«Das Eidgenössische Schwing- und Älplerfest (ESAF) 2022 in Pratteln war das Highlight für mich.» Einmal begonnen, kann die Baselbieter Trachtenschneiderin Marianne Gysin-Handschin kaum aufhören mit Schwärmen und Erzählen, die pure Begeisterung sprudelt nur so aus ihr heraus. Sie zeichnete verantwortlich für die Trachten der 12 Ehrendamen am ESAF. In ihrer Stube zuhause auf dem Spielhof in Oltingen zeigt sie dazu zahlreiche Fotos. Eineinhalb Jahre Arbeit und enorm viel Aufwand steckten hinter diesen Trachten, die bereits im Juni 2021 fertiggestellt waren. Gysin ist eine Perfektionistin durch und durch. «Es musste alles oberkorrekt sein, die Länge der Tücher, der Röcke etc.», verrät sie und schmunzelt dabei. Und dieser Charakterzug zeigt sich auch beim Fototermin für diese Serie. Die gewählte Festtracht ist der Puppe zu gross, ein weiteres Modell und gar noch ein drittes werden angezogen, bevor die Schreibende den Auslöser der Kamera betätigen darf. So viel Zeit muss sein. Die 54-Jährige erklärt denn auch: «Ich lebe für das Trachtenwesen. Es ist eine Lebensaufgabe für mich, die ich lange ausführen möchte.»

So läuft die Anerkennung zur Trachtenschneiderin

DossierDossierSchweizer TrachtenDonnerstag, 29. Dezember 2022 Zum Baselbiet gehören die später zum Kanton gestossenen Bezirke Laufental und Birseck. Während Marianne Gysin für die Baselbieter Trachten zuständig ist, fertigen zwei andere Schneiderinnen die Laufentaler sowie die Birsecker Trachten. Beide haben keine Nachfolgerin in Sicht. Im Baselbiet müssen Trachtenschneiderinnen für die Anerkennung mit Unterstützung einer anerkannten Trachtenschneiderin alle drei Baselbieter Trachten von Grund auf Nähen und je eine umfassende Dokumentation erarbeiten. Damit können sie zur Prüfung vor die kantonale Trachtenkommission treten. Marianne Gysin war lange Zeit die jüngste anerkannte Trachtenschneiderin für Baselbieter Trachten. Das hat sich 2021 geändert. Gysin begleitete ihre eigene Tochter Sandra sowie Andrea Gschwind bei der Ausbildung zur Trachtenschneiderin. Sandra und ihre Schwester Esther waren Ehrendamen in Pratteln, Sandra nähte denn auch im Rahmen ihrer Ausbildung diese zwei ESAF-Trachten selbst.

Das Wissen erhalten und nicht hüten wie ein Schatz

Marianne Gysin bekam von Tochter Andrea deren Trachten-Dokumentationen in Papier und in digitalisierter Form geschenkt. Gross ist die Freude darüber bei Marianne Gysin, der es wichtig ist, das Wissen zu erhalten und weiterzugeben. Es soll nicht gehütet werden wie ein Schatz und irgendwann verlorengehen.

Der spätere berufliche Weg zeigte sich schon früh

Aufgewachsen ist die Bauerntochter in Bubendorf. Ihre erste Tracht bekam sie mit 12 Jahren von ihrer Taufpatin. «Das war der grösste Stolz», verrät sie. In der achten Klasse nähte sie eine Puppe mitsamt Tracht, der berufliche Grundstein war gelegt. Die Anerkennung als Trachtenschneiderin zu erhalten war für die pflichtbewusste Marianne Gysin wichtig. Nach der Heirat mit Jürg 1993 eröffnete sie auf dem Hof ihr eigenes Atelier und später auch das Trachtenstübli, eine Trachtenbörse. Sie zog die Kinder Matthias (Jahrgang 94), Sandra (96), Esther (98) sowie Nachzüglerin Diana (05) gross. Daneben eröffnete sie eine Bauernhofspielgruppe. Parallel wuchs die Arbeit des Trachtennähens immer mehr an und stellt heute einen wichtigen Nebenerwerb des Mutterkuhbetriebes dar, der auch Kirschenhochstamm- und Zwetschgenbäume hat. [IMG 2]

Das schlechte Gewissen ablegen

Alles unter einen Hut zu bringen, war jedoch nicht immer einfach, verrät Marianne Gysin. «Ich musste lernen, mein schlechtes Gewissen abzulegen, wenn draussen auf der Leiter Obst geerntet wurde und ich drinnen an der Nähmaschine sass.» 40 bis 90 Stunden Arbeit stecken in einer neuangefertigten Tracht, je nachdem welche es ist. «Wenn eine Frau kommt, ihre neue oder geänderte Tracht anzieht, strahlt, und dann mit der Tracht zur Türe rausgeht, gibt mir das unglaublich viel und ist ein tolles Gefühl», verrät die Schneiderin. 


 

Die Baselbieter Festtracht

Der Rock besteht aus dem unteren Mieder (Gstältli), dem Brustlatz und der Jippe (Jupe) mit Mieder und Schürband. Der Vorderteil des Gstältli besteht aus schwarzem Press-Samt, der Rückenteil aus Futterstoff. Der Brustlatz ist ein rotes Tuch aus Wollstoff oder Samt und handgeklöppelter Silberfadenspitze. Die Plissée-Jippe besteht aus schwarzer Wolle und Reinleinen. Die Rocklänge ab Boden beträgt 28 bis 30 Zentimeter. Das Mieder aus rot-, blau- oder schwarzem Press-Samt wird an die Jippe genäht. Beim seidenen Schultertuch mit der reichen Seidenstickerei nach bestehenden Vorlagen, stehen die Farben rot, blau grün oder braun zur Wahl.

Die Schürze aus Seide ist in dezenten Farben längsgestreift, farblich passend zu Mieder und Schultertuch. Als Kopfschmuck wird die Begine (Häubchen) aus schwarzer Seide und bestickt mit «Krälleli» und Pailletten oder ein Strohhut getragen. Dieser darf nie am Rücken hängen. Eine Silberbrosche (Baselbieter Brosche) in verschiedenen Ausführungen möglich, wird immer am Halsbündchen der Leinen- oder Halbleinenbluse getragen. Ein Schnitzsack und Schnitzmesser vervollständigen die Tracht. Der Frauengürtel, der meist vererbt wird, darf von einer Braut und verheirateten Frauen getragen werden. Eine Braut oder Taufpatin trägt das Schultertuch und die Begine in weiss. [IMG 5]

 


 

Frauen-Sonntags- oder -Wintertracht

Der Wollrock ist bis zur Taille körperanliegend. Eine Besonderheit sind die fünf Godets (Röhrenfalten) im Rückenteil. Hals- und Armausschnitte werden mit seidenem Apfelband (Band mit Apfelmuster) besetzt. Die beige Bluse, entweder kurzarm aus Leinen oder langarm aus Woll- oder Woll-Trevira-Gemisch wird am Hals mit einem Häftli und einem Riegeli geschlossen. Das Dreiecktüechli ist ausgefranst und wird vorne seitlich in den Rockausschnitt geschoben. Es kann eine Jacke, einem Bolero ähnelnd, getragen werden. Das Vorderteil hat eine runde Verlängerung. Die Armkugel ist in Falten gelegt.

Alle Abschlüsse sind mit passendem Apfelband besetzt. Für die Teile Rock, Tüechli, Jacke, Begine und Schnitzsack wird jeweils der gleichfarbige Wollstoff in den Farben schwarz, grün oder rostrot verwendet. Die Schürze aus längsgestreiftem Baumwoll/Woll-Mischgewebe ist auf die Rockfarbe abgestimmt. Sie ist drei Zentimeter kürzer als der Rock. Die mit Wolle bestickte Begine ist grösser als bei der Festtagstracht. Anstelle der Silberbrosche kann eine Holzbrosche mit Kerbschnitzereien getragen werden. Beige Strumpfhosen oder Kniesocken, hand- oder maschinell gestrickt mit Lochmustern, gehören dazu. Bei Tanzauftritten sind nur Strumpfhosen erlaubt. [IMG 3]

 


 

Frauen-Sommer- oder Werktagstracht

Ihr Rock besteht aus hellem oder dunkelblauem, weiss bedrucktem oder besticktem Halbleinen. Wobei der hellblaue Stoff für neue Trachten nicht mehr erhältlich ist. Das Oberteil ist körperanliegend. Der Rock wir mit Häftli geschlossen. Das Besondere im Rücken ist das «Buureföifi», eine V-förmige Verzierung mit Biesen (abgesteppte Falten). Es ähnelt einer römischen Fünf, daher der Name. Das weisse Dreieck-Fichu filichiert eine Baslerin für Marianne Gysin. Es wird vorne zusammengerafft und mit der Baselbieter Brosche geschlossen. Für diese sind keine alten Formen mehr vorhanden. Nun macht eine Goldschmiedin in aufwendiger Handarbeit neue, was jedoch den Preis massiv erhöhen wird.

Eine Brosche kostet so gegen 500 Franken (vorher etwa 250 Franken). Der weisse Unterrock besteht aus Baumwoll-Popeline. Den Abschluss bildet eine Baumwollspitze. Er ist vier Zentimeter kürzer als der Rock. Die Bluse aus weissem Leinen oder Halbleinen hat an den Ärmeln eine sechs Zentimeter breite Quatschfalte (umgekehrte Kellerfalte). Auch hier kann eine Jacke aus dem Rockstoff getragen werden. Die Ärmel sind lang, vorne schmal und mit einem abgerundeten Schlitz. Die Armkugel ist eingezogen. Es kann ein Strohhut sowie ein Schnitzsack mit Schnitzmesser dazu getragen werden. [IMG 4]

 

Die Tracht pflegen

Dass eine Tracht nicht komplett in der Waschmaschine gewaschen werden darf, ist klar. Aber wie genau werden die einzelnen Teile richtig gepflegt? Auf die Frage der Trachtenpflege gibt eine Dokumentation der Schweizerischen Trachtenvereinigung (STV) Auskunft. Nicht berücksichtig sind darin jedoch spezielle Teile wie etwa das Chränzli der gleichnamigen Tracht aus dem Kanton Freiburg. Eines ist bei allen Trachten wichtig: Sie dürfen nie an der Sonne oder bei Vollmond ausgelüftet werden. Besser ist es, die Tracht bei Nebeltagen an die Luft zu hängen.

Die Röcke
Trachtenröcke aus Wolle oder Seide sind nichtwaschbar. Wollröcke mit einer Kleiderbürste und Essigwasser oder etwas Schaum aus Feinwaschmittel, Seidenröcke mit K2R-Auffrischspray auffrischen. Beide Rockarten mit Dampf auf der linken Stoffseite aufbügeln. Röcke aus Baumwolle oder Leinen bei 30 bis 40 °C mit Feinwaschmittel von Hand oder im Schongang in der Maschine waschen, nicht auswringen. Auf linker Seite antrocknen und noch feucht trockenbügeln. Mieder aus Samt mit einer Kinderhaarbürste ausbürsten. Alternativ einen Klebroller leicht andrücken.

Blusen und Hemden
Blusen und Hemden (Ausnahme Wolle und Seide) in der Maschine waschen. Die Temperatur richtet sich nach dem jeweiligen Stoff. Reinleinen und Halbleinen zuerst kalt einlegen und erst dann waschen. Alle Blusen nass auf Plastikbügel zum Trocken aufhängen und in Form ziehen. Leinenblusen nach dem Waschen stärken und noch feucht bügeln.

Schürzen und Fichu
Schürzen aus Seidendamast, Seidentaffet und gestreifte Seidenschürzen von Hand mit Feinwaschmittel, Haarschampoo oder nur in drei Liter Mineralwasser mit Kohlensäure waschen. Garn-, Seiden- und Stofffichu mit Stickereien in einem Wäschenetz maschinell waschen. Nie Javelwasser verwenden, auch nicht für Strümpfe und Socken. Besser ist Babyweiss oder Wasser mit Enkapulver und Vollwaschmittel. Danach mit rostfreien Stecknadeln der Form nach auf Sagex, grosses Bügelbrett etc. aufstecken. Garnfichu mit Spraystärke besprühen und trocknen lassen. Seidenfichu nicht stärken, da der Glanz verloren geht. Stofffichu auf weicher Unterlage auf der linken Seite bügeln.

Flecken behandeln
Flecken an der Tracht möglichst frisch mit saugfähigem Papier (keine farbigen Servietten!) oder dem Unterrock abtupfen. Fleck örtlich mit kaltem Wasser für Cola, Blut, oder lauwarmem Wasser für Fettflecken oder Mineralwasser mit viel Kohlensäure betupfen. Nie reiben. Zur Fleckentfernung milde Mittel wie Gallseife, Feinwaschmittelschaum, Glyzerinseife, Enka-Pulver etc. benützen. Bei Unsicherheit die Tracht in die chemische Reinigung bringen.

Trachtenschmuck
Trachtenschmuck nach dem Tragen mit Silberreinigungstuch abreiben. Einpacken in chlor- und schwefelfreies Silberpapier und luftdicht versorgt, etwa in einer Tupperdose, verhindert das Verfärben. Bei Bedarf von einem Silberschmied, keinem Goldschmied, reinigen lassen.