Die Bündner Mutterkuhhalter(innen) beschäftigten sich an der Regionaltagung vom 10. Mai 2022 mit dem Wolf. Am Nachmittag fand zum Thema Herdenschutz ein Podium statt. Daran nahmen Peter Küchler, Direktor Plantahof, Sara Wehrli, Pro Natura, Gian Michael, Grossrat und Mutterkuhhalter, Arno Puorger, Amt für Jagd und Fischerei, sowie Giochen Bearth, Amt für Lebensmittelsicherheit und Tiergesundheit, teil. Moderator Stephan Kaufmann, Geschäftsführer Wanderwege Graubünden, stellte eingangs der Diskussion fest: «Nirgends in der Schweiz hat man so viel Erfahrung mit Herdenschutz wie in Graubünden und nirgends in der Schweiz ist das Problem mit den Wölfen so gross.»
Gesetzliche Hürden nicht mehr zeitgemäss
Gian Michael ist in Donat zu Hause, mitten im Gebiet, wo sich das Beverin-Rudel aufhält. Er hatte schon Vorfälle mit Wölfen in seiner Mutterkuhherde. Michael sagte: «Als Bauer bin tief emotional verärgert und verstehe die Welt nicht mehr. Was muss denn noch alles passieren, bis man ein härteres Wolfsregime einführt?»
Arno Puorger wies auf die gesetzlichen Hürden hin. «Bevor ein Wolf geschossen werden kann, müssen wir dokumentieren, wie viele Nutztiere gerissen wurden, ob die Herdenschutzmassnahmen eingehalten wurden, ob die Tiere in einem geschützten Bereich gerissen wurden usw.», erklärte er. Wenn das Amt für Jagd und Fischerei bei einem Einzelwolf einen Abschuss verfüge, unterstehe dieser Entscheid zudem immer noch dem Verbandsbeschwerderecht. Auch für Puorger ist die heutige Situation unbefriedigend.
«Wir bewegen uns in einem gesetzlichen Rahmen, welcher der aktuellen Situation nicht mehr angepasst ist.»
Arno Puorger, Amt für Jagd und Fischerei Graubünden
Pro Natura könnte mit Abschüssen leben
Sara Wehrli betonte, dass Pro Natura sich nicht prinzipiell gegen Abschüsse stelle. Abschüsse alleine würden das Problem jedoch nicht lösen, sie seien ein Pfeiler der Koexistenz. Der Spielraum für Abschüsse müsse neu evaluiert werden, räumte sie ein. Pro Natura liege es fern, den Wolf zu romantisieren. Aber man müsse auch die andere Seite sehen: «Die Rückkehr des Wolfes in die Schweiz ist eine Erfolgsgeschichte für die Artenvielfalt.»
Gefühl von Machtlosigkeit
Giochen Bearth verspürt eine gewisse Machtlosigkeit, wenn es um Nutztierrisse durch den Wolf geht. Er habe viele Bilder und viel Videomaterial gesehen, «einfach grauenhaft».
«Wir machen im Herdenschutz alles Mögliche, aber es reicht einfach nicht.»
Giochen Bearth, Leiter Amt für Lebensmittelsicherheit und Tiergesundheit Graubünden
Seiner Ansicht nach sind die Grenzen des Herdenschutzes in Graubünden erreicht. Dazu sagte Peter Küchler: «Machbar ist Vieles, zahlbar auch.» Bei den Zäunen sieht er nicht mehr viel Spielraum. «Ich möchte unter keinen Umständen Mutterkuh-, Kälber- und Jungviehweiden einzäunen. Das wäre ein Desaster. Es wäre auch vermessen und blauäugig, zu glauben, das führe zum Ziel.»
In Frankreich oder Deutschland, wo Herdenschutzhunde eine Wirkung haben, könne niemand mehr die Weiden betreten, berichtete Küchler. «Für Graubünden würde das heissen, dass die Landwirtschaft zum Sündenbock für den Tourismus gemacht würde», so Küchlers Befürchtung. Die Landwirtschaft mache schon viel, aber das reiche nicht, weil die Wölfe die Furcht vor Herdenschutzmassnahmen verloren hätten.
Respekt vor Einrichtungen und Tieren
Moderator Stephan Kaufmann schlussfolgerte daraus: «Bei uns in Graubünden brennt es in Bezug auf den Wolf.» Man müsse nicht über Brandschutz oder den Typ des Löschfahrzeugs diskutieren, sondern eigentlich sofort löschen können. Da waren sich alle Teilnehmer einig, sogar Sara Wehrli. Sie bezweifelt aber, dass sich die Situation mit vermehrten Wolfsabschüssen grundlegend verbessern würde. «Es braucht beides, Herdenschutz und Regulierung«, wiederholte sie.
Auch Gian Michael will die Wölfe nicht komplett weg haben und bezeichnet sich als «moderaten Wolfsgegner». «Die Anzahl der Rudel in unserem Kanton spielt für mich keine Rolle, wenn die Wölfe Respekt vor unseren Einrichtungen und Tieren haben.» Mit einzelnen Rissen müsse man lernen zu leben, ist er sich bewusst. Mühe macht ihm, dass es heute so lange dauert, bis ein Wolf geschossen werden darf.
«Wenn man Problemwölfe unkompliziert regulieren könnte, wäre die Akzeptanz für den Wolf in der Landwirtschaft ein Stück grösser.»
Gian Michael, Mutterkuhhalter und Bündner Grossrat aus Donat
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