Der Selbstversorgungsgrad würde bei einem Verbot synthetischer Pflanzenschutzmittel und Biozide in der Schweiz wie auch für Importprodukte von heute 58 Prozent auf 42 Prozent sinken. Ausserdem wäre das inländische Angebot an Zucker, Früchten, Gemüse, Kartoffeln und Fleisch (vor allem Schweinefleisch und Geflügel) «stark beeinträchtigt». Hinzukommen höhere Produktionskosten und höhere Gesundheits- und Hygienerisiken durch den Wegfall von Bioziden in der Lebensmittellagerung und -verarbeitung. Vor diesen Auswirkungen waren in einer gemeinsamen Medienmittelung die Fial, die SALS, die AgorA, die IG Zukunft Pflanzenschutz und der Schweizer Bauernverband (SBV).
Die Verbände stützen sich dabei auf eine neue Studie der Universität St. Gallen, die im Auftrag der Föderation der Schweizerischen Nahrungsmittel-Industrien, der IG Zukunft Pflanzenschutz, der Schweizerischen Vereinigung für einen starken Agrar- und Lebensmittelsektor, dem Schweizer Bauernverband, und der Association des Groupements et Organisations Romands de l’Agriculture durchgeführt wurde.
Selbstversorgungsgrad abhängig von den Produktionsentscheidungen
Durch den Vergleich der Erträge von Schweizer Bio- und nicht-Bio-Betrieben kamen die Forschenden zum Schluss, dass die produzierte Nahrungsenergie um 30 Prozent sinken könnte. Der in Kalorien gemessene Selbstversorgungsgrad würde entsprechend ebenfalls einbrechen.
In der Studie heisst es, die Auswirkungen einer totalen Bio-Umstellung der Schweizer Landwirtschaft auf den Selbstversorgungsgrad hingen davon ab, welche Kulturen angebaut werden. Für die Berechnungen ging man von gleichbleibenden Produktionsentscheiden der Betriebe aus.
Weniger Zuckerrüben, Obst, Reben, Gemüse und Kartoffeln
Um abzuschätzen, wie sich eine Annahme der Initiative auf das Schweizer Produktsortiment auswirken würde, orientierte man sich daran, was heute bereits biologisch angebaut wird. Diese Spezialisierung gebe einen Hinweis darauf, welche Agrarprodukte für Bio lohnend sind, begründen die Forschenden.
Da heute kaum Bio-Zuckerrüben angebaut werden, wäre daher beispielsweise mit deutlich weniger Schweizer Zucker zu rechnen. Aus denselben Gründen erwarte man eine «stark erschwerte» Versorgung mit Obst, Reben, Gemüse und Kartoffeln. Kaum betroffen wären laut den Forschenden die Milch- und Getreideproduktion.
Wacklige Datenlage zu Erträgen
Für die Schätzung der zu erwartenden Produktionsmengen musste ein nicht repräsentativer Datensatz verwendet werden, in dem Angaben zu Bio-Spezialkultur-Betrieben fehlen. Ausserdem ist einer Fussnote zu entnehmen, dass auch für Kartoffeln nur wenige Beobachtungen vorlagen. Für Gemüse, Obst, Beeren und Eier könne man wegen des Datenmangels keine Aussagen zur veränderten Produktionsmenge machen.
Aus den Berechnungen für das Produktsortiment und den Produktionsmengen wurden die Rückschlüsse auf den Selbstversorgungsgrad gezogen.
Biozide als grosse Unbekannte
Gemäss der St. Galler Studie werden Oberflächengewässer im selben Masse von Bioziden beeinflusst wie von Pflanzenschutzmitteln. Für Biozide gilt dasselbe Zulassungsverfahren mit den drei beteiligten Behörden (BAG, Seco und Bafu), es gibt aber keine Anreize für die Reduktion oder den Verzicht auf darauf, wie es sie für Pflanzenschutzmittel gibt (z. B. Förderbeiträge).
Drei Anwendungsbereiche
Biozide werden in der Lebensmittelindustrie für drei Zwecke eingesetzt:
- Verlängerung der Haltbarkeit
- Aufbewahrung von Agrarprodukten
- Einhaltung von Hygienestandards
Es handelt sich beispielsweise um Desinfektionsmittel oder Mittel zur Schädlingsbekämpfung.
Fehlende Daten und nicht-repräsentative Umfrage
Dazu, wie sich ein Verbot synthetischer Biozide auswirken würde, bestehen grosse Unsicherheiten. Die Umfrage im Rahmen der St. Galler Studie wurde nur von 26 der 200 angefragten Unternehmen beantwortet. Die Teilnehmenden sind laut den Studien-Autoren vor allem grosse bis mittlere Betriebe aus der Lebensmittelverarbeitung und daher nicht repräsentativ für die Schweiz. Sonstige Daten gibt es nicht dazu.
Die Einschätzung, dass eine Annahme der Pestizidverbots-Initiative zu sinkender Lebensmittelqualität und höheren Gesundheitsrisiken führen würde, beruht auf den Ergebnissen dieser Umfrage.
Bevölkerung muss einen Beitrag leisten
Was die Kosten angeht, wurden wiederum Bio-Betriebe mit anderen verglichen. Dabei zeigte sich, dass bei biologischer Produktion höhere Arbeitskosten und Aufwände für IT und Administration anfallen, aber tiefere «Zwischenkosten». Darunter laufen Kosten für Pflanzenschutzmittel und die Tierhaltung.
Da sich höhere Preise bei den Produzenten kaum auf die Konsumentenpreise auswirken, hänge deren Erhöhung vor allem davon ab, welche Zusatzkosten in der Lebensmittelverarbeitung entstehen und wieviel davon an die Konsumenten weitergegeben wird.
Bio-Betriebe seien allgemein weniger rentabel (laut Studie haben sie zwar 1,7 Mal höhere ab-Hof-Preise, aber 5 Mal höhere wirtschaftliche Verluste als nicht-Bio-Höfe). Daher brauchte es bei einer Annahme der Initiative mehr Direktzahlungen. Entweder über die Agrarpolitik oder höhere Preise müsse die Bevölkerung «kurzfristig einen finanziellen Beitrag leisten, um den Übergang zu einem ökologischen Agrarsektor zu unterstützen.»
Verlagerung der Produktion ins Ausland
Die vorgesehene Importbeschränkung auf Bio-Produkte würde auch bedeuten, dass nur noch Bio-Kakao und -Kaffee in die Schweiz kommen dürfte. Um den inländischen Bedarf dieser Rohstoffe zu decken, müsste man laut Berechnungen der Forschenden 21 Prozent des weltweit verfügbaren Bio-Kaffees und die Hälfte des Bio-Kakaos kaufen. Das Angebot wäre dementsprechend knapp und teuer. Betriebe, die auf diese Rohstoffe angewiesen sind, könnten ihre Produktion daher ins Ausland verlagern.
Rechtfertigung von Importverboten wäre schwierig
Im Bezug auf internationale Handelsabkommen birgt ein Importverbot Konfliktpotenzial. Man könnte es zwar mit der Gesundheit von Mensch, Tier und Pflanzen rechtfertigen. Es sei aber fraglich, ob die Massnahme als verhältnissmässig angesehen würde.
Das Definitionsproblem «synthetische Pestizide»
Die Autoren weisen darauf hin, dass es noch keine gesetzliche Definition für «synthetische Pestizide» gibt. Es könne daher sein, dass die Forderungen der Pestizidverbots-Initiative über den Bio-Standard hinausgehen würden. Auf der Website der Initianten steht allerdings zu lesen, unter anderem «biologische Pestizide» und Bio-Hilfsstoffe wären von dem Verbot ausgenommen. Es wird somit auf die Formulierung der Ausführungsgesetzgebung ankommen, wie genau sich ein Ja an der Urne auswirken wird.
Gibt es Alternativen?
Grob geschätzt sollen sich die externen Kosten von Pflanzenschutzmitteln durch Schäden an der Umwelt und der Biodiversität zwischen 27 und 41 Millionen Franken bewegen, schreiben die St. Galler Forschenden. Diesen Betrag zahlen indirekt alle Schweizerinnen und Schweizer.
Als Alternativen zu Pflanzenschutzmitteln nennt die Studie folgende Methoden:
Schaffung eines ausgeglichenen Agrar-Ökosystems: Vielfältige Fruchtfolge, Mischkulturen, Pflanzenvielfalt, Agroforst
Tolerierbare Verunkrautung: Nur ein Teil des Unkrauts wird mechanisch oder von Hand entfernt, der Rest trägt zur Bodenfruchtbarkeit bei
Pufferstreifen am Feldrand: Lebensraum für Nützlinge
Technologie und Präzisionstechnik: Genaue Planung von beispielsweise Spritzungen, der Düngung oder der Bewässerung.
Man müsste Landwirtschaftsbetriebe umdenken, es gäbe mehr Arbeit und diese Art der Produktion würde mehr Wissen verlangen, schreiben die Studien-Autoren.
Statt Bioziden
Biozide in der Lebensmittelverarbeitung können zu resistenten Bakterien oder Biofilmen führen, die schwieriger in Schach zu halten sind. Auch hier werden Alternativen genannt:
- Mechanische oder manuelle Reinigung
- Heisses Wasser
- Zerstossenes Eis (für Rohre und Wärmetauscher)
- Aktive Oberflächen und gezielte Auswahl der Oberflächenmaterialien
- Programmierter Temperaturanstieg
- Elektrische Spannungen