Nachdem der Ständerat im Dezember wiederholt einen indirekten Gegenvorschlag zur Biodiversitäts-Initiative (BI) abgelehnt hat, gelangt das Volksbegehren allein zur Abstimmung. Obwohl der Termin noch nicht feststeht, rüsten sich Befürworter wie Gegner bereits für die politische Auseinandersetzung. Einen ersten Eindruck gab es letzte Woche am LZ Liebegg an einer Podiumsdiskussion zum Thema.
Defizite bei der Qualität
Als Fürsprecher vertrat Marcel Liner die Initiative. Er ist bei Pro Natura verantwortlich für die Agrarpolitik. «Biodiversität ist kein Luxus, sondern eine Lebensgrundlage», betonte er. Trotzdem sei ihre Bedeutung schwierig zu vermitteln. Nicht zuletzt weil sich vieles im Verborgenen abspielt: «Eine Handvoll Erde enthält mehr Mikroorganismen als Menschen auf der Erde leben.» Einem Bauern brauche man nicht zu erklären, was eine Landwirtschaft ohne Bestäuber bedeuten würde. Und die Landwirtschaft habe in den vergangenen Jahren tatsächlich viel geleistet, im Durchschnitt stellt ein Betrieb 19 Prozent BFF zur Verfügung. Die Frage sei deshalb berechtigt, ob es denn noch mehr brauche. Flächenmässig seien die Ziele weitgehend erreicht, Defizite gebe es bei der Qualität und der Vernetzung.
«Biodiversität ist kein Luxus, sondern eine Lebensgrundlage.»
Marcel Liner, verantwortlich für die Agrarpolitik bei Pro Natura.
Der Biodiversitätsschwund sei massgeblich auf die Bautätigkeit zurückzuführen, in der Landwirtschaft unter anderem auf Bearbeitungsmethoden mit schweren Maschinen. Die BI habe keineswegs nur die Landwirtschaft im Visier, sondern sämtliche Sektoren vom Energie- und Finanzbereich über die Neue Regionalpolitik und Raumplanung bis zum Verkehr. Auch in diesem Sektorvergleich befinde sich die Landwirtschaft auf gutem Weg.
Breite Allianz
Dass Biodiversität wichtig sei, bestreite niemand, hielt SBV-Direktor Martin Rufer fest. «Die Betroffenheit in bäuerlichen Kreisen durch die Initiative ist sehr gross», begründete er die Ablehnung durch den SBV. «Die Landwirtschaft hat alle Ziele erreicht, die für die AP-Perioden 2014–2017 und 2018–2021 bezüglich Biodiversität vorgegeben wurden.» Er verwies auf Aussagen des Bundesrats, wonach 30 Prozent der Landesfläche zur Sicherung der Biodiversität nötig wären, dies bei einem aktuellen Stand von 13,4 Prozent.
«Die Landwirtschaft hat sämtliche Biodiversitätsziele erreicht.»
SBV-Direktor Martin Rufer blickte auf vergangene AP-Perioden zurück.
Für Beunruhigung sorge der offen formulierte Begriff der «erforderlichen Flächen», die laut Initiativtext zur Verfügung stehen müssen. Zudem warnte Rufer vor den umfassenden Schutzbestimmungen, die nebst Naturwerten auch Ortsbilder und Baukultur beinhalten. Das sei denn auch der Grund, weshalb eine breite Allianz gegen die Initiative antritt, darunter die Energiewirtschaft, die den Ausbau erneuerbarer Energien gefährdet sieht. Die Initiative behindere den Tourismus, die Waldwirtschaft sowie den Wohnungsbau und schwäche daher insbesondere die ländlichen Regionen. Der richtige Weg bestehe darin, auf den bestehenden Flächen die Qualität zu verbessern.
Beträchtlicher Aufwand
Für die Podiumsdiskussion unter der Leitung von BVA-Geschäftsführer Ralf Bucher gesellten sich Nationalrätin Irène Kälin (Grüne) und Nationalrat Andreas Meier (Die Mitte) zu den Kontrahenten. Kälin bedauerte, dass der Ständerat einen Gegenvorschlag verhinderte, hinter dem sowohl der Nationalrat wie die Regierung standen. Das sei für sie umso unverständlicher, als er vor allem auf die Siedlungsgebiete fokussiert hätte. Der Biodiversitätsschwund treffe letztlich die Landwirtschaft am stärksten.
Winzer Andreas Meier merkte an, es liege im ureigenen Interesse der Bauern, dem Boden und der Biodiversität Sorge zu tragen. «Das machen wir ohne irgendwelche Gesetze und Verordnungen.» Er wies auf den beträchtlichen Aufwand hin, den ein solcher Verfassungsartikel nach sich ziehen würde. Ein grosser Teil der jährlich erforderlichen Mittel von rund 400 Millionen Franken würden durch zusätzliche Kontrollen aufgefressen.
Zankapfel Flächenbedarf
Martin Rufer wies auf Verlautbarungen der Umweltverbände hin, wonach erst 8 Prozent der Landesfläche die Biodiversitätsanforderungen erfüllen. Um das Ziel von 30 Prozent zu erreichen, fehlten somit 880 000 Hektaren. «Es braucht viel Fantasie, zu behaupten, bei einem solchen Flächenbedarf sei die Landwirtschaft nicht betroffen», sagte er. Liner seinerseits verwies auf das enorme Biodiversitätspotenzial im Siedlungsraum und störte sich daran, dass die Gegner hauptsächlich mit Fantasiezahlen zur Fläche argumentieren. Als Beispiel nannte er die biodiversitätsschädigende Lichtverschmutzung. Eine Vernetzung durch lichtfreie Korridore im Siedlungsgebiet existiere nicht. «Aber das ist eben auch eine Flächendiskussion.»
Die Frage von Moderator Bucher, ob die Initianten die Flächendiskussion aus taktischen Gründen herunterspielten, verneinte Liner. Rufer hingegen meinte, der Verfassungstext sei das eine. «Aber die ganze Begleitmusik kann man nicht einfach ausklammern. Mögliche Auswirkungen unter die Lupe zu nehmen, gehört zu einer redlichen Debatte.»
Ein Verfassungsauftrag
Wenig von der Zahlenklauberei rund um die BI hält Irène Kälin. «Es gibt Wünsche der Initianten und Ängste der Gegner. Der Initiativtext jedoch enthält keine einzige Zahl.» Die Umsetzung erfolge im Parlament. Von den Bauern sei viel verlangt worden, und sie hätten auch viel geleistet. Laut Verfassungsauftrag seien sie nicht nur für die Ernährungssicherheit zuständig, sondern auch zur Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen und Pflege der Kulturlandschaft.