«Diese Forderungen sind nicht neu», betonte der SVP-Ständerat Werner Salzmann anlässlich eines Hintergrundgesprächs für Agrarmedien zu den aktuellen Forderungen der SVP. Man habe bereits 2015 verlangt, die heimische Produktion zu stärken. Noch nie seit dem zweiten Weltkrieg sei die Versorgungssicherheit derart gefährdet gewesen, sagte der Berner Standesvertreter. Präsent waren auch die Parteikollegen Marcel Dettling, Alois Huber, Martin Haab und Jacques Nicolet aus dem Nationalrat.
Netto-Selbstversorgungsgrad massiv gesunken
Die SVP hatte am Sonntag in einer Medienmitteilung gefordert, dass Öko-Projekte in der Agrarpolitik zu sistieren und stattdessen der sinkende Selbstversorgungsgrad «zeitnahe und massiv» zu erhöhen sei.
Vor den Medien erklärte SVP-Nationalrat Alois Huber, es müsse ein Netto-Selbstversorgungsgrad von 60 Prozent angestrebt werden, heute stehe man bei lediglich 50 Prozent. Noch 2014 lag dieser bei 64 Prozent, wie Huber sagte. Gleichzeitig hätten die Importe etwa von Weizen und Körnermais stark zugenommen. Dasselbe gelte für die Fleischimporte. Er warnte davor, «den armen Leuten ihr Getreide wegzukaufen», so Huber. Wenn wir nun noch einen Flüchtlingsstrom aus diesen Ländern erhielten, werde die Selbstversorgung noch stärker sinken.
Parlamentarische Initiative 19.475 sistieren
Die Umsetzung sämtlicher Projekte, die im Inland zu einer Reduktion der Selbstversorgung führen, sei zu sistieren, meinte Marcel Dettling. So erwähnte er namentlich die Parlamentarische Initiative (PI) 19.475 bzw. den darauf basierenden Massnahmenplan Sauberes Wasser des Bundesrats. Die PI gelte es zu sistieren, weil sie einen massiven Abbau der Tierbestände zur Folge haben werde. Dasselbe gilt laut Dettling für die AP 22+, diese müsse sistiert bleiben.
Laut Dettling seien viele Probleme selbstverursacht. Fehlanreize im Getreidebau hätten zwischen 1991 und 2014 dazu geführt, dass die Getreidefläche um 45'000 ha zurückging. Grund: «Weil es mehr Geld gab für Blumenwiesen als für Getreidebau. Zudem forderte Dettling, die Verbote der Verfütterung von Tiermehl und Gastrosuppe aufzuheben, denn damit verzichte man freiwillig auf umgerechnet 50'000 ha Anbaufläche Futtergetreide.
Pflichtlager stark reduziert
Anstelle der Covid-bedingt abwesenden Esther Friedli befasste sich Dettling auch mit den Pflichtlagern. Beim Hartweizen sei das Pflichtlager seit 1999 um 17'000 t zurück gegangen, beim Zucker reduzierte man die Pflichtlager in der gleichen Zeitspanne um 20'000 t. Damit sei auch die abgedeckte Frist von vorher 6 Monaten um einen Drittel bzw. die Hälfte reduziert worden, rechnete Dettling vor.
Martin Haab erklärte, man habe in der Medienmitteilung bewusst darauf verzichtet, konkrete Massnahmen zu formulieren. Diese Aufgabe müsse der Bundesrat in Angriff nehmen. Er verwies auf den deutschen Markt. Hier habe der neue grüne Landwirtschaftsminister Cem Özdemir darein eingewilligt eine Million ha stillgelegte Flächen wieder in die Produktion zurückzuführen, bzw. diese zumindest für Raufutter nutzbar zu machen.
Die Schweiz als finanzstarkes Land werde den Hunger vermutlich am Schluss spüren, sagte Haab. Aber grundsätzlich sei es eine ethische Frage, «ob wir uns in unserem Land weiterhin auf die Importe verlassen und den ärmeren Ländern zusätzlich Produkte wegkaufen in Zukunft».
LQB abschaffen und Ackerbiodiversität streichen
Es gebe verschiedene Massnahmen, welche die SVP als sehr sinnvoll erachte, so Haab. So würden im neusten Verordnungspaket 3,5 Prozent zusätzliche Biodiversitätsflächen auf dem Acker gefordert, mit einer Sistierung dieser Massnahme könnte man konkret etwas bewirken. Ein anderes Beispiel seien die Extenso-Programme für Getreide, diese könnte man etwas reduzieren, schlug Haab vor. Pro Hektare Getreidefläche würde mit Extenso rund 1000 kg weniger geerntet pro ha. Zudem sei die Qualität – Hektolitergewichte, Proteingehalte, im schlimmsten Fall Mykotoxinbelastung – in vielen Fällen nicht genügend für die Futtermittelnutzung.
Haab befürchtet, dass aufgrund von Informationen aus dem Bundesamt für Umwelt für die sogenannten ökologischen Infrastrukturen weitere 100'000 ha Biodiversitäts-Förderflächen gefordert werden dürften, um den Artenschwund zu stoppen. Solche Projekte müsse man nun auf die lange Bank schieben, sagte Haab. Weiteres Potenzial sieht er in der Abschaffung der Landschaftsqualitätsbeiträge (LQB). Diese seien ein «Rohrkrepierer par excellence», so Haab. Sein Fazit: «Es gibt etliche Massnahmen, die wir sistieren können».
Geringe Erfolgsaussichten
Der Landwirt und Nationalrat Jacques Nicolet brachte ein weiteres Element aus der PI 19.475 ins Spiel: Die Toleranzgrenze von plus 10 Prozent bei der Suisse Bilanz dürfe nicht abgeschafft werden, forderte Nicolet. Er erinnerte zudem an die Bedeutung der regionalen Ernährungssicherheit. Deren Bedeutung habe auch die Covid-Krise aufgezeigt. Wichtig sei es, jetzt rechtzeitig zu handeln. Man könne landwirtschaftliche Produktion nicht ein- und ausschalten wie einen Dynamo beim Velo, der dann sofort Strom produziert. Das Massnahmenpaket habe man deshalb so früh gebracht, damit die allfällig beschlossenen Massnahmen noch heuer vor den Frühjahrssaaten in Kraft treten könnten, schloss Dettling.
Die Erfolgaussichten der SVP-Vorstösse sind allerdings eher gering. Die genannten Massnahmen sind Ergebnis von langwierigen politischen Prozessen, die sich nicht so mir nichts dir nichts umstossen lassen. Zudem erwuchs dem SVP-Vorschlag, kaum war er publiziert, starker Widerstand aus linksgrünen Kreisen. Diese werfen der SVP vor, aus dem Krieg Profit schlagen zu wollen. Mit einer erneuten Anbauschlacht erhöhe sich nur unsere Abhängigkeit von Futtermittel- und Kunstdüngerimporten, schrieb etwa der grüne Nationalrat Kilian Baumann auf Twitter. Unterstützung erhielt er von der NZZ, welche schrieb, dass man nicht die Produktion steigern, sondern mit weniger Dünger und Hilfsstoffen Landwirtschaft betreiben müsse.