LID: Wie hat sich die Kommunikation der Landwirtschaft im Kontext der Digitalisierung in den letzten Jahren verändert?
Jasmin Vultier: Die Digitalisierung hat die landwirtschaftliche Kommunikation verändert – egal, ob es sich um die Vermarktung von Produkten, Öffentlichkeitsarbeit oder politischen Content handelt.
Was ist der grösste Treiber?
Vultier: Das veränderte Informationsverhalten, insbesondere von jungen Erwachsenen, ist der Motor. Sie nutzen kaum mehr klassische Kanäle und informieren sich über Influencer, Instagram, Snapchat, WhatsApp, YouTube, TikTok usw. Dabei stehen Spass und Unterhaltung im Vordergrund. Auch die Bevölkerung zwischen 30 und Mitte 50 orientiert sich vermehrt über soziale Medien wie Facebook anstelle klassischer Medienprodukte.
Wie präsentiert sich die Schweizer Landwirtschaft auf Social Media?
Alessandro Giuliano: Bei Landwirtschaftsbetrieben ist alles zu finden. Von keinen Massnahmen bis zum professionell begleiteten Webauftritt. Social-Media-Inhalt wird oft selbst gemacht, da er einfach anzuwenden ist.
Vultier: Heute sind landwirtschaftliche Verbände und Bildungsinstitute genauso wie Unternehmen oder Betriebe auf Social Media unterwegs. Auch bezüglich Qualität ist die Vielfalt enorm. Von schon fast professionell agierenden Influencern bis hin zum Betrieb, der zweimal im Jahr ein Bild hochlädt, findet sich alles.
Wie beeinflusst diese Entwicklung den gesellschaftlichen Bezug zur Landwirtschaft?
[IMG 3]Vultier: Dank sozialer Netzwerke vernetzen und kommunizieren wir heute mit anderen Menschen einfacher und schneller denn je. Für die Kommunikationsarbeit sind diese Kanäle interessant und wertvoll, weil sie eine Zweiweg-Funktion – nämlich Interaktion und Dialog – erlauben. Sie sind einfach zu bewirtschaften und man kann rasch reagieren. Ferner gibt die Bewerbung von Beiträgen die Möglichkeit, Themen ausserhalb der eigenen «Followerschaft» zu platzieren. So erreicht man auch Personen, die sich sonst nicht mit den Themen der Landwirtschaft beschäftigen. Dies ist insofern wichtig, als heute über 75 Prozent der Bevölkerung in Städten oder deren Agglomerationen wohnen. Bis zu einem gewissen Grad eignen sich die sozialen Medien auch als «Fiebermesser» des öffentlichen Befindens.
Jasmin Vultier ist Expertin für digitale Kommunikation beim Schweizer Bauernverband (SBV). Der Dachverband der Schweizer Landwirtschaft betreibt die Basiskommunikation für
mehr als 49 ́000 Schweizer Landwirtschaftsbetriebe und die gesamte Branche und informiert via Twitter, Facebook und Instagram über soziale und politische Aktivitäten.
Alessandro Giuliano ist Geschäftsführer der CERES MEDIA und zuständig für die digitalen Kampagnen ihrer Kunden aus der Schweizer Landwirtschaft. Die CERES MEDIA ist die Full-
Service-Agentur der Schweizer Landwirtschaft und exklusiver Partner der AMS Agro-Marketing Suisse.
Was sind beliebte Motive, was generiert viele Klicks und Views?
Vultier: Das hängt auch davon ab, welche Zielgruppe angesprochen werden soll. Unsere Erfahrung zeigt: Beiträge mit Tieren oder Menschen kommen gut an. Überall, wo mit gut gemachten Bildern oder Bewegtbild gearbeitet wird, bleibt der Nutzer eher hängen. Auch Accounts, auf denen sich Bäuerinnen und Bauern als glaubwürdige Botschafter präsentieren oder gesellschaftliche Trends wie Food Waste, Regio-Produkte oder Super Foods aufgenommen werden, funktionieren gut und haben die Kraft, über die eigene «Followerschaft» hinaus Reichweite zu generieren.
Giuliano: Was bei Social Media im Generellen gut funktioniert, gilt auch für die Landwirtschaft: So sollte auf jeden Fall ein Mehrwert für den Nutzer geschaffen werden. Und das erreicht man durch Authentizität und Interaktion – Authentizität schafft Vertrauen, Interaktionen regen Gespräche an – und interessanten Inhalt für den Nutzer. Besser emotional als perfekt. Berücksichtigt man diese Gründsätze, funktionieren Inhalte wie Einblicke in den Bauernalltag oder der Livestream aus dem Stall oder vom Feld ausgezeichnet. Sie ermöglichen Transparenz und bilden so Vertrauen.
Tiktok ist der Shooting Star.
Welche Social-Media-Kanäle eignen sich am besten für Landwirtschaftsbetriebe? Und weshalb?
Giuliano: Jede Plattform bringt andere Eigenschaften und eignet sich deshalb für unterschiedliche Zielgruppen und Altersklassen. Nach wie vor gehören YouTube und Facebook zu den grössten Social-Media-Plattformen, wobei ein Grossteil der Nutzer zwischen 25 und 44 Jahren alt ist. Bei Instagram sind mehr als 60 % der Nutzer unter 35 Jahre, und bei Snapchat über 70 % unter 25 Jahre alt. TikTok ist der Shootingstar und wächst so schnell wie kein anderer Kanal. Aus diesem Grund kann ich dazu keine pauschale Aussage machen. Kleineren Betrieben empfehle ich, mit der Plattform zu beginnen, die am meisten Freude bereitet. Lieber einen Kanal konsequent bewirtschaften als verschiedene halbpatzig.[IMG 2]
Vultier: Die Frage nach dem Ziel ist ausschlaggebend. Jeder Kanal ist unterschiedlich und folgt anderen Regeln. Um sich «Gehör zu verschaffen», müssen Betriebe zielgruppen- und plattformgerecht kommunizieren. Ein Ziel könnte etwa sein, die Bekanntheit zu steigern und für Kunden erreichbarer zu sein. Ein Ziel könnte etwa sein, die Bekanntheit zu steigern und für Kunden erreichbarer zu sein. Will sich ein Betrieb mit Politikern oder Journalisten austauschen, dann bietet sich z. B. Twitter als Plattform an. Ebenso ist es wichtig, sich regelmässig und aktiv auf den gewählten Kanälen zu bewegen, zu liken, zu kommentieren. Die sozialen Netzwerke bestrafen sofort, wenn man sich zu wenig um den Kanal kümmert – man verliert an Reichweite.
Es ist zentral, ein klares Bild der Kunden zu haben.
Welche Rollen spielen Zielgruppen? Lohnt es sich, auf potenzielle Kunden zugeschnittenen Paid Content zu schalten?
Giuliano: Es ist sicher zentral, ein klares Bild über die potenziellen Kunden zu haben. Und auch Paid Media wie z. B. Banner-Werbung gehören grundsätzlich in jeden gesunden Marketing-Mix. Damit kann die Zielgruppe auf Social-Media-Plattformen gezielt angesprochen werden. So kann in nützlicher Frist eine grössere Anzahl an Nutzer erreicht werden, was bei organischen Posts deutlich länger dauert.
Welche Rolle spielen Hashtags und Keywords für die Suchoptimierung SEO?
Giuliano: Beim Einsatz von Hashtags empfehle ich, sich in den Nutzer zu versetzen. Welche Worte gibt ein Nutzer in die Suchfunktion ein? Drei bis fünf Hashtags, ein Mix aus reichweitenstarken und Nischen-Hashtags, reichen völlig aus. Der Inhalt sollte für den Nutzer und nicht die Algorithmen gemacht sein. Dies gilt auch beim Einsatz von SEO-Keywords.
Am 6. Mai findet in Bern das Swiss Agro Forum statt. «Analog, digital, hybrid – interaktiv kommunizieren» lautet das Thema dieses Jahr. Zu Gast sind Aglaë Strachwitz, CEO McDonald's Schweiz, Christian Martin, Country Director Google Cloud, Laura Meyer, CEO Hotelplan Group, Tom Winter, CEO Bernexpo AG, Antoinette Hunziker-Ebneter, CEO Forma Futura Invest AG sowie Gian Gilli, OK-Präsident Eishockey-WM Schweiz 2020. Alle Infos und die Anmeldung finden Sie unter www.swissagroforum.ch.
Das Dossier zum SAF 2022 ist diese Woche erschienen.
Vultier: Will man Reichweite gewinnen, ein gutes Ranking auf Suchmaschinen wie Google erzielen und mehr User und damit potenzielle Kunden aufs eigene Angebot aufmerksam machen – kommt man nicht drumherum, sich näher mit der Materie auseinanderzusetzen. Die Festlegung der Zielgruppen, passende Hashtags und eine Suchmaschinenoptimierung bilden mitunter die Grundlage dafür. Grundsätzlich kann sich jeder und jede das Wissen selbst aneignen. Es gibt online viele gute Anleitungen oder Kurse. Fakt ist: Will man sich mit dem Thema auseinandersetzen, so benötigt dies Zeit.
Braucht es einen Profi oder kann jedermann/frau das selbst in die Hand nehmen? Wie ist der zeitliche Aufwand?
Giuliano: Grundsätzlich ist alles erlernbar. Wenn die Landwirtin und der Landwirt Spass an Social Media haben, dann sollen sie es auf jeden Fall selbst machen und bei Bedarf einen Sparringpartner (z. B. einen Coach) beiziehen. Wenn jemand hingegen lieber seinem Handwerk, der Arbeit draussen und in der Natur, treu bleiben will, empfiehlt es sich, einen Experten oder eine Agentur beizuziehen. Wichtig: Der zeitliche Aufwand ist nicht zu unterschätzen.
Es ist wichtig, offen für neue Technologien zu sein.
Gibt es Weiterbildungen in diesem Bereich?
Vultier: Der SBV bietet im klassischen Sinne keine Kurse an – hat aber auf Anfrage auch schon Gruppen geschult. Auch landwirtschaftliche Schulen oder regionale Bezirksvereine bieten bereits Weiterbildungsangebote an.
Giuliano: Es gibt zahlreiche Kurse und Weiterbildungen, diese reichen von Migros Klubschule bis CAS an einer (Fach-)Hochschule. Aber auch die Plattformen selbst bieten mehrheitlich kostenlose Kurse an.
Zum Schluss ein Blick in die Zukunft: Wie wird sich die digitale Kommunikation im Agrarsektor verändern?
Vultier: Immer mehr Aktivitäten finden im virtuellen Raum statt: Sitzungen, bargeldlose Bezahlmöglichkeiten wie TWINT, in Onlineshops einkaufen usw. All dies hat auch Einfluss auf die Landwirtschaft. Beispielsweise werden digitale Kassensysteme, in denen die gesamten Warenflüsse verfolgt werden können, in naher Zukunft in den Hofläden Einzug halten. Wichtig ist, offen für neue Technologien zu sein und sich zu informieren.
Giuliano: Die Art und Weise wie digitale Kommunikation funktioniert, wird sich in den nächsten Monaten und Jahren grundlegend verändern und verbessern. Das Metaversum steht in den Startlöchern. Es ist der nächste logische Schritt: intuitiven Verschmelzung der realen Welt mit der digitalen Virtualität. Dadurch wird es neue Möglichkeiten geben, wie Marken mit ihren Kunden kommunizieren oder wie Wissensinhalte weitergegeben werden. Durch das Metaversum wird sich eine Vielzahl neuer Geschäftsmodelle entwickeln, deren wahres Ausmass wir heute nur andeuten können – so wie es die sozialen Medien vor zehn Jahren getan haben. Es wird also definitiv nicht langweilig.