Patente kann man auf so ziemlich alles einreichen, auch auf Saatgut. Und diese Tatsache wird für die Pflanzenzüchtung zunehmend ein Problem, denn es stürzt die Züchter in Unsicherheit und kann auf Dauer ihre Arbeit so weit erschweren, dass die Vielfalt verfügbarer Sorten gefährlich schrumpft. Dabei wird in der Schweiz schon heute wenig Züchtungsarbeit geleistet – obwohl die Landwirtschaft zur Anpassung an den Klimawandel und für einen reduzierten Einsatz von Pflanzenschutzmitteln darauf angewiesen ist.
Sortenschutz an sich macht Sinn
Eine neue Sorte zu schützen, ist im Grunde nichts Schlechtes. Damit verhindert der Züchter, dass andere ohne Gegenleistung von seiner jahrelangen und kostenintensiven Arbeit profitieren, in dem sie aufwendig gezüchtete Sorten zwecks Saatgutverkauf vermehren. Aus diesem Grund lässt auch die Sativa Rheinau AG einen Teil ihrer Neuzüchtungen sortenrechtlich schützen. «Da der Schutz laufende Kosten verursacht, ist es für uns eine Risikoabwägung. Wenn es unwahrscheinlich ist, dass jemand die Sorte zum Weiterverkauf vermehrt, verzichten wir darauf», erklärt Amadeus Zschunke, Geschäftsführer der Sativa.[IMG 2]
Für die Zucht ist geschütztes Saatgut kein Problem, denn das Schweizer Sortenschutzgesetz kennt das Züchterprivileg: Jede Sorte darf zum Kreuzen verwendet werden. Auch Landwirten wird ein Privileg gewährt, denn sie dürfen Saatgut bestimmter Arten von ihren Feldern zum Eigengebrauch verwenden und sich damit quasi ihre betriebseigenen Sorten züchten.
Schweizer Pflanzenzüchtung in Zahlen
30 neue in der Schweiz gezüchtete Sorten werden jährlich zugelassen.
345'000 Franken kostet die Entwicklung einer neuen Sorte im Durchschnitt.
10 Mio Franken werden pro Jahr in die Schweizer Pflanzenzucht investiert,
40 Prozent davon vom Staat.
Total entspricht das 0,25 Prozent des Werts der pflanzlichen Produktion im Inland (über 4 Mrd Franken).
Problematische Patente mit unklarer Reichweite
Eine Sorte muss sich über ein äusserliches Merkmal eindeutig von allen anderen unterscheiden lassen und bezeichnet eine «pflanzliche Gesamtheit» innerhalb einer Art. Somit ist genau umrissen, was über das Sortenrecht geschützt wird. Beim Patentrecht ist es, wie oben erwähnt, anders. «Die Probleme haben mit den ersten gentechnisch veränderten Sorten in den USA angefangen», schildert Amadeus Zschunke. In den USA wurde der Sortenschutz viel später als das Patentrecht eingeführt. Bei Patenten werden Verfahren oder bestimmte Eigenschaften patentiert, welche eine Vielzahl von Sorten abdecken können. Das bringt zwei Probleme mit sich:
- Da verschiedene züchterische Wege zu der gleichen Eigenschaft führen können, kann am Ende jahrelanger Züchtungsarbeit eine Sorte stehen, für die ein anderer ein Patent hat.
- Die Erfassung von Patenten in öffentlichen Datenbanken ist freiwillig und nicht immer ist klar, ob eine Sorte unter ein Patent fällt. So kann man unwissentlich eine patentierte Eigenschaft einkreuzen. Auch in diesem Fall ist das Resultat das geistige Eigentum des Patentinhabers.
«Wir lehnen Patente auf Saatgut klar ab. Die Abklärung, ob eine Sorte patentrechtlich geschützt ist oder nicht, ist für uns nicht mit vertretbarem Aufwand machbar. Daher lassen wir im Zweifelsfall lieber die Finger von einer Sorte», meint Zschunke. Das bedeutet eine Einschränkung der wichtigsten Ressource für die Pflanzenzüchtung: der Vielfalt.
«Grosse Firmen haben Patente auch als Machtinstrument entdeckt.»
Amadeus Zschunke, Geschäftsführer der Sativa Rheinau AG
Auch moderne Sorten sind für die Zucht wertvoll
Denn obwohl alte Sorten z. B. wegen ihrer Resistenzen wertvoll sind, brauchen neue Zuchten auch die Eigenschaften moderner Sorten. «Früher wurden Rüebli mit dem Pflug ausgegraben und dann von Hand eingesammelt. Heute nutzt man Vollernter, die die Wurzel am Kraut aus der Erde ziehen», gibt der Sativa-Geschäftsführer ein Beispiel. Einer neuen Rüeblisorte müsste also durch die Einkreuzung heute verwendeter Sorten ein genügend kräftiges Kraut verliehen werden. So können Züchter vom bisherigen Fortschritt profitieren und den Landwirt(innen) immer besseres Saatgut zur Verfügung stellen, das die Ansprüche des heutigen Anbaus mit den Vorteilen alter Sorten vereint. Gäbe es ein Patent auf die Eigenschaft «kräftiges Kraut» müsste sie entweder jeder Züchter selbst wieder erzeugen (mit dem Risiko, dass er das Resultat wegen Patentschutz nicht vermarkten darf) oder hohe Lizenzgebühren zahlen. «Kleinere Züchter bleiben da auf der Strecke, die können sich so etwas nicht leisten», gibt Amadeus Zschunke zu bedenken. Hinzu kommt, dass der Inhaber des Patents vielleicht keine Lizenzen vergibt und ein kleiner Züchter nicht weiss, wen genau er ansprechen muss.
Die Motion Graf
Ständerätin Maya Graf (Grüne/BL) hat vor knapp zwei Jahren die Motion «Geistige Eigentumsrechte. Anpassung im Bereich Pflanzenzucht» eingereicht. Darin fordert sie eine Anpassung des Schweizer Patent- und wo nötig des Sortenschutzgesetzes, um für mehr Transparenz betreffend geistige Eigentumsrechte zu sorgen und die Weiterzucht zu erleichtern. Das Ziel dabei ist eine erhöhte Rechtssicherheit für Züchter in der Schweiz und eine Stärkung der Pflanzenzucht.
Die Motion wird von einem breiten Bündnis von Organisationen aus den Bereichen Landwirtschaft und Pflanzenzüchtung sowie von NGOs unterstützt. Der Bundesrat hat die Ablehnung beantragt, da er keine Notwendigkeit für Anpassungen sieht.
Bedrohliche Konzentration am Saatgutmarkt
Dass Saatgutkonzerne immer grösser werden, ist ein weltweiter Trend. Ebenso lässt sich beobachten, dass die Pflanzenzüchtung zunehmend privatisiert wird. Grosse Firmen hätten Patente auch als Machtinstrumente entdeckt, ergänzt Amadeus Zschunke. Die Folge dieser Entwicklungen: Die Züchtungsarbeit reduziert sich auf wenige, lukrative Kulturen und sie Sortenauswahl wird immer kleiner.
Aber eine Allerweltssorte gibt es nicht. Und standortgerechtes Saatgut, das mit lokalen Böden und Klimabedingungen zurechtkommt, ermöglicht erst eine ressourcen- und umweltschonende Lebensmittelproduktion, betont der Pflanzenzüchter.
Die Schweiz ist keine Ausnahme – auch hierzulande wurde die staatliche Züchtung bei Agroscope in den letzten Jahrzehnten reduziert. Die drei wichtigen Kulturen Zuckerrüben, Kartoffeln und Raps bearbeitet in der Schweiz heute kein Züchter, stellt das Bundesamt für Landwirtschaft (BLW) in einer Umfeldanalyse fest. Dabei wäre eine Erfolgsgeschichte wie beim Raps auch bei heutigen Nischenkulturen wie Pseudogetreide denkbar. Unsicherheiten wegen Patenten machen das aber noch unwahrscheinlicher.
Explizite Ausnahme soll ins Patentrecht
Die Pflanzenzüchtungsbranche in der Schweiz bleibt indes nicht untätig. 25 verschiedene Organisationen, darunter Sativa, der Schweizer Bauernverband und Pro Specie Rara, unterstützen eine Motion von Ständerätin Maya Graf (Grüne/BL), die eine Anpassung des Schweizer Patentrechts fordert (siehe Kasten). Unter anderem sollen konventionell gezüchtete Pflanzen explizit nicht patentrechtlich schützbar sein, so eine der Forderungen. Der Bundesrat ist gemäss seiner Stellungnahme der Ansicht, die heutigen Regeln seien ausreichend, da sie im Sinne einer EU-Richtlinie auszulegen seien, die eine explizite Ausnahme enthält. Doch von einer Änderung der Schweizer Gesetzgebung erhofft sich Amadeus Zschunke eine Signalwirkung: «Auch in der EU wird über eine Anpassung des Patentrechts diskutiert. Das Bewusstsein für die Problematik ist in letzter Zeit gewachsen und Züchtung ist eine länderübergreifende Angelegenheit – beim Europäischen Patentamt (EPA) spielt die Musik».
In der Schweiz und der EU gibt es laut den Unterstützern der Motion Graf bereits rund 1000 patentierte Sorten aus konventioneller Züchtung, Tendenz steigend. Und das EPA hat generell ein Interesse an einer grossen Anzahl Patenten. Laut Zschunke finanziert es sich über die Patentgebühren.
Die von 25 Organisationen aus der Pflanzenzüchtung, der Landwirtschaft und von NGOs unterstützte Motion zum Patentschutz soll Anfang Februar 2022 in der ständerätlichen Kommission nach langer Pause weiter verhandelt werden. Amadeus Zschunke hofft, dass das Parlament nicht dem Bundesrat folgen und dem Vorstoss zustimmen wird. Weitere Hoffnung setzt er in das geplante Plant Breeding Center, dass die Pflanzenzüchtung in der Schweiz aus ihrem Winterschlaf wecken und voranbringen soll. Auch dazu sei im Februar eine Sitzung geplant.
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Ein Ansatz gegen den Proteinmangel
Die Sativa Rheinau AG beschäftigt sich züchterisch mit einem sehr aktuellen Problem: Gegen den drohenden Proteinmangel beim Tierfutter im Bio-Bereich, das seit diesem Jahr vollständig aus der Schweiz stammen muss, arbeitet man an einer Silomais-Eiweisserbsen-Mischkultur. Die Leguminose versorgt dabei den Mais mit Stickstoff, Hofdünger kann entsprechend in einer anderen Kultur eingesetzt werden. Das Ziel ist laut Geschäftsführer Amadeus Zschunke der gleiche Maisertrag wie in einer Reinkultur, aber dank der Erbsen mit einem Prozent Eiweiss in der Silage. «Für die Mischkultur muss die Leguminose im Herbst gleichzeitig mit dem Mais abreifen», erklärt Zschnuke einer der Schwierigkeiten. Nur etwa 20 Prozent der Kreuzungen auf dem Weg zu einer neuen Sorte seien erfolgreich und könnten so zur weiteren Zucht verwendet werden.
Sativa hat eine erste vielversprechende Erbsensorte für die EU-Sortenliste angemeldet. Die Sortenprüfung in Holland werde zwei Jahre dauern, so Zschunke. Danach beginnt die Sativa – wenn alles klappt – mit der Vermehrung und Vermarktung im In- und Ausland.