Zwar hatten Christof Dietler und Jacques Chavaz Forderungen formuliert – an den Bundesrat, das Parlament und die Branche – trotzdem sagten sie an der Medienkonferenz in Bern auffallend häufig «Bitte». Das unterstreicht, wie wichtig dem Geschäftsführer und dem Präsidenten der IG Agrarstandort Schweiz (Igas) ihr Anliegen ist. Es geht um die «Rettung der Bilateralen», bei der insbesondere die Land- und Ernährungswirtschaft mehr Verantwortung übernehmen müsse.
Sich des Werts bewusst werden
«Die Land- und Ernährungswirtschaft profitiert besonders stark von verlässlichen Beziehungen zu unseren Nachbarländern», begründete Christof Dietler diese Ansicht. «Der Wert der Bilateralen ist nicht ausreichend bekannt», doppelte Jacques Chavaz nach. Seinen Ausführungen zufolge geben diese Verträge der Schweiz einige Trümpfe in die Hand:
EU-Binnenmarkt: Die Schweiz kann teilhaben und somit Dünger, Pflanzenschutzmittel, Landtechnik oder Saatgut importieren. Gleichzeitig sind inländische Agrargüter von einem starken Grenzschutz abgeschirmt und es gibt eine reiche Auswahl an Produkten.
Agrarpolitik: Die Schweizer Agrarpolitik ist eigenständig und muss sich nicht an jener aus Brüssel orientieren.
Absatz: Der Export von Käse und anderer verarbeiteter Ware wie Schokolade oder Biscuits sichert hierzulande Arbeitsplätze und sorgt für konkurrenzfähige Produkte von hoher Qualität. Fromarte-Direktor Jacques Gygax zog dazu Bilanz aus 15 Jahren Käsefreihandel mit der EU: Die Branche sei eindeutig betriebswirtschaftlich stärker und innovativer geworden. Zwar gebe es auch viel importierten Billigkäse, es könne aber im Hochpreissegment exportiert werden.
Labels: Bezeichnungen wie AOP, IGP oder die Bio-Suisse-Knospe sind auch in der EU geschützt, was Kosten einspart für zusätzliche Prüfungen und Imitationen auf dem Markt vermeidet. «Auch die Knospe basiert auf Handel», erklärte Bio-Suisse-Präsident Urs Brändli. Der gemeinsame Bioraum mit der EU sei für Konsumenten, Biobauern und den Handel ein grosser Vorteil.
Sicherheit: Sowohl die Lebensmittelsicherheit als auch die Tiergesundheit profitieren von der Zusammenarbeit mit der EU. «Ohne die Bilateralen droht die Lebensmittelsicherheit zu erodieren», warnte Susanne Staub von Schweizerischen Konsumentenforum.
Die Schweiz und die EU würden auch viele Werte teilen, fuhr Jacques Chavaz fort. So sei die Farm-to-Fork-Strategie den hiesigen agrarpolitischen Ambitionen sehr ähnlich.
Versorgung im Alleingang nicht möglich
Weder in normalen Zeiten noch in Krisensituationen kann sich die Schweiz im Alleingang mit Lebensmitteln versorgen, ist die Igas überzeugt. Ausserdem sei die Beziehung zur EU bzw. ein Stromabkommen auch wichtig für eine sichere Stromversorgung hierzulande.
Neben den Vorteilen der Bilateralen sprach die Igas auch eine Warnung aus: Die Schweiz müsse ihre Sonderstellung gegenüber der EU müsse beibehalten – ansonsten seien der wirtschaftliche Fall und Nachteile für die Land- und Ernährungswirtschaft sicher. Hier kommt die besondere Rolle ins Spiel, in der die Igas die Branche sieht: «Die Agrarschweiz muss offen über den Wert der Verträge mit der EU und das Erosionsrisiko sprechen», so Christof Dietler. Er sieht sie als «Puffer gegen wohlstandsschädigende Isolationisten». Der Bauernverband, der überzeugt für den Grenzschutz kämpft, sei hier besonders gefordert.
An den Käser statt den fremden Richter denken
Bei Diskussionen um die Bilateralen und allgemein Abkommen mit der EU ist eine Vielzahl von Themen im Spiel. So auch die Angst vor «fremden Richtern». Die Igas fordert aber, parteipolitische Rücksichtnahmen abzulegen und institutionelle Lösungen nüchtern anzugehen. «Kümmert euch nicht um die fremden Richter, sondern um den Verkauf des Käses, das ist für die Landwirtschaft viel wichtiger», fasste Christof Dietler seinen Standpunkt zusammen.
MTI wurde nicht angesprochen
Obwohl die Gegner der Massentierhaltungs-Initiative (MTI) Probleme mit Handelsabkommen bei einer Annahme ins Feld führen, war die Abstimmung an der Medienkonferenz der Igas kein Thema. Auf Nachfrage hiess es, Handelshemmnisse durch Tierhaltungsbestimmungen würden kontrovers diskutiert. Es gebe zwar einen gewissen Spielraum, die Folgen der MTI wären aber unklar. «Wir wollen mehr von gemeinsamen Werten und Qualitäten sprechen, statt über juristische Details», so Christof Dietler. Es gehe darum, das Ideal einer nachhaltigen Land- und Ernährungswirtschaft gemeinsam voranzutreiben.
Ein Geschenk für Cassis, Parmelin und Ritter
Zusammen mit den Forderungen an ihre Adresse bekommen die Bundesräte Ignazio Cassis und Guy Parmelin sowie SBV-Präsident Markus Ritter von der Igas ein Geschenk: Eine Jasstafel mit der Botschaft «Mit Europa am Tisch» samt Karten, Stift und Schwämmchen – «um Fehler zu radieren», bemerkte der Igas-Geschäftsführer.