Die Güttinger Tagung ist ein beliebter und gut besuchter Anlass der Obstbranche. Sie gilt als wichtiger Treffpunkt zwischen Produktion und Forschung.  Doch dieses Jahr, am 15. August 2020, war alles etwas anders. Das stellte auch Jürg Hess, Präsident des Schweizer Obstverbandes (SOV), fest: «Nichts ist so beständig wie die dauernde Veränderung. Diese Aussage könnte zur jetzigen Zeit nicht treffender sein.» Damit sprach Hess nicht nur die besondere Lage im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie an, sondern auch die zahlreichen Vorstösse und Initiativen, die in der Landwirtschaft ihre Spuren hinterlassen und Veränderungen mit sich bringen werden. «Wir müssen uns als Branche diesen Herausforderungen stellen. Dabei ist es wichtig, dass wir uns früh in die Prozesse der Mitgestaltung einbringen, ohne dabei auf konkrete Forderungen zu verzichten», so sein Appell.

 

Agroscope-Chefin fordert klare Positionierung bei der Sortenzüchtung

Eva Reinhard, Leiterin von Agroscope, hob in ihrem Referat hervor, wie wichtig der Austausch ist, um gemeinsam vorwärts zu kommen. Zwischen Agroscope und dem Obstverband sieht sie noch viel Potenzial, diese Zusammenarbeit zu verbessern. «Wir brauchen einen konstruktiven, regelmässigen, ehrlichen Austausch auf Augenhöhe.» Reinhard forderte die Anwesenden zu einem kontinuierlichem Mitdenken auf. Nur wer sich aktiv einbringe, könne auch mitgestalten.

Weiter kam die Agroscope-Chefin auf die Züchtung zu sprechen, die sie als «Standbein für die Zukunft» bezeichnete. Die  Forschung stehe da in einem Spannungsfeld. «Einerseits wollen wir neue, robuste und resistente Sorten, aber über die Technologie will man sich nicht unterhalten.»  

Reinhard sagte, sie erwarte von der Obstbranche, dass sie sich positioniert, so dass sich auch die Forschung positionieren kann. Es brauche nicht nur den Willen zur Züchtung und Sortenprüfung, es brauche auch die Bereitschaft und den Willen der Produzenten, die neuen Sorten anzubauen. Ebenso brauche es den Willen des Handels, darauf einzusteigen und nicht zuletzt den Willen des Konsumenten, diese Produkte auch zu kaufen.

 

Spritze übers Tablet einstellen und steuern

Nach der Begrüssung ging es direkt in die Obstanlagen, wo eine Hightech-Spritze gezeigt und vorgeführt wurde. Das Besondere an dem Gerät ist die technische Ausrüstung, die von der  Firma Inovel in Friedrichshafen (DE) entwickelt wurde. «Die Basis bildet ein Wireless-Steuerungssystem. Damit lassen sich sämtliche Einstellungen übers Handy oder Tablet vornehmen», erklärte Axel Dittus von Inovel. Während dem Spritzen werden die Daten in Echtzeit in einer Cloud gespeichert und können später als Datenkarten abgerufen werden. So lässt sich jeder Punkt in der Obstanlage nachträglich überprüfen. Man sieht, wo wann mit welcher Geschwindigkeit und Volumenstrom gefahren wurde.

Die Maschine erkennt auch, wenn es eine Lücke in der Reihe hat, dann stellt sie ab. Über das Handy oder Tablet lassen sich sämtliche Sensoren und Elektromotoren steuern. Eine Neuheit ist die automatische Befüllstation, mit der die Füllmenge auf den Liter genau vorbestimmt werden kann. «Ansonsten handelt es sich um ein normales Querstromgebläse», bemerkte Patrick Stadler, Leiter des Versuchsbetriebs Güttingen. Die Hightech-Spritze wird nicht nur in Güttingen eingesetzt. Sie soll auch auf verschiedenen Obstbaubetrieben getestet werden.

Tracer-Technologie bringt Bäume zum Leuchten

Reto Leumann, Obstbauberater am BBZ Arenenberg, berichtete im Zusammenhang mit den Projekten Aquasan und Pflopf (Pflanzenschutz Optimierung mit Precision Farming) über die Applikationsoptimierung mittels Tracer-Technologie. Eine fluoreszierende Substanz, von Syngenta entwickelt, wird – quasi als Spritzentest – im Feld separat angewendet. Dies als Alternative zu den vielen einzelnen wassersensitiven Streifen, die man vorher aufhängen müsste. Mittels UV-Licht wird der Tracer sichtbar gemacht, was man allerdings nur nachts richtig gut sieht.

[IMG 7]

«Dank der fluoreszierenden Substanz können wir die Anlagerung auf der Blattober- und Blattunterseite, auf dem Holz und in den Wiesen messen und auch sichtbar machen», sagte Leumann. «Wenn wir die  Applikation an den Bäumen verbessern können, haben wir automatisch weniger Abdrift.» Die Tracer-Technologie soll auch dazu dienen, die Geräte auf den Einzelbetrieben besser einzustellen.

Leumann kündigte zudem an, dass die Obstbauberatung am BBZ Arenenberg daran sei, eine App zu entwickeln, auf der sämtliche für den Obstbau relevanten Prognosen zusammengefasst sind: Frostwarnung, Bodenfeuchte, Blattnässe, Schorfbefall, Schädlingsmeldungen etc. Dafür arbeite man derzeit mit fünf Pilotbetrieben zusammen, die Wetterstationen in ihren Obstanlagen haben. Mit den Daten aus den Anlagen werden Prognosemodelle errechnet.

Maschinelle Unkrautbekämpfung gewinnt an Bedeutung

Über Alternativen zum Herbizideinsatz referierte Markus Kuster von Agroscope.  Er stellte  drei Maschinen vor, die einzeln oder miteinander kombiniert eingesetzt werden können:

  • Hackgerät Ladurner: Gute Wirkung im Stammbereich. Nackter Boden, daher weniger Probleme mit Mäusen. Tiefe Fahrtgeschwindigkeit (2 bis 3 km/h). Teuer in der Anschaffung (je nach Modell 30'000 Fr.) und im Unterhalt. Bedienung braucht Erfahrung. Hoher Baumverlust (ca. 1 Baum pro ha und Fahrt).
  • Rollhacke: Passives Gerät, wird gezogen oder gestossen (ähnlich wie Pflug). Gute Stickstoffmobilisierung. Schlechtere Wirkung als Hackgerät. Kommt nicht in den Zwischenstammbereich (mit zusätzlicher Fingerhacke möglich). Fahrtgeschwindigkeit 5 bis 10 km/h. Günstig in Anschaffung und Unterhalt (zweiseitig 10'000 bis 15'000 Fr.).
  • Fadengerät: Unkräuter werden nur abgeschlagen, dadurch bodenschonend. Sehr gute Wirkung im Stammbereich. Hohe Flächenleistung (5 bis 7 km/h). Witterungsunabhängig. Mehr Durchfahrten nötig. Keine zusätzliche Stickstoffmobilisierung. Kosten für Fäden (2 bis 3 Fr. pro Fahrt), Plastik bleibt in der Anlage. Gute Mauskontrolle erforderlich.

Zusammenfassend lasse sich sagen, dass die mechanischen Alternativen gut funktionieren, ohne negative Auswirkungen auf die Erntemenge und Fruchtqualität zu haben, schlussfolgerte Kuster. Es gebe allerdings Einiges zu beachten: Zum Beispiel muss der Pflanzabstand genügend gross sein, Schrägpflanzungen sind ungeeignet. Bei Jungbäumen sei der Aufwand  mit den Maschinen recht gross.

Kuster ist überzeugt, dass die herbizidfreie Unkrautregulierung  an Bedeutung gewinnt. Er riet den Obstproduzenten, sich vor einem Gerätekauf gut zu informieren und Meinungen von Berufskollegen einzuholen. Denn es gibt grosse Unterschiede zwischen den Gerätetypen und Herstellern.       

 

Neues zur Marmorierten Baumwanze

Barbara Egger, Agroscope, informierte über die Marmorierte Baumwanze und deren Bekämpfung. Dieses Jahr hat es weniger Wanzen in den Obstanlagen als 2019. Agroscope empfiehlt, die Fallen nicht in der Obstanlage aufzustellen. «Wir haben gesehen, dass die Bäume um die Pheromone herum stark beschädigt werden», sagte Egger. Die Fallen sollten besser ausserhalb der Anlagen platziert werden.

[IMG 8]

Es laufen verschiedene Versuche mit Wirkstoffen, zu denen aber noch keine aussagekräftigen Ergebnisse vorliegen. Egger mahnte beim Einsatz von Wirkstoffen zur Vorsicht, weil auch Nützlinge zu Schaden kommen.

Sie berichtete zudem über den Freisetzungsversuch mit der Samuraiwespe. Im Frühjahr wurden auswinternde adulte Baumwanzen in Boxen gefangen. Ihre Eigelege wurden gekühlt und gelagert. Diese sterilisierten Eigelege wurden dann in einer Obstanlage verteilt und die Samuraiwespen freigesetzt. «Nun warten wir darauf, dass die Parasitierung sichtbar wird», sagte Egger. Die Ergebnisse sollen in ein paar Wochen vorliegen. Egger bezeichnete den Versuch als spannenden Ansatz für eine mittel- und langfristige  Bekämpfungsstrategie.