Direktvermarktung wird für Schweizer Bauern und Bäuerinnen immer wichtiger. 2010 gab es 7100 Betriebe, die diesen Kanal nutzten. Laut den aktuellen Zahlen des Bundesamts für Statistik sind es mittlerweile 11 360 Betriebe (+60 Prozent). Bei den meisten läuft der Direktverkauf über Selbstbedienung.
Wie ehrlich sind Kunden?
Forschende des Instituts für Soziologie der Universität Bern haben untersucht, wie es bei den Hofläden oder Verkaufsständen mit Selbstbedienung mit der Ehrlichkeit der Kunden aussieht. Die Autoren Axel Franzen, Sebastian Mader und Sebastian Bahr befragten für ihre Untersuchung 240 Bäuerinnen und Bauern rund um die Stadt Bern. Das sei nicht repräsentativ für die ganze Schweiz, schreiben sie, aber es sei davon auszugehen, dass dieselbe Umfrage in einem anderen Teil der Deutschschweiz zu ähnlichen Resultaten führen würde. Wie bei jeder Befragung, handelte es sich bei den Angaben der Bäuerinnen und Bauern um Selbsteinschätzungen.
Diebstahl kein grosses Problem
Bauern, die anderen Menschen vertrauen, haben leicht häufiger einen Hofladen mit Selbstbedienung als misstrauische Berufskollegen. Weiter zeigte sich, dass die Kunden beim Kauf von günstigen Produkten wie Früchte und Gemüse am ehrlichsten sind. Die Diebstahlrate fiel bei Käse, Wurstwaren oder Honig um vier Prozent höher aus. Grundsätzlich scheint Diebstahl kein grosses Problem für die befragten Bauern zu sein: 53% gaben an, dass im letzten Jahr gar nichts gestohlen worden sei. Bei 20% der Bauern liessen Kunden mehr als zehnmal etwas aus dem Hofladen mitgehen. Die restlichen Resultate liegen dazwischen. Insgesamt wurden 95% der Waren bezahlt.
Die Autoren fanden heraus, dass die Grösse der Gemeinde keine Rolle für die Zahlungsmoral der Kunden spielt. Schilder, die an die Ehrlichkeit der Kunden appellierten, hatten keinen positiven Effekt. Im Gegenteil: Bauern, die solche aufstellten, gaben sogar eine vier Prozent höhere Diebstahlrate zu Protokoll. Das hängt wahrscheinlich damit zusammen, dass Bauern, deren Stände von Diebstahl betroffen sind, solche Appelle an die Kunden richten. Somit ist nicht der Appell die Ursache für Diebstähle, sondern eine Folge.
Nähe zum Hof hilft
Wenn der Laden beim Bauernhaus oder in dessen Nähe steht, sind die Kunden offenbar ehrlicher. Bei Läden ausserhalb des Dorfes wurde durchschnittlich knapp zehnmal pro Jahr etwas gestohlen. In der Nähe des Hofes oder von anderen Häusern nur knapp fünfmal.
Die Autoren wollten wissen, ob die Bauern ihren Hofladen überwachen, etwa mit einer Videokamera oder einer Attrappe. Dabei zeigte sich bei einer Überwachung eine erhöhte Zahlungsbereitschaft von knapp fünf Prozent. Es wurde also eher der korrekte Preis bezahlt. Die Diebstahlrate selbst verbesserte sich aber nur um 0,3 Prozent.
Die Autoren haben ihre Resultate mit denen ähnlicher Untersuchungen aus dem Ausland verglichen, z. B. zu Zeitungsboxen in Österreich oder Blumen zum selber Schneiden in Deutschland. Das Resultat fiel für die hiesigen Bauern positiv aus: Kunden von Schweizer Selbstbedienungs-Hofläden wiesen eine viel höhere Zahlungsmoral aus.
«Waren überrascht, dass Selbstbedienungsstände so gut funktionieren»
Warum haben Sie sich für das Thema entschieden? Interesse an der Landwirtschaft oder Zufall?
Sebastian Bahr*: Wir finden das Thema so interessant, weil es sich bei Selbstbedienungsständen um ein Beispiel für ein sogenanntes öffentliches Gut handelt. Zahlen alle ehrlich, dann überlebt ein Selbstbedienungsstand. Da aber das Bezahlen faktisch freiwillig erfolgt, weil es sich schwer kontrollieren lässt, haben die Konsumenten den Anreiz, etwas auch mal unbezahlt mitgehen zu lassen. Folgen nun viele Personen diesem Anreiz, dann profitieren sie gewissermassen als Trittbrettfahrer von den ehrlich bezahlenden Kunden. Bezahlen viele Konsumenten zu wenig oder sogar nichts, dann verschwindet der Stand nach einer Weile und damit eine bequeme Einkaufmöglichkeit für die Konsumenten. Es gibt viele andere Beispiele für öffentliche Güter. Traditionellerweise sind es die Allmenden in den Bergen, aber auch die ganze Umwelt kann als öffentliches Gut betrachtet werden. Betreiben alle Umweltschutz, dann wird sie in einem guten Zustand bleiben. Aber auch hier bestehen wie bei den Selbstbedienungsständen Anreize, selbst keinen Beitrag zum Umweltschutz zu leisten. Etwas verallgemeinert lässt sich sagen, dass der Erfolg einer Gesellschaft davon abhängt, wie gut sie mit öffentlichen Gütern umgehen kann.
Haben sich die Resultate mit Ihren Thesen gedeckt oder was kam vielleicht überraschend?
Wir haben zwar schon vermutet, dass Selbstbedienungsstände funktionieren, sonst lässt sich ja die stetige Zunahme in den letzten Jahren kaum erklären. Aber das sie so gut funktionieren war dann doch überraschend. 95% aller Waren wird korrekt bezahlt. Das ist doch eine erfreuliche Überraschung. Überraschend ist auch, dass Appelle an die Ehrlichkeit der Kunden das Gegenteil bewirken. Aber das hängt sicher damit zusammen, dass Bauern, deren Stände von Diebstahl betroffen sind, solche Appelle an die Kunden richten. Somit ist nicht der Appell die Ursache für Diebstähle, sondern eine Folge.
*Sebastian Bahr ist Hilfsassistent am Institut für Soziologie der Universität Bern und ist einer der Autoren der Befragung.