Die neue Lebensmittelpyramide sieht der alten von 2011 auf den ersten Blick sehr ähnlich. Auf den zweiten ist zu erkennen, dass die Hülsenfrüchte von der Stärke-Stufe hochgerutscht sind zu den Proteinquellen. Dort sind jetzt eine Handvoll Auskernbohnen, Linsen, ein Block Tofu, ein Ei, ein Pouletbrüstli und Fisch abgebildet. Das rote Fleisch – bisher klar erkennbar in der Mitte der dritten Pyramidenstufe platziert – ist verschwunden.
Pflanzliches im Vordergrund
Zum ersten Mal sei neben Gesundheitseffekten auch die Nachhaltigkeit in die Ernährungsempfehlungen miteingeflossen, schreibt das Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen (BLV). Pflanzliche Proteine wie Hülsenfrüchte werden vor den tierischen wie Fleisch und Fisch in den Vordergrund gerückt.» Man berücksichtige bei der Zusammenstellung der neuen Pyramide auch die bedarfsgerechte Nährstoffzufuhr, die Gesundheitsförderung und das in der Schweiz übliche Essverhalten.
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Gesundheitsrisiken und zu viel Methan
Ein Blick in die weiterführenden Informationen des BLVs gibt Aufschluss über die Überlegungen hinter den Änderungen: Gegen die Empfehlung sprächen demnach ein Zusammenhang zwischen einem hohen Konsum von rotem und verarbeitetem Fleisch und einem erhöhten Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Krebs und Diabetes. In den Erörterungen zu Nachhaltigkeitsaspekten ist zu lesen, beim roten Fleisch seien 80 Prozent des negativen Umwelteinflusses auf Rind- und Kalbfleisch und 20 Prozent auf Schweinefleisch zurückzuführen. Bei Ersterem stammten die Emissionen vor allem aus Verdauung und Futterproduktion.
«Bedeutung stark verringert»
Während die Schweizer Milchproduzenten (SMP) hervorheben, dass mit der – gleichbleibenden – Empfehlung von 2–3 Portionen Milchprodukte weiterhin wichtig für eine gesunde und ausgewogene Ernährung blieben, kritisiert Proviande die «Marginalisierung» von Fleisch in der Darstellung der neuen Lebensmittelpyramide. «Hiess es früher Fleisch, Fisch, Eier und Tofu lautet die Reihenfolge nun Hülsenfrüchte, Eier, Fleisch und Weitere», erläutert de Branchenorganisation. Es gebe keinen Grund, den empfohlenen Fleischkonsum zu verringern, denn es gebe keine wissenschaftliche Evidenz für negative Gesundheitseffekte als Folge der heute in der Schweiz verzehrten Menge.
«Pauschale Falschannahme»
Auch mit den Schlussfolgerungen des BLVs in puncto Nachhaltigkeit ist Proviande nicht einverstanden. «Die Behauptung, tierische Lebensmittel würden die Umwelt stärker belasten als pflanzliche, ist eine pauschale Falschannahme», heisst es in ihrer Mitteilung. Dies insbesondere angesichts der hohen Schweizer Produktionsstandards. Auch würden bisherige Berechnungen der Methangas-Belastungen auf überholten Werten basieren. Abschliessend verlangt die Branchenorganisation eine bessere Sichtbarkeit von Fleisch: «Die neue Lebensmittelpyramide vermittelt der Betrachter(in) den Eindruck, rotes Fleisch zu essen sei unnötig, ja gar nicht empfehlenswert – was nicht den Tatsachen entspricht.»
«Keine relevante Konsumreduktion empfohlen»
Auch Greenpeace, BirdLife und WWF kritisieren die neue Lebensmittelpyramide des BLVs in einer Mitteilung. Ihnen fehlt allerdings eine «relevante Konsumreduktion von Tierprodukten», was eine verpasste Chance darstelle. Die drei Umweltschutzorganisationen stellen in Frage, ob die vom Bund angestrebte Reduktion des ernährungsbedingten Klimafussabdrucks mit diesen Empfehlungen zu erreichen ist.
Zwar dürften Gesundheit und Umwelt grundsätzlich nicht gegeneinander ausgespielt werden, heisst es weiter. Eine Reduktion des Konsums von tierischen Produkten würde nach Meinung von Greenpeace, WWF und BirdLife aber beidem zugutekommen. Allerdings müssten die Ernährungsempfehlungen an den Standort Schweiz angepasst werden: «Das Grasland der Schweiz bietet Futter für Wiederkäuer.»
Fischproduktion beschränkt möglich
Die Umweltschutzorganisationen schrieben nicht explizit, dass das Fleisch von Wiederkäuern auf Grasland in die Lebensmittelpyramide gehören würde. Sie kritisieren aber erneut den Anbau von Futtermitteln auf Ackerflächen sowie den Import von Futter für Geflügel und Schweine. «Für die nachhaltige Produktion von Fisch stehen in der Schweiz nur beschränkte Möglichkeiten zur Verfügung», geben sie weiter zu bedenken. Importfisch sei aber häufig problematisch für Meerökosysteme.
Debatte um pflanzliche Proteinquellen
Unter Ernährungsfachleuten hat die Publikation der neuen Lebensmittelpyramiden die Diskussion um die Gleichwertigkeit von pflanzlichen und tierischen Proteinquellen neu angeheizt. Auf LinkedIn kritisieren mehrere Fachleute, viele wissenschaftliche Erkenntnisse aus den letzten 30 Jahren seien bei der Aktualisierung nicht berücksichtigt worden.
Nicht zuletzt stellt sich die Frage, wie die neuen Ernährungs-Empfehlungen zur «Klimastrategie Landwirtschaft und Ernährung» des Bundesamts für Landwirtschaft (BLW) passen. Mehrmals wird in dieser Strategie auf die laufenden Arbeiten zur Aktualisierung der Schweizer Lebensmittelpyramide hingewiesen. Zwar ist eine Optimierung des Produktionsportfolios und des Konsums vorgesehen. Es ist aber auch die Rede davon, das «Grasland ausserhalb der Ackerfläche sowie die unvermeidbaren Verluste aus der Lebensmittelherstellung als Futterquelle für Rindvieh und weitere Raufutter verzehrende Nutztiere sowie Schweine und Geflügel» einzusetzen.
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