Es wurde bereits die ersten Male ordentlich kalt, der Winter kündigt sich an und Weihnachten ist nicht mehr fern. Mit den kommenden Festtagen werden wieder 120 Gänse den Betrieb von Martin und Monika Zehnder als anschliessendes Weihnachtsmenü ihrer Kunden verlassen. Diese Weidegänse sind ein Produktionszweig, welcher in der Schweiz lange Zeit in Vergessenheit geraten war, aber in den letzten Jahren durch einzelne innovative Produzenten und die Arbeit des Vereins weidegans.ch wiederbelebt wurde.
Gänse mögen kein konserviertes Futter
Im Juni treffen die frisch geschlüpften Gössel – so werden die Gänseküken genannt – auf dem Betrieb ein. Zu Beginn bleiben sie für zwei bis drei Wochen im Stall und werden mit dem Starterfutter schnell grösser. Damit sie sich daran gewöhnen können und weil Martin Zehnder gute Erfahrungen gemacht hat, bekommen sie bereits im Stall frisch geschnittenes Gras, denn konserviertes Futter wie Heu oder Silage mögen die Tiere nicht.
Bei entsprechendem Wetter dürfen sie die ersten Male hinaus und sich an die Weide gewöhnen, auf welcher sie die nächsten sechs bis sieben Monate jeden Tag an der frischen Luft sein werden. Gänse sind das einzige Nutzgeflügel, das nicht primär zur Bewegung auf die Weide geschickt wird, sondern weil es ein guter Grasverwerter ist.
Zu Beginn bekommen die jungen Gänse erst einen kleinen Teil der Weide zu Gesicht, denn sie müssen vor Greifvögeln wie dem Milan geschützt werden. Doch da die Tiere schnell wachsen, bleibt nach einigen Wochen nur noch die Gefahr durch den Fuchs und die Tiere können nach Lust und Laune über ihre grosse Weide spazieren, Gras fressen oder in ihrem Teich baden.
Im Stall gibt es jeden Abend gequetschte Gerste und dort verbringen die Tiere die Nächte in Sicherheit. Im benachbarten grösseren Stall werden im Sommer Truthähne gemästet. Nachdem diese im September den Betrieb verlassen, werden die Gänse dorthin verschoben und bekommen Truthahn-Mastfutter. So können sie bis Weihnachten nochmals an Gewicht zulegen.
Sogar wenn der Schnee kommt, ist dies kein Problem. Die Gänse erhalten trotzdem jeden Tag Auslauf. Sie trampeln aber eher ein wenig im Schnee herum und suchen nicht wie Schafe unter der Schneedecke nach Gras. Entsprechend wirken sie nicht unglücklich, wenn man sie nach wenigen Stunden wieder in den Stall lässt, meint Martin Zehnder schmunzelnd. Insgesamt seien die Tiere ein guter Nebenbetriebszweig. Er habe nur sehr selten Abgänge und Probleme mit Krankheiten oder Parasiten gäbe es kaum. Der Fuchs konnte bis anhin ebenfalls keine grossen Schäden anrichten, hat aber bereits einmal einige Gänse erwischt - zum Glück waren Zehnders damals zu Hause und konnten Schlimmeres verhindern.
Zur Schlachtung kommen die Tiere vor Weihnachten nach einstündiger Fahrt in Kopp’s Metzg in Heimisbach. Diese hat sich als Lohnmetzgerei auf Geflügel spezialisiert und die Zusammenarbeit hat sich bewährt. Zusätzlich bleibt den Tieren ein langer Transport erspart und Zehnders achten darauf, die Gänse dabei möglichst wenig zu stressen.
Mit Aufzucht, Schlachtung und Präparation ist die Arbeit aber nicht gemacht. Zwar übernehmen und verkaufen Migros und Coop einen Teil der Gänse, der Grossteil wird jedoch direkt vermarktet. Eine Aufgabe, um die sich jeder Gänseproduzent grundsätzlich selbst kümmert, mit Unterstützung durch den Verein Weidegans. Bei der Vermarktung ist eine Sache zentral: Die Tiere müssen vor Weihnachten verkauft sein, danach ist keine Nachfrage mehr vorhanden.
Mit Federn und Lebern in die Zukunft
Das Fazit von Martin Zehnder nach den letzten Jahren ist positiv. Zwar sinke die Nachfrage zurzeit leicht, doch der Betriebszweig sei rentabel, die Kunden hätten Freude an den Weihnachtsgänsen, und weitere Entwicklungen seien zu erwarten, sagt er.
So die Lancierung des Verkaufs von Kissen und Duvets aus den hochwertigen Federn unter der Marke «Federleicht». Dass diese aus preislichen Gründen keine grosse Kundschaft haben werden, ist Zehnder klar. Doch auch dafür ist eine Lösung geplant, nämlich die Vermarktung als Luxusbettwaren in entsprechenden Verkaufshäusern, denkbar wäre dies zum Beispiel in Gstaad.
Auch eine Schweizer Zucht oder Brüterei wäre wünschenswert, denn der administrative Aufwand für die Organisation der frisch geschlüpften Gössel jeden Frühling ist hoch und garantiert trotzdem keinen reibungslosen Ablauf. So hat es Martin Zehnder schon erlebt, dass 2'000 kleine Gössel an der Grenze stehen geblieben sind, weil ein Dokument gefehlt hat. Daraufhin ist die Einfuhr aus Deutschland nicht mehr möglich gewesen und Zehnder musste schnell eine andere Lösung finden.
Zu guter Letzt ist in Zusammenarbeit mit der HAFL die Entwicklung eines Verarbeitungsprodukts aus der Leber der Tiere geplant. Viele Kunden übernehmen diese zwar gerne, trotzdem bleibt jedes Jahr genug übrig, dass eine eigene Vermarktungsmöglichkeit interessant ist. Ist die Entwicklung erfolgreich, gibt es in Zukunft ein Gänseleberprodukt, bei welchem auch Kunden mit Abneigung gegen die Stopfmast ohne Bedenken zugreifen können.
Martin Zehnder hofft auf eine Entwicklung wie in Österreich, wo der Absatz ebenfalls zeitweise stagnierte, aber nun starken Zuwachs verzeichnet. Er ist davon überzeugt, dass die Weidemast der Gänse als Nischenproduktion in der Schweiz Zukunft hat, denn das Kundeninteresse an nachhaltigen Produkten aus tiergerechter Haltung nimmt laufend zu.
Damian Rihs, lid