Obwohl Sommergetreide einen verhältnismässig geringen Teil der Getreidemenge ausmacht, werden in den nächsten Wochen die ersten Sämaschinen angehängt. Deshalb bietet es sich an, über Saatgutbehandlungen und den damit verbundenen Pflanzenschutzmittel-Einsatz zu sprechen. Denn dieser beginnt bereits vor der Aussaat.
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Schon lange vor der Aussaat startet der Pflanzenschutz einer Kultur. Die chemisch-synthetische Beizung gegen samen- und bodenbürtige Krankheiten im Getreide gerät jedoch zunehmend unter Druck. Die Politik fordert eine Reduktion von Pflanzenschutzmitteln, welche eben auch bei der Beizung eingesetzt werden. Gleichzeitig scheinen die Mühlen bei der Bewilligung von innovativen, neuen Verfahren langsam zu mahlen. Wie handhabt dies die Branche?
Welche Möglichkeiten sind für die Praxis vielversprechend? Fenaco hat sich auf die Behandlung mit Dampf fokussiert, aber auch andere thermische Behandlungen wie die Elektronen- oder Warmwasserbehandlung könnten den Weg hin zu weniger Chemie ebnen.
Aus diesem Grund ist auch die Saatgutbeizung Gegenstand der politischen Agenda. So beispielsweise des «Aktionsplans zur Risikoreduktion und nachhaltigen Anwendung von Pflanzenschutzmitteln (PSM)». Dieser schreibt unter anderem vor, den Einsatz dieser Mittel zu reduzieren – auch bei der Saatgutbehandlung. Denn im konventionellen Sektor wird das Saatgut präventiv mit chemisch-synthetischen PSM, wie zum Beispielsystemischen Fungiziden oder wurzelsystemischen Mitteln, behandelt. Dies trägt zur Prävention von Frassschäden bei und schützt den Keimling vor Pilzkrankheiten in der vulnerablen Wachstumsphase, aber auch danach. Die chemische Saatgutbeizung schützt zudem vor bodenbürtigen sowie samenbürtigen Krankheiten wie Schneeschimmel (Microdochium nivale), Stink- und Zwergbrand (Tilletia caries / Tilletia controversa) und Flugbrand (Ustilago spp.).
«Nachfrage nach Alternativen zur bisherigen Beizung steigt»
Im vergangenen Jahr wurden rund 80 Prozent des verkauften Saatguts als wirksame Präventivmassnahme gegenüber den samen- und bodenbürtigen Erregern chemisch-synthetisch gebeizt. Das sind laut Recherchen des Fachmagazins «die grüne» rund 19'500 Tonnen Getreidesaatgut. Fast 12 Prozent der gesamten Verkaufsmenge werden als Biosaatgut sowie 7 Prozent als ungebeiztes Saatgut für den IP-Suisse-Anbau verkauft, wie Agroscope auf Anfrage erklärt. Die Nachfrage nach Schweizer Bio-Brotgetreide wird in den nächsten Jahren stark anwachsen. Dies unter anderem, weil Coop bis 2027 für seine Bio-Brote nur noch Schweizer Mehl mit der Bio-Knospe verwenden will, wie «die grüne» schreibt.
«Die meisten Posten könnten 2030 thermisch behandlet werden»
Somit ist auch die Nachfrage nach Alternativen zur bisherigen Beizung von Getreide in der Schweiz entsprechend gross. Jürg Jost, Leiter UFA-Samen, rechnet sogar damit, dass bis 2030 bei Weizen die meisten Saatgutposten für Schweizer Landwirte und Landwirtinnen thermisch behandelt werden. Die Akzeptanz bei den Anwenderinnen und Anwendern sei da, so Jost. «Wir haben bereits jetzt viele positive Rückmeldungen von Schweizer Landwirtenerhalten. Viele Betriebe suchen nach einer nachhaltigen Alternative zu den herkömmlichen Beizmethoden», sagte er gegenüber «die grüne» im vergangenen August.
Es existieren viele Alternativen
Nun existieren einige solche Alternativen. Eine davon machte letztes Jahr Schlagzeilen. Es handelt sich um die thermische Behandlung von Getreidesaatgut mit Dampf. Und tatsächlich klingtdie nicht-chemische Saatgutdesinfektion vielversprechend: Die Dampfpasteurisierung tötet Krankheiten ab, die sich auf der Oberfläche des Korns befinden, wie beispielsweise die Spelzenbräune, Schneeschimmel, sowie Stinkbrand.
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Dadurch ist gemäss einer Studie von Agroscope eine effektive Kontrolle von samenbürtigen Krankheitserregern ohne chemisch-synthetische Beizmittel möglich. Zahlreiche offizielle Versuchsergebnisse bestätigen die Wirksamkeit der thermischen Saatgutdesinfektion. Weitere Vorteile für die Anwendenden ist, dass der Staub nicht mehr mit Beizmittel belastet und die Behandlungszeit kurz ist, so Agroscope. Zudem könnten die Restmengen von thermisch behandeltem Saatgut universell eingesetzt werden. So zum Beispiel als Futtermittel. «Das ist ein klarer Vorteil», betont Agroscope.
Nur für grosse Firmen rentabel
Die schwedische Firma Thermoseed entwickelte die Thermosem-Anlage, die in Lyssach steht. Sie schreibt auf ihrer Website, dass die Methode zudem rentabel und geeignet für eine breite Palette von Nutzpflanzen sei. Aber: Rentabel dürfte die Methode bisher nur für gross skalierte Behandlungsfirmen wie die Fenaco sein. Stolze 3 Millionen Franken kostete die in Lyssach installierte Anlage. «Die thermische Saatgutbehandlung ist im Vergleich zu normalen chemisch-synthetischen Beizmitteln nicht kostengünstiger. Kostengünstiger ist sie hingegen im Vergleich zu anderen thermischen Behandlungen, insbesondere im Vergleich zur Warmwasserbehandlung, bei der das Saatgut anschliessend mit hohem Energieaufwand rückgetrocknet werden muss», erläutert Agroscope. «Natürlich sind viele Behandlungen zunächst teurer als die chemisch-synthetische Saatgutbehandlung. Dies ist bei vielen Neuentwicklungen der Fall. Keine Umweltgefährdung, Vorteile im Verbraucherschutz des Saatgutkäufers sowie die Verwendung von überschüssigem Saatgut im Futterkanal könnten diese Mehrkosten jedoch etwas kompensieren», so Agroscope weiter.
Aktionsplan
Der beschreibende Titel des Aktionsplans lässt erahnen, was die Branche zu tun hat: Das im Jahr 2017 verabschiedete Paket schreibt vor, dass Risiken im Zusammenhang mit Pflanzenschutzmittel halbiert, deren Anwendung reduziert und Alternativen zum chemischen Pflanzenschutz gefördert werden sollen. Unter Risiko im Zusammenhang mit PSM versteht sich die Kombination zwischen der Toxizität und der Exposition dieser Mittel.
Der Aktionsplan enthält insgesamt 51 Massnahmen. 29 dieser Massnahmen wurden Stand September 2021 eingeführt. Weitere 22 Massnahmen sind laut BLW in Erarbeitung. Dazu gehört unter anderem auch, die für die Saatgutbehandlung eingesetzten PSM zu reduzieren. Der Aktionsplan erfordert auch eine Anpassung der Direkt-zahlungsverordnung.
Wirkung schon lange bekannt
Die Behandlungsalternative mit Dampf, die in den 90er-Jahren in Schweden entwickelt wurde, hat aber eine Kehrseite: Gegen Krankheiten, die sich im Inneren des Samens befinden, wie zum Beispiel der Flugbranderreger (bei Gerste), hilft Dampf im Vergleich zum Warmwasserbad nicht, wie Agroscope erklärt. Das bestätigt auch Oswald Perler, Geschäftsführer Saatzucht Düdingen. Aus seiner Sicht stellt die physikalische Behandlung mittels Elektronenbehandlung eine interessantere Alternative dar, da ihre Wirkung doch vergleichbar mit herkömmlichen Methoden ist und einen wesentlich geringeren Platz- und Energieaufwand aufweist, so Perler. Er betont auch, dass in nordischen Ländern, wo Sommergetreide einen Grossteil der Saat ausmacht, die Thermobehandlung durchaus Sinn mache, da die Behandlung viel Zeit in Anspruch nehme. Diese Zeit fehlt in der Schweiz, wo 98 Prozent des Getreides als Wintergetreide ausgesät wird und somit der Zeitraum zwischen Ernte und Saat sehr kurz ist. Oswald Perler fügt hinzu, dass man die Saatgutbehandlung generell überdenken müsse: «Letztes Jahr mussten wir sehr wenige Bioposten abweisen. Ihre Qualität war trotz der schlechten Bedingungen gut», so Perler. Saatgutstärkende Additive, Mineralstoffe oder Bakterienpräparate könnten vielversprechende Möglichkeiten der Zukunft sein, so der Fachspezialist.
Aufgetretene Mängel beheben
Hinsichtlich des kritisierten Energieaufwands der Dampfanlage entgegnet Roland Stalder, Leiter Leistungszentrum Lyssach, dass noch keine zuverlässigen Energiedaten der neuen Anlage in Lyssach ermittelt werden konnten. «Seit letztem Herbst bereiten wir kleine Mengen Getreide im Testverfahren mit der neuen Thermosem-Anlage auf.» Deshalb müssten die Parameter noch justiert und aufgetretene Mängel behoben werden, so Stalder. «Durch die kleine Ernte 2021 ist es uns auch nur bedingt möglich, grössere Mengen für die Aussaat 2022 vorzubereiten und so weitere Erkenntnisse über alle Parameter zu gewinnen.»
«Die vielen Vorteilekönnten die Mehrkosten etwas kompensieren.»
Agroscope über die Dampfbehandlung des Saatguts.
Da diese Art thermische Behandlung mit Dampf erfolgt, welcher das Saatgut feucht macht, ist für die Lagerung eine Rücktrocknung erforderlich. Aber auch Agroscope relativiert die Kritik bezüglich Energieaufwand: «Der Aufwand für die Rücktrocknung nach einer Dampfbehandlung ist minimal», so die Forschungsanstalt.
«In der Praxis möglich»
Generell weist die Thermobehandlung keine Wirkung gegen bodenbürtige Krankheiten auf. Dennoch schätzt die Forschungsanstalt die Umstellung von der herkömmlichen Saatgutbeizung zur Dampfbehandlung in derPraxis als möglich ein. «Jahre mit anspruchsvollen Witterungsbedingungen und hohem Krankheitsdruck können allerdings eine Herausforderung sein. In den kommenden Jahren werden daher weitere Daten und Erfahrungen aus der Praxis erhoben. Zudem muss der Prozess der Saatgutzertifizierung angepasst werden, indem vorgängig durch einen Test in kleinem Massstab die optimale Behandlungsbedingung für jeden Saatgutposten ermittelt wird», so Agroscope.
Kombination der Methoden
Was nun die Nonplusultra-Lösung zur Reduktion von Pflanzenschutzmitteln bei der Saatgutbehandlung ist, darüber ist sich die Branche noch uneinig. Vielleicht muss sich diese aber auch nicht auf eine einzige Methode festlegen. Eine Kombination aus den Alternativen könnte durchaus zielführend sein. Zumindest darüber scheint Konsens zu herrschen.
Weitere Informationen zur Dampfbehandlung finden Sie hier.
Sehen Sie hier im Video, wie die Behandlung funktioniert.
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Die wichtigsten Saatgut-Behandlungen im Vergleich
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