Er wolle keine Symptome bekämpfen, sondern die Ursachen angehen, sagt Marcel Müller. Dieses Denken führte ihn nach der Hofübernahme vor fünf Jahren zur Regenerativen Landwirtschaft – ein Konzept, bei dem der Boden und speziell auch die Bodenchemie im Fokus stehen. «Das fasziniert mich», meint Müller. Er ist überzeugt, dass Lebensmittel nur so gesund sein können wie der Boden, auf dem sie wachsen. Daher legt der Zürcher Landwirt viel Wert darauf, zu verstehen, was im Untergrund vor sich geht.

Zu wenig Magnesium

AboJohanna und Beat Bergmann wollen auf ihrem Betrieb Kreisläufe schliessen. Daher experimentieren die Agronomin und der Landwirt auch mit Ansätzen der Regenerativen Landwirtschaft.Regenerative LandwirtschaftBergmanns brauen Komposttee und reifen Mist: «Es ist auch die Herausforderung»Mittwoch, 17. Januar 2024 Bodenproben sind dafür zentral und Marcel Müller lässt seine Parzellen regelmässig nach Kinsey analysieren. Entsprechend den Ergebnissen passt er die Düngung an: Der Hofdünger seiner Jersey-Milchkühe und Aufzuchttiere wird gezielt mit Flüssigdünger ergänzt. «Wir haben einen Kalzium-Überschuss festgestellt und gleichzeitig mangelte es an Magnesium», gibt Müller ein Beispiel. Entsprechend führte er Magnesium zu, denn nach Kinsey ist das Verhältnis dieser beiden Nährstoffe für die Bodenfruchtbarkeit zentral.

Seine Bodenproben ergänzt der Landwirt mit Blattsaftanalysen – jedes Jahr und von allen Kulturen. So wird sichtbar, wie die via Gülle und Flüssigdünger zugeführten Nährstoffe aufgenommen werden. Aber es gibt auch Überraschungen: «Im Dinkel fielen zu hohe Chlorwerte auf», schildert Marcel Müller. «Das kommt vom Reinigungsmittel für die Melkmaschine.» Damit das Chlor nicht mehr direkt via Waschwasser in die Güllegrube gelangt, sucht Müller nach einer Möglichkeit, den Stoff vorher abzubauen. «Chlor ist flüchtig und kann somit ausgasen», gibt er zu bedenken. Ausserdem würde es unter Sonneneinstrahlung ebenfalls zerfallen.

Proben und Analysen nehmen Zeit in Anspruch und kosten. Aber: «Ich muss nur wenig Dünger einsparen, damit sich das finanziell wieder ausgleicht», sagt der Zürcher. Er wolle im Übrigen die Nährstoffe auf seinem Betrieb gezielt einsetzen und damit sowohl Überschüsse als auch Mangelsituationen vermeiden.

«Ich muss nur wenig Dünger einsparen.»

Marcel Müller über die Wirtschaftlichkeit von Analysen fürs gezielte Düngen.

Kleiner Stromkreislauf

AboAn einem Feldtag von Regenerativ Schweiz in Suchy VD wird den Teilnehmenden erklärt, welche Vorbereitung es für eine optimale Flächenrotte braucht. Von Erfahrungen profitierenWer in Sachen Regenerative Landwirtschaft weiterhilftMontag, 5. Februar 2024 Während die Nährstoffwerte handfest und praxisnah wirken, geht die Theorie hinter der Regenerativen Landwirtschaft tiefer. Sie versteht das System aus Pflanze und Boden als kleinen Stromkreislauf, in dem chemische Reaktionen – Oxidation und Reduktion (kurz Redox) – zentral sind. «Über Redox-Prozesse ist wenig bekannt», erklärt Marcel Müller. Weiter gibt es einen Zusammenhang mit dem pH-Wert: Dieser entscheide, ob ein reduktiver Prozess ablaufe (tiefer pH) oder ob Fäulnis auftritt.

«Dass Apfelessig den Kühen guttut, wundert mich angesichts des tiefen pHs nicht», bemerkt Müller. Für ihn ist auch klar, dass mit einer Gülle mit pH 8 oder 9 kein Bodenaufbau möglich ist – zu oxidativ wäre deren Wirkung. «Das leuchtet mir schon ein, schliesslich sind fast alle Nährstoffe bei einem pH um 7 bzw. darunter für Pflanzen verfügbar.»

Um Redox-Prozesse zu steuern, setzt man in der Regenerativen Landwirtschaft z. B. Rottelenker bzw. Effektive Mikroorganismen ein. So wird sichergestellt, dass gemulchtes Material rottet – ein reduktiver Vorgang – und nicht fault.

Wieder Gegensteuer geben

AboLandor-Berater René Hartmann ermuntert dazu, die von Gesetzes wegen nötigen Bodenproben auch zu nutzen.DüngungZum Glück braucht es für kräftige Kulturen nicht nur NPKMontag, 3. Juli 2023«Noch läuft bei Weitem nicht alles ganz rund», beurteilt Marcel Müller die Entwicklung seines Betriebs. Am Ende entscheide vieles auch das Wetter. 2023 seien ihm die Erbsen bei der nassen Witterung schlicht verfault und wenn der Rapsglanzkäfer in seinen Beständen einfällt, greift Müller bisweilen zu chemischen Pflanzenschutzmitteln – auch wenn sie eine oxidative Wirkung hätten. «Danach versuche ich, mit aufbauenden Massnahmen wieder Gegensteuer zu geben und ein Gleichgewicht herzustellen», schildert er. Die Regenerative Landwirtschaft vergleicht er mit einem Kräuterbonbon, das bei einer Erkältung zwar unterstützend wirken, sie aber alleine nicht auskurieren könne.

Der Spaten zeigt es

Die Blattsaftanalysen dienen Marcel Müller als eine Standortbestimmung. Die letzte Messung des Humusgehalts liege eine Weile zurück, «aber wenn ich mit dem Spaten unterwegs bin, sehe ich die krümelige Bodenstruktur, viele Regenwürmer und ein aktives Bodenleben», schildert der Landwirt. Er strebe danach, die grundlegenden Prozesse zu verstehen. Als Erstes gelte es dafür, sich Wissen anzueignen – etwa im Austausch mit Berufskollegen – denn sonst habe man schnell viel Geld für Analysen und Produkte ausgegeben. «In der Regel ist ja auch nicht alles falsch, was man bisher gemacht hat», ergänzt Müller, «oft sind es kleine Schrauben, an denen man drehen muss.»

Ideales Milieu und pH

Redox-Reaktionen im Boden beeinflussen die Gesundheit von Kulturen, da sie Form und damit Verfügbarkeit von Nährstoffen verändern: Je nachdem dominiert z. B. Stickstoff als Nitrat (oxidative Bedingungen) oder Ammonium (reduktives Milieu). Mit den Methoden der Regenerativen Landwirtschaft soll ein reduktives Milieu im Boden geschaffen werden, in dem sowohl Nitrat als auch Ammonium zu finden sind, die Verfügbarkeit aller wichtigen Nährstoffen gewährleistet und die Toxizität durch Schwermetalle minimiert ist. Das ist bei einem Redoxpotenzial von 400 bis 450 mV und einem pH von 6,5 bis 6,8 der Fall. Dafür gilt es etwa, genügend Luft in den Boden zu bringen, die Pflanzengesundheit zu unterstützen (z. B. mit Komposttee) und für eine ständige Durchwurzelung zu sorgen. Denn auch die Kultur selbst beeinflusst via Wurzelausscheidungen das Bodenmilieu und -leben.

Weitere Informationen zu Redox im Boden lesen Sie im Blog von Regenerativ Schweiz.