen Dinkelgrannen wurden begrannte Sorten aussortiert. Es gab «Weisskorn»- und «Rotkorn»-Sorten. Letztere tragen rötliche Ähren, wie sie für heutige Urdinkelfelder typisch sind.
Lange hatte quasi jede Region in der Schweiz ihre eigene Dinkelsorte, er war das vorherrschende Getreide überhaupt. Daher ist Dinkel etwa im Emmental heute noch gleichbedeutend mit «Korn». Ertragsstärkerer und standfesterer Weizen lief ihm aber zunehmend den Rang ab, wie der Verein für alpine Kulturpflanzen aufzeigt.
Eigenschaften verloren
Versuche in den 90er-Jahren, den Dinkel durch die Einkreuzung modernen Weizens züchterisch zu verbessern, scheiterten daran, dass damit die typischen Eigenschaften von Dinkel verloren gingen. An diesem Punkt wird die Sache komplizierter, denn im Grunde ist Dinkel nichts anderes als das Produkt von Emmer x Weizen. An diese Herkunft gemahnt der lateinische Name Triticum aestivum subspecies spelta – Triticum aestivum ist der Weizen. «Dinkel ist ein Weizen mit Eigenschaften von Emmer», steht im Kulturenporträt. Das Problem: Kreuzt man Emmer und Weizen, resultiert Getreide mit Eigenschaften, die mal mehr Richtung Weizen und mal mehr hin zum Emmer tendieren. Die neuen Dinkelsorten der 90er seien dem Weizen zu ähnlich gewesen. «Laut war der Protest der Konsumenten, Produzenten und Bäcker», so der Verein für alpine Kulturpflanzen. Die Reaktion war die Gründung der IG Dinkel, für deren Marke «Urdinkel» heute nur die Sorten Ostro und Oberkulmer anerkannt sind. Die Marke schreibt ausserdem den Anbau nach Bio- oder IP-Suisse-Richtlinien vor.
Typisch Dinkel
[IMG 3]«Diese Sorten bewähren sich seit Jahrzehnten in der Verarbeitung und sind bei den Konsument(innen) sehr beliebt», schreibt die IG Dinkel. Es gibt auf Seiten Konsumenten und Verarbeiter mehrere Gründe, die für dinkeltypischen Dinkel sprechen. Lilia Levy, die bei Agroscope seit Jahren zum Dinkel forscht, nennt die folgenden Eigenschaften:
Qualität: Im Vergleich zum Weizen hoher Proteingehalt, dabei aber niedriger Zelenywert.
Gesundheit: Mehr einfach und mehrfach ungesättigte Fettsäuren.
Verarbeitung: Dehnbarer und klebriger Teig, der kompakte Brote ergibt. Diese werden in der Regel in einer Form gebacken.
Konsum: Gute Verträglichkeit.
«Das typische Dinkelkorn ist länglicher, kantig und wird im Spelz gedroschen», ergänzt Levy.
Die IG Dinkel führt die langen Halme des Dinkels quasi als Versicherung an, dass dieses Getreide extensiv angebaut wird. Mit der Beschränkung ihrer Marke stellt die IG sicher, dass die Merkmale des Getreides und daraus hergestellter Produkte beim «Urdinkel» garantiert bleiben. Auch die Sortenzulassung orientiert sich an Oberkulmer und Ostro, denn beim Dinkel wurde als einzige Getreideart die Typizität als Kriterium eingeführt.
Auf dem Weg zu Dinkelsorten «des 21. Jahrhunderts»
In einem vom Bundesamt für Landwirtschaft (BLW) geförderten und von der GZPK geleiteten Projekt werden u. a. zusammen mit dem FiBL, Agroscope und der IG Dinkel neue Dinkelsorten in Praxisversuchen geprüft und ihre Backeigenschaften getestet. Das soll «Anbau und Absatz der neuen Dinkelsorten fördern, sie bekannt machen und ihren Marktzutritt ermöglichen», so der Projektbeschrieb. Der Abschluss ist für Ende 2024 geplant.
Unter Leitung der IG Dinkel
2025 läuft das Projekt «Speltbase21» aus, das die «Basis für den Dinkel des 21. Jahrhunderts schaffen» soll, wie es beim BLW heisst. Die Projektleitung hat die IG Dinkel. «Wir haben den grössten Dinkelversuch in Europa dafür durchgeführt», sagt Lilia Levy, die als Forscherin bei Speltbase mitarbeitet. Alte und neue sowie noch nicht auf dem Markt verfügbare Sorten seien angebaut worden, um sie genetisch sowie qualitativ zu analysieren.
«Wir sehen, dass sowohl Sorten im dinkeltypischen Bereich als auch Sorten mit grösserem Weizenanteil durchkommen», erzählt die Forscherin. Das System würde demnach genetische Diversität beim Dinkel erlauben, ohne einen Anreiz für die reine Züchtung auf hohen Ertrag zu setzen.
Marktpotenzial früher abschätzen
In Speltbase erarbeitete, genetische und qualitative Kriterien sollen es den Züchtern künftig erlauben, das Marktpotenzial ihrer Dinkelsorten schon vor jahrelanger Zuchtarbeit abzuschätzen. Die Zucht würde auf diese Weise vereinfacht und neue Dinkelsorten könnten für die Zulassung angemeldet werden.
Warum gibt es für Dinkel kein Mindest-Hektolitergewicht?
Für die Zulassung neuer Getreidesorten gibt es Mindestwerte, etwa für Kornertrag und Hektolitergewicht. Beides fehlt beim Dinkel. Stattdessen ist in der Vermehrungsmaterialverordnung beim Dinkel die «Typizität» verankert.
Das System sei als Zusammenarbeit von Produzenten, Verarbeitern, Züchtern, Forschung und dem Bundesamt für Landwirtschaft entstanden, sagt Agroscope-Forscherin Lilia Levy. Dank der Typizität lassen sich neue Dinkelsorten anhand ihrer Eigenschaften entlang des Kontinuums zwischen weizenähnlichen und dinkeltypischen Sorten (Ostro, Oberkulmer) einordnen. Was dem Weizen zu ähnlich ist, wird nicht als Dinkel zugelassen (siehe auch Kasten oben). «Dieses System ist ein Novum, öffnet die Türen für eine grössere Sortenvielfalt und weist der Zucht die Richtung», fasst Levy zusammen.
Es sei wichtig gewesen, z. B. keinen Normertrag festzulegen. «Man muss unterscheiden können, ob ein tiefer Ertrag dinkeltypisch auftritt oder ob die Sorte einfach schlecht ist», sagt die Forscherin. Daher die Einordnung anhand zahlreicher Kriterien.
Warum stehen Ostro und Oberkulmer auf der Empfehlungsliste?
Die Forschung leiste über die Zulassung neuer Sorten eine Art Vorarbeit, sagt Lilia Levy, Agroscope: «Sie schliesst aus, was ganz schlecht ist.» Die Kriterien dafür liefert eine Verordnung. Sortenprüfungen werden je nach Nachfrage periodisch von Agroscope durchgeführt. Stark krankheitsanfällige oder gar nicht dinkeltypische Dinkelsorten würden nicht zugelassen.
Mit der Zeit schlechter
«Wenn eine Sorte im Katalog aufgenommen ist, bleibt sie mindestens 10 Jahre drin – ausser der Züchter zieht sie zurück», so Levy.
Weil mit der Zeit Resistenzen durchbrochen und neue Anfälligkeiten entwickelt werden können, kämen gewisse alte Sorten heute vielleicht nicht mehr durch die Zulassung. Das dürfte auf Ostro und Oberkulmer zutreffen.
Der nationale Sortenkatalog und die Liste empfohlener Sorten werden jährlich aktualisiert. Letztere basiert zwar auf wissenschaftlichen Versuchen zur Beurteilung zugelassener Sorten, ist aber das Resultat von Verhandlungen in der Branchenorganisation Swissgranum und orientiert sich daher stark am Markt.
Urdinkelsorten fallen durch
Für 2024 stehen für Dinkel Oberkulmer, Ostro, Edelweisser (GZPK) und Polkura (DSP) auf der Liste empfohlener Sorten. Bei den Kriterien Ertrag, Standfestigkeit und Braunrost fallen beide von der IG Dinkel als Urdinkel anerkannten Sorten durch. Die Gelbrostresistenz von Ostro wird als «sehr schwach» beurteilt
Kritik an der Strategie
[IMG 2]So sinnvoll das Festhalten an zwei Urdinkelsorten für die Kommunikation gegenüber der Käuferschaft auch sein mag, es gibt Kritik an diesem Vorgehen der IG Dinkel. «Eine Limitierung auf zwei zweifellos wertvolle Sorten kann aus marketingtechnischen Gründen sicher Sinn machen», heisst es etwa bei der Biofarm-Genossenschaft. Es ist in ihren Augen aber «kurzsichtig und langfristig nicht nachhaltig». Daher verkauft Biofarm zusätzlich zu herkömmlichen Urdinkelsorten den «echten Dinkel», der die urtümlichen Eigenschaften dieser Getreideart aufweise. Es handelt sich dabei um Sorten von der Getreidezüchtung Peter Kunz (GZPK), die nicht zu verwechseln seien mit den Weizeneinkreuzungen der 90er. Nach eigenen Angaben arbeitet GZPK mit eigenen Zuchtlinien, alten Landsorten und Handelssorten. Man verfolge das Ziel, die Dinkelvielfalt auf den Äckern zu erweitern, gesunde und vitale Pflanzen mit guter Standfestigkeit für mittlere bis extensive Lagen zu züchten. Auch Bekömmlichkeit und Qualität sind im Fokus der GZPK. Sorten aus ihrer Zucht sind etwa Gletscher, Edelweisser oder Copper.
Die GZPK bezeichnet es überdies als «grosses Missverständnis», dass Dinkel als Urgetreide angesehen wird: «Er gehört zu den jüngsten Getreiden überhaupt.» Der botanische Urdinkel stamme aus Asien und sei dem Weizen ähnlicher als der europäische Dinkel, der tausende Jahre später entstanden sei.
Die IG Dinkel definiert ihr Urkorn als Dinkel ohne die Einkreuzung moderner Weizensorten (siehe Interview rechts). Aber es laufen – auch mit Beteiligung der IG Dinkel – Projekte, die zur Anerkennung besserer Sorten führen könnten.
«Über Jahrzehnte bewährte Sorten»
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Was sind die Gründe dafür, dass die IG Dinkel zurzeit nur zwei Sorten als «Urdinkel» anerkennt?
Thomas Kurth: In den Anforderungen für Urdinkel haben wir festgeschrieben, dass unter der Marke UrDinkel ausschliesslich alte, nicht mit modernem Weizen gekreuzte Dinkelsorten verwendet werden dürfen. Ostro und Oberkulmer sind u. a. solche Sorten, die sich über Jahrzehnte bewährt haben und auch bezüglich Proteingehalt und essenziellen Fettsäuren hervorragend sind. Wir hatten zwischenzeitlich auch andere Landsorten im Urdinkelanbau (Tellenbacher und Werthensteiner). Während erstere bei der Qualität nicht mithalten konnte, lieferte letztere keine stabilen Erträge.
Sämtliche Schweizer Neuzüchtungen erfüllen die Anforderung der Freiheit von modernen Weizensorten bisher nicht, oder das Reinheitsgebot lässt sich bei ihnen (noch) nicht zweifelsfrei belegen. Backversuche zeigen zudem, dass diese Neuzüchtungen backtechnisch weizenähnlichere Teigeigenschaften haben.
Werden Sie die Resultate von SpeltBase21 nutzen, um neue dinkeltypische Dinkelsorten zu finden und diese dann auch für die Marke «UrDinkel» anerkennen?
Die Resultate im aktuell veröffentlichten Teil von SpeltBase21 erweitern das Wissensspektrum um die Unterschiede innerhalb einer Auswahl von lediglich 50 Sorten. Diese Resultate von SpeltBase21 können den Züchtern bereits Hinweise liefern, ob aktuelle oder künftige Zuchtstämme potenzielle UrDinkel-Kandidaten enthalten oder ob sich diese eher in Richtung moderner Weizensorten bewegen.
Es braucht aber noch weitere Forschung, um die Unterschiede der ganzen Genetik von Dinkel und Weizen zu erfassen. Da wird in den nächsten Jahren weiter geforscht. Die IG Dinkel arbeitet parallel mit der GZPK in der praktischen Züchtung schon seit längerem daran, weitere Urdinkelsorten aufzubauen. Die Schwierigkeit liegt hier darin, die genetische Vielfalt zu erweitern, ohne die typischen positiven Eigenschaften der bestehenden Urdinkelsorten zu verlieren.
Falls ja, wie planen Sie die Information für die Konsument(innen)?
Falls in den nächsten Jahren eine weitere Sorte die Kriterien für UrDinkel erfüllt, wird sie ins Pflichtenheft für UrDinkel aufgenommen. Dieses ist auf unserer Website veröffentlicht. Sicher würden wir dazu auch Newsletter und Medienmitteilungen machen, da es sich um einen Meilenstein in der demnächst 30-jährigen Geschichte der IG Dinkel handeln würde.
Denken Sie, ein Sortenwechsel würde überhaupt bemerkt an der Verkaufsfront?
Die Kriterien sind so angelegt, dass eine Sortenergänzung an der Verkaufsfront kaum bemerkt werden wird. Die UrDinkel-Produkte sollen in ihrer Beschaffenheit und Qualität unverändert bleiben und der Anbau soll weiterhin sehr extensiv erfolgen. Eine neue Sorte müsste aber bezüglich Krankheitsresistenz Vorteile bringen, was ja nur positiv von der Verkaufsfront bewertet werden würde.
Man könnte sagen, das Jahr 2024 hat gezeigt, dass es neue Dinkelsorten braucht. Die Erträge werden bisweilen als «unterirdisch» bezeichnet. Wie reagiert die IG Dinkel darauf?
Generell muss 2024 als ein «unterirdisches» Getreidejahr bezeichnet werden. Die Ausfälle beim Urdinkel sind im Verhältnis (und im Durchschnitt) zu anderen Getreidearten vielleicht sogar etwas weniger gross. So gibt es bei Urdinkel deutlich weniger Ausfälle wegen Mykotoxinen. Und ja, die Sorte Ostro ist stark Gelbrost-anfällig. Da empfehlen wir seit Jahren auf Oberkulmer zu wechseln oder wenigstens die Mischung der beiden UrDinkel-Sorten anzubauen. In einem weiteren Teilprojekt von SpeltBase21, das noch nicht beendet ist, wird versucht, Gelb- und Braunrostresistenzen in die UrDinkel-Sorten einzubauen.
Gibt es strategische Urdinkellager, mit denen sich ein Engpass wie heuer überbrücken lässt?
Ja, wir haben die strategischen Lager erhöht und diese kommen im Urdinkelmarkt jetzt voll zum Tragen, indem die Lieferkette nicht unterbrochen werden muss. Ausnahme bildet hier der Knospe-UrDinkel Bio Suisse, bei dem wir nach wie vor strukturellen Mangel haben und dessen Urdinkelprämie wir zur Förderung nun von Fr. 8.– auf Fr. 10.– erhöht haben. Interessierte Bioproduzenten können sich bei uns melden.