Der Veganuary ist dieser Tage auf Social-Media-Plattformen wie Instagram, aber auch in der Werbung allgegenwärtig. Überall finden sich Rezepte, Informationsposts und neue Produkte zu veganer Ernährung.
Veganuary sorgt für Unmut
Das spürte auch Landwirtin Ve-Annissa Spindler vom Siebengiebelhof in Deutschland, als sie in ihrer Kaffeepause durch Instagram scrollte. Beim Lesen der verschiedensten Beiträge über Veganismus, welche die Tierhaltung meist stark angriffen, kam Unmut und Traurigkeit in ihr auf, erzählt sie. «Ich wollte nach fast jedem Satz, der dort stand, einhaken, erklären, dass es nicht so schwarz-weiss ist, wie es dargestellt wird». Deshalb veröffentlichte sie einen Post zum Veganuary auf ihrem Instagramkanal. Dort verschaffte sie ihren Gefühlen Luft und schrieb unter anderem: «Ich produziere Lebensmittel auf dem mir ethischsten Wege und doch sind sie für manche Menschen komplett wertlos.»
«Nie gut genug»
2017 kaufte Ve-Annissa Spindler den Siebengiebelhof im mecklenburgischem Drenkow. Der Betrieb ist demeter zertifiziert und Herzstück ist die Milchviehherde mit 25 Tieren. Die Kälber wachsen muttergebunden auf und jedes Geschwisterkalb wird auf dem Hof gemästet. Die Milch wird in der hofeigenen Käserei verarbeitet und direktvermarktet. Trotzdem habe sie manchmal das lähmende Gefühl, nie gut genug zu sein als Landwirtin, erzählt sie. Was dagegen helfe sei, den Betrieb mit den eigenen anstatt fremden Massstäben zu messen und sich darauf zu konzentrieren, was unter den gegebenen Umständen geleistet und umgesetzt werden kann. «Ich versuche dabei nicht wütend auf Veganer(innen) zu sein, sondern lieber auf meinem Instagram-Kanal über unsere Tierhaltung aufzuklären», so Ve-Annissa Spindler.
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Die Superkraft der Kuh
Denn auch ihr sei das Tierwohl ein wichtiges Anliegen. Doch anders als Veganer(innen) möchte sie die Tierhaltung nicht abschaffen, ganz im Gegenteil. Ob Veganismus wirklich zu mehr Tierwohl führt, bezweifelt die Landwirtin. «Durch Verzicht verändert man bei diesem Thema nichts. Denn die eigentliche Intention, dass es den Kühen dann besser geht, wird verfehlt», sagt Ve-Annissa Spindler. «Wären wir alle vegan, würde dann überhaupt noch eine Kuh auf der Weide stehen?»
Weiter fehlt ihr eine ganzheitliche Betrachtung der Milchviehhaltung. Damit meint sie z.B., dass Grünland ein grosser CO2-Speicher ist und Kühe aus dem Gras des Grünlands Milch, Fleisch und Dünger produzieren und sich damit selbst ernähren, aber auch den Boden und die Menschen. «Das ist die Superkraft der Kuh», so die 31-Jährige. Auch werde selten genannt, wie wichtig der Konsum von Milchprodukten und Fleisch in der menschlichen Evolution war. Zudem kritisiert Ve-Annissa Spindler die zahlreichen und teils exotischen Zutaten von veganen Ersatzprodukten. «Das sind hochveränderte Lebensmittel. Es braucht teilweise bis zu 20 Zutaten für einen Burgerpatty, wo sonst nur Rindfleisch benötigt wird.»
Bauern kommen wenig zu Wort
Doch diese Argumente hört man nur selten. Ve-Annissa Spindler fühlt sich als Landwirtin fast gar nicht in der veganen Szene repräsentiert. «Ich habe manchmal den Eindruck, vegane Lebensmittel werden ohne Bauern hergestellt, so wenig wie sie zu Wort kommen.» Ihr sei jedoch wichtig, dass wer über Veganismus schreibt oder spricht, sich auch über die Landwirtschaft informiert, und zwar nicht nur auf Websiten, die Veganismus bewerben.
Mit Instagram aufklären
Unter anderem deshalb versucht sie auf ihrem Instagram-Kanal ihren rund 830 Followern einen ehrlichen Einblick in ihre Arbeit zu geben. Auch wenn viele von Ve-Annissa Spindlers Landwirtschaftkolleg(innen) ihr immer wieder davon abraten. «Aber ich werde nicht müde darüber aufzuklären, was es bedeutet, Landwirtin zu sein», beteuert sie. Social Media sei dafür einerseits gut und unkompliziert, weil man während des Alltages einfach in die Kamera sprechen könne.
Andererseits bärgen die Plattformen auch einige Risiken. «Es gibt auch immer mal wieder Shitstorms und da verliert man häufig die Handhabe über seine eigenen Postings, wenn sie schnell weiterverbreitet werden», warnt Spindler. Weiter spüle der Algorithmus vor allem Inhalte herein, die einem gefallen und die der eigenen Meinung entsprächen. Wie viele Veganer(innen) sie also letztlich mit ihrem Account erreicht, weiss die gebürtige Lübeckerin nicht.
Regionaluary statt Veganuary
Anstelle eines Veganuary wünscht sie sich einen «Regionaluary» oder einen «Triff deinen Milchbauern-September». Also einen Monat, indem die Menschen darauf achten, regional einzukaufen. «Wenn sie dann noch bereit wären, für einen Liter Milch so viel auszugeben, wie sie jetzt teilweise für Haferdrinks bezahlen, könnte schon viel verändert werden», erklärt Ve-Annissa Spindler.
Ungewisse Zukunft
Doch bei den derzeitigen Entwicklungen sieht sie für die Zukunft der Landwirt(innen) grosse Herausforderungen. «Viele Höfe in meiner direkten Nachbarschaft haben ihr Milchvieh verkauft oder ihre Betriebe ganz aufgegeben. Wir werden immer weniger.» Auch Ve-Annissa Spindler ist nicht frei von Existenzängsten. Sie habe sehr mit sich gerungen die muttergebundene Kälberhaltung zu etablieren aus Angst durch höhere Preise, Kunden zu verlieren. Diese Angst begleitet sie immer noch. «Eigentlich müsste ich meine Preise anheben, um kostendeckender zu wirtschaften. Ob ich das in Zukunft umsetze, weiss ich noch nicht.»
Was sie weiss, dass sie bis an ihr Lebensende Landwirtin sein und mit Kühen arbeiten möchte. Und so klingelt ihr Wecker weiterhin wie jeden Tag um sechs Uhr, damit sie den Ofen anheizen, ihre Hunde wecken und die Kühe melken gehen kann. Und anstatt Hafer-, Mandel- oder Reismilch landet nach drei Stunden Arbeit die frisch gemolkene Kuhmilch in ihrem Kaffee.