Die Regenerative Landwirtschaft wurde in den USA bereits in den 1970er-Jahren entwickelt, eine gesetzlich festgelegte Definition dafür gibt es aber bis heute nicht. Das Konzept ist wirkungsorientiert, was es weitaus schwerer fassbar macht als ein Label, das für jeden Betrieb dasselbe vorschreibt. Den Hauptunterschied zur Konservierenden Landwirtschaft sieht Alex von Hettlingen, Geschäftsführer von Regenerativ Schweiz, im Fokus: «Bei uns steht der Aufbau einer vielfältigen Bodenbiologie und die Förderung der symbiotischen Stoffwechselprozesse von Bodenleben und Pflanzen im Zentrum.» Die Regenerative Landwirtschaft orientiert sich generell an folgenden fünf Prinzipien:
- Biodiversität in und über dem Boden
- Minimale Bodenstörung
- Dauernd durchwurzelter Boden
- Dauernd bedeckter Boden
- Integration von Tieren
Damit gibt es Überschneidungen mit der Konservierenden Landwirtschaft, die ebenfalls nach Bodenruhe durch minimale Bearbeitung, Pflanzenarten-Vielfalt und ständiger Bodenbedeckung strebt.
Es hängt zusammen
In der Schweiz sind zwei Organisationen besonders aktiv in Sachen Regenerativer Landwirtschaft: der Verein Agricultura Regeneratio und die GmbH Regenerativ Schweiz. «Ich war in der Kommunikation beim Konsumentenschutz tätig und habe festgestellt, dass man im Zusammenhang mit der Ernährung kaum über den Boden redet», erklärt Alex von Hettlingen. «Dabei hängen gesunde Lebensmittel, Versorgungssicherheit und Klimaschutz allesamt mit dem Boden zusammen.» Das System der Regenerativen Landwirtschaft habe ihn fasziniert, fährt von Hettlingen fort. So begann er, Erfahrungen aus den USA und Australien zu übersetzen und in einem Blog in den Schweizer Kontext zu bringen. Seit drei Jahren bietet Regenerativ Schweiz auch Kurse (vor Ort und online) zur Regenerativen Landwirtschaft an.
Breites Zielpublikum
Auch Agricultura Regeneratio will vernetzen, fasst das Zielpublikum aber breiter: «Wir haben 150 Mitglieder, wovon 125 Landwirt(innen) sind», so Vereinspräsident Daniel Bärtschi. Er ist auf einem Bio-Pionierbetrieb aufgewachsen und war unter anderem Geschäftsführer von Bio Suisse. Mit der Regenerativen Landwirtschaft wolle er mehr Breitenwirkung ausserhalb profitabler Nischen und des Labelmarktes erreichen. Dies mitdem Ziel vor Augen, die planetaren Grenzen einzuhalten. «Die Welt für unsere Nachkommenzu erhalten, das kann Bio allein nicht leisten», ist Bärtschi sicher.
Unter den Mitgliedern von Agricultura Regeneratio sind neben Landwirt(innen) auch Verarbeiter, Nichtregierungsorganisationen und Private. «Jede(r) kann Mitglied werden, auch Konsument(innen)», hält der Präsident fest. Aus der Verarbeitung wirken bisher z. B. Alpahirt (Bündner Bergfleisch) und der Müesli-Hersteller Bio Familia mit. Die Voraussetzung sei ein aktives Engagement: Bio Familia etwa erklärt seiner Kundschaft mit eigenen Videos die Regenerative Landwirtschaft.
System aus Deutschland
Für Landwirt(innen) fungiert Regenerativ Schweiz als Lern- und Austauschplattform, auf der es Inputs und Praxiswissen gibt. «Wir wollen unterstützen, nicht kontrollieren», so Alex von Hettlingen. Vermittelt wird zu einem guten Teil das System der beiden deutschen Fachmänner Dietmar Näser und Friedrich Wenz, welche die Regenerative Landwirtschaft auf den europäischen Ackerbau zugeschnitten haben. «Erkenntnisse aus Amerika oder Australien kann man nicht eins zu eins auf die Schweiz übertragen», ist von Hettlingen überzeugt. «Aber die Prozesse und Chancen sind dieselben.»
Coach für Mitglieder
Bereit zum Risiko
Sowohl Alex von Hettlingen als auch Daniel Bärtschi stellen ein wachsendes Interesse an der Regenerativen Landwirtschaft fest. Erste kantonale Beratungsstellen springen auf den Zug auf. Die bisherigen Erfahrungen aus der Schweiz würden zeigen, dass das System auch hierzulande funktioniert. Schwierig – auch wirtschaftlich – sei der Transformationsprozess eines Betriebs. «Da braucht es Konzepte abseits der üblichen Modelle, etwa die Neuausrichtung auf Direktvermarktung», sagt Bärtschi. Von Hettlingen sieht grosses Potenzial aufseiten des Handels, aber auch in der Politik gebe es Bestrebungen zur Förderung der Regenerativen Landwirtschaft. Bärtschi und von Hettlingen sind sich überdies einig, dass es für den Einstieg neben Interesse auch eine gewisse Risikobereitschaft braucht – und einen langen Atem. Denn Resultate zeigten sich erst nach fünf bis zehn Jahren und es gelte, in kleinen Schritten vorwärtszugehen und vieles auszuprobieren. «Aber wer seine Ziele mit der Regenerativen Landwirtschaft ernsthaft verfolgt, hat damit Erfolg», betont Bärtschi. «Rund 40 Prozent der Schweizer Betriebe möchten gerne regenerativ arbeiten», schätzt er. Sein Ziel sei es, sie auf ihrem Weg zu unterstützen.
Regenerativ Schweiz
Form: GmbH
Gründung: 2017
Ziele: Vermittlung von Fachwissen und Vernetzung von Landwirt(innen).
Aktivitäten: Kursangebote, Blog mit Fachbeiträgen, Vorträge und zweiwöchentlicher Austausch unter Praktikern (jeweils online und auf Betrieben).
Beteiligte: Community aus 270 Landwirt(innen).
Kosten: 25 Franken pro Monat oder jährlich 275 Franken für den Zugang zur Community. Kurse je zwischen 1400 und 1700 Franken (10 Termine übers Jahr verteilt online und vor Ort, inklusive Unterlagen, Aufzeichnungen sowie Verpflegung an Praxistagen).
Weitere Informationen: www.regenerativ.ch
Agricultura Regeneratio
Form: Verein
Gründung: 2019
Ziele: Praxiswissen für die Landwirtschaft bzw. entsprechende Ansprechpersonen vermitteln, Regenerative Landwirtschaft in Gesellschaft und Wirtschaft bekannter machen. Besonderer Fokus auf der Tierhaltung (Weide- und Freilandhaltung).
Aktivitäten: Mitglieder, die auch die gleichnamige Marke nutzen wollen, verpflichten sich zu regelmässigen Weiterbildungen sowie zur Erstellung eines betriebseigenen Leitbilds und empfangen jährlich eine Fachperson zur Standortbestimmung auf dem Hof. Für die Markennutzung braucht es zusätzlich eine jährliche Klimabilanz (Cool Farm Tool), alle zwei Jahre eine Humusbilanz sowie die Anwendung des Tierwohlindex.
Mitgliederzahl: 150, davon 125 Landwirt(innen).
Kosten: 150 Franken pro Jahr.
Weitere Informationen: www.agricultura-regeneratio.ch
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